
Klaus Entenmann: „Der Kunde muss nicht mehr zwingend ins Autohaus kommen, um sich beraten zu lassen.“
Die Digitalisierung stellt nahezu alle Bereiche der Automobilindustrie auf den Kopf. Auf welche technologischen Entwicklungen sich die Finanzsparten der Hersteller künftig einstellen müssen und welche Folgen dies für die künftige Kundenansprache bedeutet, hat automotiveIT mit Klaus Entenmann, CEO von Daimler Financial Services disktutiert.
automotiveIT: Herr Entenmann, die digitale Transformation beschäftigt inzwischen alle Wirtschaftszweige, ganz massiv auch die Automobilbranche und den Finanzsektor. Was kommt damit auf den Bereich Daimler Financial Services zu?
Klaus Entenmann: Wir stehen am Anfang einer neuen Entwicklung, vieles wird noch kommen – aber die Veränderungen werden, da besteht kein Zweifel, nachhaltig sein. Wir spüren inzwischen, dass der klassische Beratungsprozess im Autohaus bedingt durch die zunehmende Digitalisierung unter Druck gerät. Für uns heißt das umdenken. Wir müssen künftig noch stärker die Kundenperspektive einnehmen. Dafür setzen wir entsprechende Projekte wie die App AutoGravity (Finanzierung per Smartphone) auf, in deren Rahmen wir uns auch mal selbst attackieren und neue Wege beschreiten. Wir betreiben zudem ein gezieltes Seed Funding, um Trends aufzuspüren. Letztlich gilt es, das Kauferlebnis und den damit verbundenen Beratungsprozess in Teilen neu aufzusetzen. Daran arbeiten wir. Unsere Ideen dazu: Der Kunde muss nicht mehr zwingend ins Autohaus kommen, um sich beraten zu lassen, die notwendigen Informationen, den ganzen Prozess erhält er auf Wunsch innerhalb von fünf Minuten auch direkt auf sein Smartphone inklusive Finanzierungsangeboten von verschiedenen Banken und einer dazugehörigen Bonitätsprüfung. Wir setzten also die neuen Technologien der Digitalisierung gezielt für ein 24/7-Kundenerlebnis ein – und natürlich um die Effizienz zu steigern.
Welche Technologien stehen bei Ihnen im Fokus?
Wir investieren in Artificial Intelligence (AI) indem wir kognitive selbstlernende Sprachsystem auf Basis von IBM Watson in einem ersten Schritt sehr erfolgreich in unsere Kundenservice-Prozesse integriert haben. Die Ergebnisse zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. In einem weiteren herausfordernden Schritt werden wir Emotionen und Sprache verbinden. Denken Sie nur an die Potenziale emotionaler digitaler Intelligenz, die Kundenanforderungen verstehen und emotional mit hoher Qualität befriedigen.
Die klassischen Produkte der Autobanken sind Finanzierung, Leasing und zum Teil Versicherungen. Der Trend geht unter Umständen weg vom eigenen Auto. Rechnen Sie mit einem Rückgang bei den Finanzierungsprodukten – und wie reagieren Sie?
Ich würde nicht von einem Trend sprechen. In China war der Anteil der Finanzierungen vor ein paar Jahren noch bei zehn Prozent, heute bewegen wir uns bei rund 30 Prozent. In Los Angeles und anderen Big Citys hingegen sind die Quoten bei jungen Menschen, die ein Auto unter Umständen nicht mehr als wichtigste Investition sehen, partiell rückläufig. Wir haben es also mit unterschiedlichen Sättigungen je nach Markt und Region zu tun. Ich gehe derzeit eher von stabilen beziehungsweise wachsenden Märkten aus. Aber wir arbeiten selbstverständlich auch an neuen Produkten und haben ja bereits Trends gesetzt. Denken Sie nur an Car2go, MyTaxi oder Moovel als Mobilitätsplattform. Wir erreichen damit ganze andere Kundenschichten, die vielleicht bewusst kein Fahrzeug kaufen möchten. Die Digitalisierung räumt uns diesbezüglich ganz neue Möglichkeiten ein, die wir auch nutzen werden.
Das Interview führte: Hilmar Dunker