
Frank Rechsteiner: „Meiner Meinung nach sollten eher bei den Hard Skills Abstriche gemacht werden als bei Cultural Fit“ Bild: Hype Group
Das Recruiting in der Autobranche steht derzeit vor großen Herausforderungen. Einerseits müssen die Unternehmen gegen einen stetig zunehmenden Fachkräftemangel arbeiten, zum anderen muss sich die Industrie auf neue Berufsprofile einstellen, die durch das exponentielle Voranschreiten neuer Technologien entstehen. Um dauerhaft eine fruchtbare Kooperation zwischen Unternehmen und Mitarbeiter sicherzustellen, reicht es nicht aus, wenn technische Kenntnisse beim Bewerber vorhanden sind. Genauso wichtig ist die Übereinstimmung von Werten und Zielen, die im Recruiting-Prozess bislang noch häufig übersehen wird – der Cultural Fit. automotiveIT hat mit Frank Rechsteiner, Inhaber des Recruiting-Unternehmens Hype Group über das Thema gesprochen.
automotiveIT: Herr Rechsteiner, welche konkreten Maßnahmen müssen im Recruiting genutzt werden, um den Cultural Fit zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter sicherzustellen?
Rechsteiner: Jeder Arbeitgeber, der nach kultureller Bewerberpassung strebt, muss sich seiner eigenen Wertvorstellungen, Verhaltensmuster und Rituale bewusst sein. Ansonsten stochert er bei der Personalauswahl im Nebel und täuscht – ob bewusst oder unbewusst – die Kandidaten mit Aussagen über die eigene Arbeitskultur. Mit einer ausgereiften Arbeitgebermarke hingegen können Unternehmen unverwechselbare Job-Angebote machen und damit die Authentizität erzielen, nach der die Bewerber zunehmend verlangen.
Auch auf Arbeitnehmerseite ist es unverzichtbar, dass die eigenen Ansprüche an eine passende Unternehmenskultur transparent sind. Leider sieht die Realität anders aus, da die meisten Bewerber offenbar genau wissen, was sie nicht wollen – dies ist jedoch nur die halbe Miete! So kann es leicht passieren, dass ein Bewerber, der lieber eigenverantwortlich arbeitet, einen Job annimmt, bei dem es auf Teamgeist ankommt. In solchen Fällen ist der Mismatch schon programmiert.
Kann ein Cultural Fit nachgerüstet werden? Ist es also möglich, dass Mitarbeiter und Unternehmen erst nach der Einstellung zusammenrücken?
Rechsteiner: Nachrüstung im Bereich Cultural Fit ist nur in gewissem Maß möglich. Ist die Differenz zu groß – gibt es keine Chance auf kulturelle Übereinstimmung – sollten Unternehmen sollten die betreffenden Mitarbeiter einfach ziehen lassen und nicht versuchen, Dinge passend zu machen, die nicht zusammenpassen. Dies ist im Recruiting-Umfeld ein absolutes No-Go!
Handelt es sich aber um kleinere Abweichungen, kann eine Nachrüstung durchaus sinnvoll sein. So sollten Arbeitgeber immer offen für verschiedene Arbeitszeitmodelle sein, die an die Lebensphasen der Mitarbeiter angepasst werden können. Dann braucht ein Beschäftigter nicht zu kündigen, nur weil er für einen begrenzten Zeitraum drei Tage pro Woche arbeiten will und danach wieder Vollzeit. Zur Förderung einer gedeihlichen Zusammenarbeit sollten Arbeitgeber diese Anpassungsbereitschaft auch offen kommunizieren!
Sollten Unternehmen im Zweifel eher Abstriche beim Cultural Fit oder bei Hard Skills hinnehmen?
Rechsteiner: Meiner Meinung nach sollten eher bei den Hard Skills Abstriche gemacht werden als bei Cultural Fit, da sich rein fachliche Lücken mit speziellen Trainings schnell und einfach schließen lassen. Angesichts des drastisch steigenden Fachkräftemangels rate ich IT-Unternehmen sogar dazu, auch Mitarbeiter einzustellen, die nur 50 Prozent der erforderlichen Fachkenntnisse mitbringen. Mit Schulungen können diese Mitarbeiter gezielt weiterentwickelt und ans Unternehmen gebunden werden.
Beim Cultural Fit hingegen hat ein Arbeitgeber keine Chance, mit Trainingsmaßnahmen einen Mitarbeiter zu verändern. Gibt es keine gemeinsamen Werte, sind die meisten Mitarbeiter bereit, das Unternehmen schnell wieder zu verlassen. Will ein IT-Experte etwa schnellstmöglich Karriere und jedes Jahr einen Sprung nach oben machen, haben Arbeitgeber schlechte Karten, wenn sie ihm das nicht bieten können.
Einen umfassenden Einblick in das Thema „Cultural Fit“ finden Sie in der kommenden Ausgabe von automotiveIT, die am 31. März erscheint.