Der neue Mercedes-Benz EQC | Oslo 2019 // The new Mercedes-Benz EQC | Oslo 2019

Mercedes-Benz‘ erstes vollelektrisches SUV hat sich das Äußere von seinem Markenbruder GLC geliehen. (Bild: Daimler)

Es gibt wohl kein Land in Europa, in dem ein Elektroauto weniger auffällt als in Norwegen. Selten sieht man so viele Teslas, i3 und Zoes auf einem Haufen wie im Land der Fjorde. Dass Norwegen hinter China und den USA der drittwichtigste Markt für Elektroautos ist, belegen auch die Absatzzahlen: So wurden dort laut Center of Automotive Management (CAM) vergangenes Jahr 73.000 Stromer (plus 18 Prozent) verkauft, was einem beachtlichen Marktanteil von 49,1 Prozent entspricht – ein europäischer Spitzenwert. Da nimmt es auch kaum Wunder, dass sich Mercedes-Benz Oslo für die Fahrvorstellung des ersten Modells der neuen Produktmarke EQ ausgesucht hat. Die Metropole am Oslofjord ist nicht nur die Hauptstadt des nordischen Königreichs, sie gilt auch als inoffizielle „Hauptstadt der Elektromobilität“ – ein natürliches Habitat also für das Elektro-SUV EQC.

Mit dem ersten vollelektrischen SUV, das seit Mai 2019 im Mercedes-Werk in Bremen produziert wird, wolle Daimler nun endlich „den Schalter umlegen“, wie Noch-Boss Dieter Zetsche bei der erstmaligen Präsentation des EQC im September 2018 betonte. Ein erster Meilenstein der neuen EQ-Produktreihe soll der EQC sein und ab diesem Jahr auf die Märkte in Europa, China und den USA kommen.

Keine Design-Revolution

Von außen ist das E-SUV kaum von seinem konventionell angetriebenen Markenbruder GLC zu unterscheiden, einzig die Frontpartie gibt einen Hinweis auf das elektrifizierte Herz des Gelände-Stromers: Frontscheinwerfer und Lufteinlass verschmelzen zu einer Black-Panel-Fläche, die von einem darüber laufenden Lichtleiter eingefasst wird. Zusammen mit einem beleuchteten Mercedes-Stern wirkt daher zumindest die Ästhetik des Frontbereichs des EQC einigermaßen avantgardistisch. Ansonsten sind die Mercedes-Designer beim Premieren-Stromer doch weitestgehend auf Nummer sicher gegangen – vielleicht um die eher als konservativ geltende Klientel der Schwaben nicht zu vergrätzen. Das gilt im Übrigen auch für den Innenraum, der dank MBUX-Cockpit dem Status Quo des Mercedes-Interieurs entspricht.

Den wirklichen Schritt in eine neue Ära der Mobilität ist man beim EQC eher bei den inneren Werten des Crossover-SUVs gegangen. Das Modell verfügt über ein komplett neu entwickeltes Antriebssystem, bestehend aus zwei Antriebssträngen (eATS) und einer Lithium-Ionen-Batterie mit 80 kWh im Fahrzeugboden. Je eine Asynchronmaschine an Vorder- und Hinterachse sorgt für den Vortrieb, der tatsächlich enorm ist. Eine Maximalleistung von 300 kW und einem maximalen Drehmoment beider E-Maschinen von 760 Nm jagen den EQC von null auf hundert in guten fünf Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei abgeregelten 180 km/h.

Das flüssiggekühlte Batteriesystem besteht aus 384 Zellen und ist im Fahrzeugboden zwischen der Vorder- und Hinterachse angesiedelt. Laut Daimler ermöglicht sie eine elektrische Reichweite von 445 bis 471 Kilometern (NEFZ) – ein guter aber sicher nicht herausragender Wert. In der Realität wird der Premium-Stromer vermutlich nur auf eine Reichweite von knappen 400 Kilometern kommen.

