Daimler_Vertrieb_Digitalisierung

Analoge und digitale Vertriebswelten sollen in Zukunft noch stärker verzahnt werden.

Früher war die (analoge) Welt aus Sicht des stationären Vertriebs noch in Ordnung: Wer ein Fahrzeug kaufen wollte, suchte den Händler seines Vertrauen auf, wälzte sich durch Produktkataloge und entschied sich im Optimalfall nach einer Probefahrt für das Gefährt seiner Wahl.

Im digitalen Zeitalter ist diese Kundenspezies zwar noch nicht komplett ausgestorben, doch sie wird zusehends kleiner. Bei Daimler rechnet man damit, dass bis zum Jahr 2025 ein Viertel der eigenen Kunden weltweit den Fahrzeugkauf bereits online abwickeln wird. Andere Studien zeichnen für den stationären Handel ein pessimistischeres Szenario: Eine Analyse der Managementberatung Bain & Company geht davon aus, dass 30 Prozent aller Pkw-Verkäufe in Europa bis 2025 online erfolgen. Die Umsatzrendite des stationären Vertriebs wird voraussichtlich um 1,2 Prozent sinken.

Höchste Zeit also zu handeln. Den Grundstein für den digitalen Vertrieb hat der Premiumhersteller im Jahr 2013 mit der „Best Customer Experience“ gelegt und seitdem jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag investiert. Vor sechs Jahren hob der OEM den nach eigenen Angaben branchenweit ersten Online-Store für Fahrzeuge aus der Taufe. Ein Jahr darauf wurde der Zugang zu Produkten und Dienstleistungen mit dem Launch der Servicemarke Mercedes me im Jahr 2014 vereinfacht.

„Die Digitalisierung verändert unseren Alltag sowie die Art und Weise, wie Unternehmen ihr Geschäft. Einen Mercedes-Benz zu kaufen, soll für unsere Kunden so einfach werden, wie ein Buch zu kaufen“, betont Britta Seeger vor Journalisten.

Wie sich dieses „Amazon-Modell“ auf den Fahrzeugvertrieb übertragen lässt, hat Daimler nun erstmals im niederländischen Den Haag gezeigt. Über eine personalisierte Mercedes-Benz-ID sollen die Kunden der Stuttgarter künftig on- und offline auf allen Kanälen über das Service- und Produktportfolio zugreifen können. Der OEM führt dazu im nächsten Quartal eine von Grund auf erneuerte App ein. Die Anwendung soll das gesamte Spektrum an Mobilitäts- und Konnektivitätsdienste unter einem Dach bündeln.

Das Portfolio ist in drei verschiedene strategische Felder unterteilt: „My Usage“, „My Way“ und „My Life“. Unter My Usage fallen alle Angebote, die die Nutzung des Fahrzeuges beziehungsweise des Mobilitätsdienstes erleichtern. Dies sind zum Beispiel der Sprachassistent im Infotainmentsystem, das Wartungsmanagement oder Carsharing. Darüber hinaus testet der OEM weitere Angebote wie Mercedes me Flexperience. Dieser Service erlaubt dem Nutzer den flexiblen Wechsel von bis zu zwölf Fahrzeugen verschiedener Kategorien innerhalb eines Jahres.

Das Strategiefeld „My Way“ umfasst alle Services, die die personalisierte Mobilitätsform auf dem Weg von A nach B ermöglichen. Dazu zählen auch Anwendungen im Bereich E-Mobilität unter der Technologiemarke EQ. Die Dienste reichen von der Bereitstellung des Fahrzeugs bis zur Optimierung von Ladevorgängen. Über „My Life“ sollen künftig Unterhaltungsangebote und Office-Lösungen bereitgestellt werden.

„Wir werden die App einem grundlegenden Facelift unterziehen und mit weiteren Services ausstatten. Mit diesen wenden wir uns nicht nur an unsere Kunden, sondern bieten viele Dienste als White-Label-Lösungen markenunabhängig an“, betont Marc-Oliver Nandy, verantwortlich für Digitalisierung Vertrieb und Mercedes me bei Mercedes-Benz Cars.

Neben der Weiterentwicklung der eigenen App setzt Daimler bei seinen Retail-Betrieben auf künstliche Intelligenz und datengestützte Services. Auch optisch soll sich der digitale Wandel im Vertrieb niederschlagen: Offene Raumkonzepte, großflächige Screens für Präsentationen und digitalisierte Verkaufsprozesse ohne lange Wartezeiten sind die neue Kernelemente im Handel. Seit 2018 sind weltweit rund 450 Betriebe mit dem neuen Markenauftritt geplant oder bereits ausgestattet worden.

Inwieweit der Konzern den Vertrieblern bei der Gestaltung ihrer Verkaufsräume jedoch freie Hand lässt, bleibt abzuwarten. Ohne massive Investitionen werden die hohen digitalen Ansprüche aus Stuttgart wohl kaum umzusetzen sein. Auf Nachfrage, ob der OEM daher selbst in den stationären Fahrzeugvertrieb einsteigt, reagiert man in Den Haag eher zurückhaltend. Es werde mit den Fahrzeugvertrieben weiterhin kooperativ zusammengearbeitet, heißt es von Seiten Daimlers.

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