automotiveIT Blickpunkt: Kampf um Standards

Die Hersteller wünschen sich, das Gesamtfahrzeug ohne großen Konvertierungsaufwand virtuell darzustellen, und erwarten dafür von ihren Partnern 3D-Modelle im passenden Format, die sich entsprechend einbinden lassen. Das hat Folgen für Zulieferer, die mit unterschiedlichen Auftraggebern zusammenarbeiten. „Es gibt praktisch keine Zulieferer, die nur ein PLM-System im Einsatz haben. Die Lieferanten stehen vor der verrückten Situation, mit den unterschiedlichsten Systemen umgehen zu müssen“, sagt  Berater und PLM-Autor Ulrich Sendler („Das PLM-Kompendium, Referenzbuch des Produktlebenszyklus Managements“ ). Schließlich müssten die Daten im Nativformat empfangen und versendet werden können, soll eine Zusammenarbeit mit dem OEM zustande kommen. Teilweise seien auch ganze Abteilungen mit dem Thema der Datenkonvertierung beschäftigt.

Deutliche Linderung erwartet Sendler unter anderem von der in diesem Monat vorgesehenen ISO-Standardisierung des JT-Formats. Der Standard sei neben der Automobilindustrie vor allem von Siemens nach dem UGS-Erwerb vorangetrieben worden, da der Konzern auch intern auf JT setzt. Ein wichtiger Motivationsfaktor für die Standardisierung ist zudem das Einsparen von dann überflüssig werdenden CAD-Systemlizenzen. Beim Austausch mit JT werden sowohl das System als auch der Versionsstand unwichtiger, nur für Veränderungen sind die Nativformate notwendig – doch solche dürfen im Collaboration-Engineering-Prozess ohnehin nur wenige Beteiligte herbeiführen. „Es wird weiter den Zwang zum Einsatz mehrerer Systeme geben, allerdings wird sich der Arbeitsaufwand dramatisch verringern“, prognostiziert der PLM-Experte. Insbesondere bei der Nutzung von CAD-Modellen unterschiedlicher Herkunft für den Zusammenbau in einem Digital Mock-up (DMU) und ihre gemeinsame Visualisierung und Simulation werde das neutrale JT eine wichtige Rolle spielen.

„Entwicklungslieferanten, die in strategische Phasen der Produktentwicklung eingebunden sind, haben kaum eine Alternative dazu, das gleiche System zu nutzen wie der Auftraggeber. Anders lässt sich die nötige Integration mit häufigem Datenaustausch und tiefer Nutzung von Funktionen und Methoden nicht umsetzen“, erklärt Jens Krüger, Leiter des Bereichs Innovation und Product Lifecycle Management beim IT-Dienstleister Cirquent, vormals BMW-Tochter Softlab. In Deutschland hat sich zwar weitgehend Catia V5 durchgesetzt, es gibt jedoch einige OEMs, die auf andere Systeme setzen, zudem sind vielfach ältere Versionen im Spiel, die beispielsweise für Facelifts benötigt werden.

Das Ausspielen der Marktmacht hat jedoch auch Grenzen. „Bei den OEMs setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Aufwand für das Vorhalten verschiedener Systeme bei den Zulieferern und die damit verbundenen Kosten sich am Ende bei ihnen niederschlagen“, so Krüger. Es sei heute deutlich mehr Kooperation wahrnehmbar als früher, das zeige sich unter anderem am Harmonisierungsbestreben des OEM-Arbeitskreises CAD.

Eine günstige Strategie für die Zulieferer ist für Jens Krüger die Entwicklung einer PLM-Infrastruktur mit entsprechendem Datenmanagement, in der sich sowohl eigene Belange als auch kundenspezifische Ableitungen abbilden lassen. „Wir sehen immer häufiger generische Baukasten-Lösungen“, konstatiert Krüger. Die Zulieferer setzen dabei auf die für sie passende PLM-Lösung und entwickeln hier generische Produkte, die dann für die jeweiligen Auftraggeber mit dem entsprechenden System angepasst werden.

Ein wichtiges Thema ist der Knowhow-Schutz – Intellectual Property Protection. „In der Parametrik steckt viel Wissen, das ein Zulieferer nicht an den OEM weitergeben will. Das ‚Abstrippen‘, also Entfernen von Information aus den Dateien, erfordert jedoch ein hohes Maß an Prozesssicherheit, damit hier keine Fehler entstehen“, weiß Krüger. Beim Datenaustausch ist zudem der notwendige Schutz erforderlich, damit Daten nicht in die Hände von Wettbewerbern gelangen können. Hier sieht Ulrich Sendler noch immer Probleme. „Während das Datenhandling im PLM schon weit gediehen ist, sind viele Aspekte der Prozessintegration noch nicht gelöst, beispielsweise wenn es um den sicheren Datenzugriff über Firewalls hinweg geht“, meint Sendler und verweist auf  eine Story, bei der ein Dateianhang mit komplettem Modell versehentlich an einen Wettbewerber versendet wurde. Hier seien unternehmensübergreifende Regeln und entsprechende Werkzeuge für den Zugriffsschutz gefragt. „Es wird noch etliche Jahre brauchen, bis Daten und Prozess unter Einschluss der Zulieferer integriert sind und das Management des gesamten Produktlebenszyklus umgesetzt wird“, schätzt Sendler.

IBM bringt dieser Tage eine Lösung auf den Markt, die system-unabhängig als Entwicklungsplattform dienen soll. Zielgruppe sind vor allem die Großen am Markt, die viele internationale Standorte einzubeziehen haben, da das System je nach vorhandener Umgebung maßgeschneidert werden muss. „Aus unserer Sicht braucht die Automobilindustrie eine einheitliche Entwicklungsplattform, an die sich unterschiedliche Systeme andocken lassen und die dann übergreifende Workflows bereitstellt“, meint Ralf Bannwarth, der in der Unternehmensberatung IBM Global Business Services den Bereich Automobilindustrie leitet. Über die „Jazz“ genannte Technologieplattform könnten OEMs und Zulieferer Entwicklungsmodelle und Artefakte gemeinsam entwickeln und managen. Da im Thema PLM jedoch auch erhebliche Einsparungspotenziale liegen – beispielsweise bei den Reisekosten, die durch Videokonferenzen obsolet werden –, rechnen die Experten damit, dass sowohl die Hersteller als auch die Zulieferer trotz enger IT-Budgets entsprechende Strategien vorantreiben werden.

Autorin: Daniela Hoffmann

Bild: Volkswagen

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