Auf Effizienz getrimmt

Um diese Reichweite möglichst optimal auszunutzen, verfügt der Mercedes-Benz EQC über verschiedene Modi der Rekuperation. Über Schaltwippen am Lenkrad lässt sich von „D+“ (Segeln) bis „D–“ (starke Rekuperation) entscheiden, wie viel Bremsenergie in die Hochvolt-Batterie zurückgeführt werden soll. Wählt man die höchste Stufe der Rekuperation, kann der EQC fast ausschließlich mit dem Gaspedal gesteuert werden, was in der Realität tatsächlich zu einer entspannten und energieeffizienten Fahrweise motiviert. Noch smarter ist die Funktion „D Auto“, die im Eco-Fahrmodus auch Navigationsdaten, Verkehrszeichen und Radar- und Kamerainformationen mit einbezieht. Hinzukommt das Fahrprogramm „Max Range“, in dem der Fahrer mit dem Druckpunkt am haptischen Fahrpedal zur Einhaltung der Geschwindigkeit angemahnt wird. So entsteht insgesamt ein völlig neues Fahrerlebnis, in dem das Fahrzeug den Fahrer mehr oder weniger zur effizienten Fahrweise „erzieht“. Das mag dem traditionellen Mercedes-Kunden bevormundet vorkommen, macht in der Praxis jedoch durchaus Spaß und man muss sich weniger sorgen, falls mal eine Ladestation auf der Autobahn verpasst wurde.

Zusätzliches Vertrauen in die Reichweite des EQC will Mercedes auch mit der intelligenten Reiseplanung in der Navigation ausbauen. Für ein anvisiertes Routenziel werden der Ladezustand der Batterie, Wetterdaten, Topographie, Verkehrsfluss sowie die verfügbaren Ladestationen mit einbezogen. So lässt sich über das MBUX stets ablesen wie der Ladestand der Batterie am Ziel sein wird und ob vor Fahrtantritt noch einmal „vollgetankt“ werden muss. Sollte auf dem Weg dann doch einmal nachgeladen werden müssen, kann der EQC an einer entsprechenden Ladestation mit einer Maximalleistung von 110 kW in etwa 40 Minuten wieder auf 80 Prozent gebracht werden. Im Test an einer Autobahntankstelle im Umland Oslos reichte ein halbstündiger Ladestopp an einer Schnellladestation, um von gut 25 wieder auf knapp 80 Prozent SoC (State of Charge) zu kommen. Zuhause an einer Wallbox braucht der EQC-Kunde mit rund 11 Stunden Ladezeit wesentlich länger.

Abgerechnet wird der Ladeprozess über das extra für den EQC aufgesetzte „Mercedes me Charge“, mit dem Kunden Zugang zum Ladenetz mit weltweit 300.000 Ladepunkten erhalten – darunter auch die Schnellladestation des Ionity-Netzwerks. Der Nutzer hat hier drei Möglichkeiten für die Bezahlung: entweder über eine Ladekarte, per Mercedes me App oder direkt aus dem Auto heraus. Das funktioniert in der Praxis reibungslos und transparent.

Fortschrittliche Bedienung mit Makel

Den entsprechenden Durchblick bei sämtlichen Fahrzeugfunktionen garantiert vor allem das neue Infotainmentsystem MBUX, das erstmals in der A-Klasse Premiere feierte. Der Dreiklang aus hochauflösendem Widescreen mit Touch-Bedienung, Touchpad auf der Mittelkonsole und Touch-Control-Button am Lenkrad ist genau das, was man in einem modernen Elektroauto in Sachen User Interaction erwartet. Einzig die vielgepriesene Spracheingabe mit natürlichem Sprachverstehen, die mit dem Schlüsselsatz „Hey Mercedes“ aktiviert werden kann, trug im Praxistest nicht unbedingt zum ablenkungsfreien Bedienen des EQC bei. Einfache Befehle wie die Regulierung der Musiklautstärke oder das Aufzeigen von POI am Streckenrand überforderte die „Linguatronic“ des MBUX völlig.

Ein Makel, der jedoch nur wenig am positiven Gesamtbild von Mercedes‘ neuem Elektro-Flaggschiff kratzen kann. Der EQC, der in der einfachsten Ausstattung ab 71.281 Euro erhältlich sein wird, ist ein intelligent vernetztes, auf Effizienz getrimmtes Elektro-Kraftpaket, das den aktuellen Ansprüchen an ein zeitgemäßes E-Auto weitestgehend entspricht. Besonders avantgardistisch ist der EQC aufgrund eines sehr konservativen Designs und einer Reichweite, die niemanden vom Hocker hauen dürfte, nicht. Im Premium-Segment wird das E-SUV die Elektromobilität jedoch auf die Straße bringen können, ohne Konkurrenz von Audi, BMW oder Tesla scheuen zu müssen.

Sie möchten gerne weiterlesen?