Die Einführung des SAP-Dealer-Business-Managements bei der Bald Automobilgesellschaft, einem der größten deutschen Mercedes-Händlern, wird zur Erfolgsstory.

Manchmal gibt es Glücksfälle, die dazu führen, dass sich alles ineinander fügt. Bei der Bald Automobilgesellschaft in Siegen heißt die Schlüsselfigur Tobias Bald (Geschäftsführer). Er hat im Jahr 2004 das bereits 1862 gegründete Mercedes-Benz-Autohaus in Siegen übernommen. Als es noch keine Automobile gab, handelte man hier schon mit Schlitten und Kutschen. Die Bald-Gruppe ist eine feste Branchengröße, die im Jahr rund 8000 Autos an den Mann bringt. Mehr als 500 Mitarbeiter im Sieger- und im Sauerland sorgten bis heute dafür, dass der Händler auf Platz 23 der Rangliste einer der umsatzstärksten Autohändler in Deutschland wurde. Das Problem: die IT-Plattform des Unternehmens. Rund 70 Einzellösungen, darunter eine Vielzahl von Stammdatensystemen, erzeugten einen Datenverhau und versperrten so den einheitlichen Blick auf Bestände, Wertflüsse und Kosten. Durchgängigkeit und Datenintegrität waren lange Zeit Fremdwörter.

Tobias Bald war vor seiner Zeit im Autohaus Unternehmensberater bei Andersen Consulting, heute Accenture. Er versteht deswegen viel von SAP-Lösungen und hatte Erfahrung damit, bei anderen Firmen Dealer Management Systeme (DMS) zu implementieren. Wer in Deutschland von Unternehmenssoftware spricht, meint meist die ERP-Lösungen von SAP. Diese Software ist jedoch extrem auf Konzernstrukturen ausgerichtet und deswegen im Mittelstand wenig vertreten. Lizenzen sowie die Einführung und Anpassung der Standardprogramme sind entsprechend teuer. SAP vertreibt aber auch speziell an die Bedürfnisse bestimmter Branchen angepasste Programme. Neuerdings gibt es für Autohäuser das SAP-Dealer-Business-Management (SAP DBM). Und hier kommen die Berater der IMG (The Information Management Group) ins Spiel. Die ursprünglich einmal als Spinoff der schweizerischen Universität St. Gallen gegründete Prozessberatung für den Mittelstand, die jetzt zur österreichischen S&T gehört, ist mit Beratungsleistungen beim Schweizer VW- und Audi-Importeur AMAG groß geworden. Als erste Berater überhaupt setzten die IMG-Leute auch das SAP-Modul für Autoimporteure namens Vehicle-Management- System ein und um. Jetzt suchte man in Deutschland Autohändler, die ihre Prozesse mit SAP DBM ganzheitlich gestalten wollten. Und mit Bald, dem Ex-Unternehmensberater, fand sich der ideale Partner mit genügend eigenem Know-how und Mut. Consultants sprechen gerne von einer „Win-Win-Situation“.

Nach der Implementierung bei der Firma AMAG und einem Importeur mit angeschlossenem Händlernetz in Dubai soll SAP DBM Version 6.0 jetzt beim Siegener Autohaus Bald – als Pilotkunden – seine Leistungsfähigkeit entfalten. „SAP DBM bildet genau die typischen Automobilhändlerprozesse der Wertschöpfungskette in Werkstatt, Service, Beschaffung und Verkauf ab“, sagt Thorsten Sauerbrei, Strategic Account Manager bei IMG. Die Berater haben die All-in-One-Lösung von SAP in Kleinarbeit an die Bedürfnisse von Mehrmarken-Autohäusern mit verschiedenen Standorten angepasst. Ihre SAP-Variante tauften sie „Carbon“. „Die Finanzsituation im Automobilhandel ist sehr angespannt, deshalb haben wir Carbon als Template, als Produkt erschaffen“, so der Strategic Account Manager.

