seat-lakeside

Seat verknüpft im neuen Store den digitalen Autokauf mit klassischen Ausstellungsstücken. (Bild: Seat)

Wie der Autoverkauf in zehn Jahren aussieht, darf getrost als ungewiss bezeichnet werden. Auf der einen Seite wird dem . Auf der anderen legen Studien immer wieder nahe, dass die Relevanz von Händlern und Niederlassungen auch künftig nicht abnehmen wird. Die Wahrheit dürfte wie so häufig in der Mitte liegen: Der nahtlosen Integration beider Welten.

Wie das aussehen könnte, zeigt die Volkswagen-Marke Seat in Großbritannien: Etwa 20 Meilen östlich von London haben die Spanier ein neues Store-Konzept eröffnet – in einem Einkaufszentrum. Im „Intu Lakeside Shopping Centre“, nahe der Mündung der Themse in die Nordsee, geht Seat ab sofort auf rund 150 Quadratmetern zwischen Primark und Starbucks auf Kundenfang. automotiveIT konnte sich vor Ort ein Bild des Pilotprojektes machen.

Acht digitale Touchpoints, vier große Bildschirme, drei Fahrzeuge

Der Store kombiniert sichtbar die digitale und die physische Welt: Neben drei ausgestellten Seat-Modellen stehen acht sogenannte „Kiosks“ im Fokus des Geschäfts. An diesen Terminals können interessierte Kunden Fahrzeuge suchen, reservieren, sofern gewünscht finanzieren und sogar über die Identifizierungsnummer die Inzahlungnahme des aktuellen Wagens durchrechnen lassen. Die Echtzeitsuche greift dabei permanent auf Informationen über im Bestand befindliche Neuwagen der Filiale zurück – nach eigenen Angaben sind die populärsten Modelle und Ausstattungsvarianten permanent auf Lager. Der gesamte Informations- und Kaufprozess findet online-basiert und daher lückenlos statt. Der Kunde kann jeden Schritt des Autokaufs entweder komplett von Zuhause durchführen oder den begonnenen Prozess über seinen Account im Store fortsetzen.

„Wir haben bei unserer Lösung an Marken wie Apple oder Amazon gedacht und uns gefragt, wie wir den Kaufprozess für unsere Kunden verbessern können“, sagt Matt Benns, Head of Customer Quality and Network Development bei Seat UK. Potentielle Käufer sollen sich im neuen Konzept nicht unter Druck gesetzt fühlen, heikle Themen – wie etwa verschiedene Finanzierungsmodelle – in Ruhe auf dem heimischen Sofa durchdenken können. Dieses Gefühl der Intimität soll nicht zuletzt durch die Kiosks vermittelt werden. Eine Konfiguration des Wunschfahrzeugs auf den riesigen Screens, wie etwa in der Audi City praktiziert, wurde bewusst abgelehnt.

Auch die Mitarbeiter des Seat Stores sind dementsprechend keine klassischen Autoverkäufer: Sie kommen etwa aus Apple-Stores oder Vodafone-Shops. Sie sind darin geschult, dem Interessenten vor allem bei Bedienungsfragen zur Software zur Seite zu stehen und sollen weniger Einfluss auf die Farbe der Sitze oder die Auswahl der Felgen nehmen. Die Devise: Helfen und beraten falls gewünscht, ansonsten den Kunden einfach machen lassen. So ist er es inzwischen aus dem Internet und anderen Branchen gewöhnt.

Das gilt auch für Testfahrten, die auch im neuen Store-Konzept realisiert werden können. Denn diese können ohne Begleitung durch einen Mitarbeiter durchgeführt werden – in Großbritannien ist das alles andere als üblich. Erneut erweist sich die ohnehin vorhandene Infrastruktur des Zentrum als hilfreich: Für die Testfahrzeuge steht ein abgegrenzter Bereich auf dem Parkplatz des Intu Lakeside zur Verfügung. So kann jedes Modell – vom SUV Ateca bis zum Stadtauto Mii – persönlich erprobt werden. Auch die Testfahrten können im Internet oder an den Terminals im Store über ein spezielles Buchungssystem – wie die gesamte Lösung vom Software-Spezialisten Connect-Auto entwickelt – vereinbart werden.

„Wir mussten abseits des klassischen Autohauses denken“

Die Beweggründe für den Store sind schnell erklärt: Zum einen sind sich verändernde Kundenwünsche und ein durch das Internet geprägtes Kaufverhalten zu sehen. Zum anderen ist es schlicht nicht einfach, in der Hauptstadt einen passenden Standort zu finden. „Wir wollten in London präsenter sein, mehr Marktanteile gewinnen. Aber wir standen ganz einfach vor der Frage, wo wir überhaupt ein neues Autohaus eröffnen können“, erklärt Seats UK-Chef Richard Harrison gegenüber automotiveIT. „Also mussten wir an etwas abseits des klassischen Autohauses denken.“

Entstanden ist der Store neben Connect-Auto in Zusammenarbeit mit dem Autohandelsunternehmen Group 1 Automotive – und das in nur neun Monaten. Die schnelle Umsetzung verdankt Harrison nicht zuletzt einem Vertrauensvorschuss aus Martorell: Zuvor war er globaler Leiter der Händlernetzentwicklung des spanischen OEMs. „Das hat sicherlich eine Rolle gespielt“, sagt Harrison. Gewissermaßen sei man so etwas wie ein Innovations-Lab für Seat, sagt er. In Martorell und auch in Wolfsburg schaue man natürlich ganz genau auf die Erfahrungen mit dem neuen Konzept: Ein Roll-Out auf andere Märkte oder Marken nicht ausgeschlossen.

Gekommen, um zu bleiben

Mit dem neuen Seat Store grenzt sich der Autobauer bewusst von anderen Konzepten in Innenstädten oder Einkaufsmeilen ab. Tatsächlich befindet sich im selben Shopping Centre nur wenige Meter entfernt ein Pop-up-Store von Volvo, ein klassischer Werbe-Showroom. Der Seat Store ist hingegen tatsächlich ein One-Stop-Shop: Autokauf, Probefahrt, Service-Termin – die Filiale deckt das gesamte Spektrum des Automobilhandels ab. Wenn gewünscht komplett online oder im nahtlosen Übergang. Vermutlich kommt ein solches Geschäft dem modernen Kaufverhalten der Menschen näher als das klassische Autohaus am Stadtrand. Zumal Seat zum Großteil Laufkundschaft anzieht, die sonst wohl nicht in eine Filiale der Spanier gekommen wäre. Wenn der Store hält, was er verspricht, dürfte er sicherlich nicht der einzige seiner Art bleiben. Nicht auszuschließen also, dass Kunden künftig im Berliner KaDeWe einen Golf kaufen.

Sie möchten gerne weiterlesen?