Autos „Made in Germany“ gelten als Inbegriff deutscher Ingenieurskunst und automobiler Machbarkeit. Doch die einheimischen Hersteller sind dabei, diesen Ruf zu gefährden, weil sie sich zunehmend mehr auf kurzfristige hervorragende Zahlen als auf echte Innovationen konzentrieren. So lautet das wichtigste Ergebnis der „GEAR-Studie – General Enhancements in Automotive Supplier Relationships“, durchgeführt von der Münchner Unternehmensberatung goetzpartners.

Mehr als 100 Experten aus Automobilzuliefererbetrieben schilderten in ausführlichen Befragungen ihre Sicht der Zusammenarbeit mit den Automobilherstellern, darunter alle deutschen Premium-Marken. Im Ergebnis haben die Zulieferer die Zusammenarbeit mit mehr als einem Dutzend Herstellern aus Europa und Asien entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses bewertet. Sie gaben dabei unter anderem an, welche Kriterien sie bei der Bewertung der Lieferbeziehung insgesamt für besonders wichtig halten.

Das überraschende Ergebnis: Selbst in der technik- und zahlengetriebenen Automobilbranche bestimmen eher weiche Kriterien die Lieferbeziehungen. Basis ist das Vertrauen zwischen den Beteiligten, das sich von der Projektentwicklung bis hin zur Serienphase zieht. Weitere Fragen waren: Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit in den verschiedenen Projektphasen, wie gehen die Hersteller mit Innovationen um, wie gestalten sich die Preisverhandlungen – und wo sehen sie Verbesserungspotenzial?

Als besonders loyal, kooperativ und verlässlich im Umgang mit Zulieferern wird Jaguar Land Rover wahrgenommen, auch die deutschen Hersteller Audi, BMW, Mercedes-Benz, Porsche und VW schneiden insgesamt sehr gut ab. Bei den anderen europäischen und den asiatischen Herstellern scheinen eher Dinge wie der Preis im Vordergrund zu stehen. Aus Sicht der Zulieferer machen die Hersteller mit einem intensiven Preisdiktat aber nur kurzfristig den besseren Deal. Eine langfristige Lieferbeziehung zahle sich viel mehr aus, denn die Zulieferer sehen sich als Innovationstreiber. Doch dafür müssten die Hersteller dieses Potenzial viel häufiger abrufen.

Die Hauptkritikpunkte der Zulieferer im Überblick:
–    Zulieferer-Innovationen werden häufig nicht mehr angemessen honoriert
–    Die Einbindung in Herstellerprojekte erfolgt oftmals zu spät
–    Die Hersteller setzen nicht genug auf Erfahrungen der Lieferanten in der Projektarbeit
–    Die zu starke Gewichtung des Preises als Auswahlkriterium führt bei den Herstellern nicht automatisch zum Erfolg
–    Die  Innovationsleistung der Zulieferer wird zu wenig honoriert

Die Studienergebnisse belegen einen Trend, der trotz nach wie vor positiver Kennzahlen durchaus das Potenzial hat, der deutschen Leuchtturm-Branche – jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland steht direkt oder indirekt mit dem Automobil in Verbindung – ihre Strahlkraft zu nehmen. Wenn es um echte Innovationen geht, ist bereits heute wahrnehmbar, dass Neuheiten nicht mehr in deutschen Premiumfahrzeugen ihre Premiere feiern, sondern bei der Konkurrenz.

Ein wichtiger Grund dafür liegt in den Veränderungen im Geschäftsmodell der deutschen Automobilindustrie: Bis zu 80 Prozent der Wertschöpfung eines Fahrzeugs werden durch den OEM zugekauft – bei gleichzeitig steigendem, kurzfristigen Kostendruck auf die Lieferanten. In diesem Umfeld wird es immer schwieriger, gemeinsam Innovationen voranzutreiben und angemessen zu vergüten.

„Diese spürbare Entwicklung führt zu Spannungen in der Branche: Wenn die faire Vergütung von Innovationsleistungen nicht mehr gesichert ist, werden die Zulieferer auf Dauer den deutschen OEM die von ihnen verlangten Innovationen nicht mehr liefern können. Die deutschen Premium-Hersteller brauchen diese aber, denn nur so können sie Premium-Preise rechtfertigen. Die Zulieferer hingegen werden künftig wohl häufiger zu den Massenherstellern gehen, weil sie hier bessere Margen erzielen können. Diese Tendenz ist noch nicht deutlich genug ausgeprägt, aber die Weichen in diese Richtung scheinen gestellt – und es will niemand so recht gegensteuern. Dabei wäre jetzt die Zeit dafür“, analysiert Marc Staudenmayer, Managing Director bei goetzpartners.

Guido Hauptmann, Senior Manager und Automotive-Experte der Beratung, ergänzt: „Weil die deutschen Hersteller in immer kürzeren Zyklen denken, könnten sie auf lange Sicht ihre Marktführerschaft bei den Innovationen im Auto einbüßen. Schon jetzt haben sich Hersteller aus anderen Ländern beim wichtigen Thema Entertainment an die Spitze der Kolonne gesetzt.“

Um hier gegenzusteuern, müssten Hersteller ihre Lieferantenbeziehungen neu ausrichten, vor allem von der Innovationskraft der Zulieferer profitieren und diese angemessen vergüten. Kontinuierlich: Projektarbeit weiterentwickeln und so Partnerschaften stärken. Nicht nur der Preis, auch Qualität und Innovation sollten entscheiden. Die Partnerschaft sollte nicht mit der Serienphase enden, vor allemdie Kooperation mit strategischen Lieferanten vertieft werden.

goetzpartners ist ein unabhängiges europäisches Beratungsunternehmen, das Management Consulting und Beratung in Mergers & Acquisitions kombiniert. Die Gruppe hat Büros in München, Düsseldorf, Frankfurt, London, Madrid, Moskau, Paris, Prag, Shanghai und Zürich.

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