Seine Komplettlösung bildet alle IT-Prozesse eines Autohauses zentral und durchgängig ab. Die hier abrufbaren Informationen über sämtliche Geschäftsprozesse und Kennzahlen machen die Steuerung des Unternehmens für dasManagement in Echtzeit möglich – und das sogar wesentlich einfacher als bisher. Bald, der über seine Zeit als Berater etwas ernüchtert und sicher nicht ganz ernst gemeint sagt, er habe damals kein einziges Händlersystem erfolgreich implementiert, sieht Carbon als hoch strategisches Thema. Sein Credo: „Die IT gehört als zentraler Punkt zur Unternehmensstrategie.“ Bei den meisten Autohändlern gibt es sehr komplizierte Systemlandschaften der Informationstechnologie, die den Überblick aufs große Ganze eher erschweren denn erleichtern. Mit Reynolds & Reynolds und ADP teilen sich zwei Wettbewerber den DMS-Weltmarkt. In Deutschland gibt es viele kleine, spezialisierte Anbieter, die mit den Werkstatt- und Teileprozessen die Herzstücke im Automobilhandel abbilden. „Bisher gab es aber keinen Anbieter, der die vollständige Durchgängigkeit und Integrität für alle Geschäftsbereiche – Neuwagen, Gebrauchtwagen, Teile und Zubehör, Service, Personal und integriertes Customer Relationship Management (CRM) – anbietet“, weiß Sauerbrei. Daimler empfiehlt seinen Händlern bisher, das Produkt Autoline von ADP einzusetzen. Das Programm ist vielen Autohäusern aber zu teuer. Viele griffen zu Notlösungen: Um eine zentrale Werkstatt-Software als Dealer Management System wurden einzelne Satelliten von Spezialanbietern gruppiert. Doch dadurch ging schnell die nötige Übersicht verloren.

Mit Carbon münden die Prozesse aller Geschäftsbereiche in der Finanzbuchhaltung. „Dadurch wird das Unternehmen wirklich transparent und steuerbar“, weiß Sauerbrei zu berichten. „Ich kann tief in einzelne Prozessbereiche hineinschauen und mir alle nötigen Kennzahlen ziehen.“ Tobias Bald ist zufrieden. „Wir erhalten dadurch optimale finanzielle Transparenz- und Controlling-Möglichkeiten und sind so der Konkurrenz um ein bis zwei Jahre voraus.“ Mit dem Return on Investment der Investition rechne er, so Sauerbrei, innerhalb von weniger als drei Jahren. „Bald fühlt sich für die aktuelle Krise gut gerüstet und wird deshalb gestärkt daraus hervorgehen“, ist sich Geschäftsführer Bald sicher. Rüdiger Spies, unabhängiger Analyst beim Beratungshaus IDC, rät anderen Autohändlern ebenfalls zu einer derartigen DMS-Lösung: „Eine solch integrierte All-in-One-Software macht auf jeden Fall Sinn“, urteilt er. „Denn je mehr der Konzentrationsprozess im Autohandel voranschreitet, je größer die Autohäuser werden, desto mehr benötigen alle Verantwortlichen integrierte, durchgängige IT-Systeme, um diese zu führen und dabei die Übersicht zu behalten.“ Carbon soll jetzt von Bald auf andere Daimler-Händler ausstrahlen. Das neue System wird auf lange Sicht nur überleben, wenn es auch andere Händler einsetzen. „Schnittstellen und Formulare sind firmenspezifisch. In kurzer Zeit und relativ kostengünstig können wir es bei jedem deutschen Daimler-Händler ausrollen“, verspricht Sauerbrei. Von Anfang 2006 bis April 2008 hat die Implementierung und Entwicklung bei Bald gedauert. Danach begann das Feintuning. In Zukunft und mit mehr Erfahrung könnte es viel schneller gehen.

Autor: Johannes Klostermeier

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