Converged Edge Systems

Immer mehr klassische Automationsanbieter wollen ihre Produkt- und Serviceangebote nach oben erweitern. Ziel ist eine nahtlose Integration der operativen Ebene in die übergeordneten IT-Landschaften. Das kann das Rechenzentrum mit seinen betriebswirtschaftlichen Anwendungen sein oder die Cloud mit umfassenden Big-Data-Analytics-Funktionen. Die bislang auf Operational Technology (OT) spezialisierten Unternehmen dringen damit in die Domäne der etablierten Anbieter von Informationstechnologie (IT) vor.

Ein Verdrängungswettbewerb mit Angriffen und Gegenoffensiven, die Spuren hinterlassen. Eine davon sind die neuen Converged Edge Systems von Hewlett Packard Enterprise (HPE). Mit ihnen will der IT-Gigant das in den Rechenzentren weit verbreitete Konzept der Converged Systems auf die Integration von OT und IT übertragen. Bei Converged Systems werden alle für einen Anwendungsbereich erforderlichen Hard- und Softwarekomponenten in einem Komplettsystem gebündelt. Im konkreten Fall also einerseits alle Automatisierungscontroller, Sensoren und Stellgeber, andererseits die IT-Server mit Storage und Netzwerkanbindung für die Kommunikation mit dem Rechenzentrum oder mit der Cloud.

HPE glaubt, dass mit solchen Systemen für Automatisierungskunden die Notwendigkeit entfalle, mit mehreren Technologieanbietern zu sprechen. „IoT lässt sich in die Bereiche Konnektivität, Computing und Steuerung aufteilen und wir packen Steuerung, Netzwerkanbindung und Computing in eine Box. Das bedeutet, dass keine Ingenieure mehr von Rockwell oder ABB erforderlich sind, denn wir liefern alles aus einer Hand“, stellt Tom Bradicich fest, der bei HPE für den Bereich IoT und Edge Computing verantwortlich zeichnet. Heißt konkret: Die neuen Systeme sollen nicht nur die Verbindung zu den übergeordneten IT-Bereichen übernehmen, sondern darüber hinaus auch detaillierte Automatisierungsaufgaben ausführen. „Wir steuern den Roboterarm und wir geben die Sollwerte für andere Systeme vor“, erklärt Bradicich.

Auf den ersten Blick erscheint dieser Ansatz sinnvoll. Dahinter aber verbergen sich etliche Schwierigkeiten. Zum Beispiel sind am unteren Ende der Edge, also bei den Sensoren, den Gebern und Con­trollern, die aus der IT-Welt bekannten Integrationstools nicht vorhanden. Dieser Bereich ist äußerst heterogen und bei Weitem noch nicht so standardisiert, wie es in der IT-Welt bereits der Fall ist. „Plug and Play liegt beim Austausch von Robotern unterschiedlicher Hersteller noch in weiter Ferne. Derzeit müssen fast immer noch die Steuereinheiten angepasst oder sogar komplett ausgetauscht werden“, bestätigt Chantal Polsonetti, Analystin bei der ARC Advisory Group. Doch Tom Bradicich ist zuversichtlich: „Wir haben bei HPE nicht die IT erfunden und auch nicht die OT. Aber wir sind die Ersten, die beides in eine Box packen und beide Welten managen können“, verkündet er optimistisch seine Botschaft.

Kernstück der neuen HPE-Automatisierung ist das Modul Edgeline OT Link, das die Anbindung zu einer Vielzahl an OT-spezifischen Schnittstellen ermöglicht. Unter anderem gehören CAN-Bus, Modbus und Profinet zum Angebot, Softwareschnittstellen (APIs) und Entwicklungsumgebungen stehen bereit. Einer der Pilotanwender ist ein US-Autohersteller im Luxussegment, der in seiner Fertigung eine Multi-Vendor-Lösung im Einsatz hatte. HPE installierte seine Converged-Edgeline-Systeme maschinennah innerhalb der Fertigungseinrichtungen.

Auf einer Presseveranstaltung präsentierte HPE unlängst einen „Auszug“ und zeigte, wie sich die fehlerfreie Funktion einer Fahrzeugtür mit Fensterheber kontrollieren und überwachen lässt. Ein weiterer Pilotanwender ist der japanische Zulieferer Hirotec, der schon seit geraumer Zeit bei der Verschmelzung von OT und IT mit HPE zusammenarbeitet. „Wir unterscheiden nicht mehr zwischen OT und IT, wir betrachten nur noch die Gesamtfunktion. Dafür haben wir nur noch ein Team und nur noch eine Systemfamilie: Edgeline von HPE“, bestätigt Justin Hester, Senior Researcher im IoT-Lab von Hirotec.

Die klassischen Automatisierungsanbieter stehen dem Vorstoß der IT-Giganten natürlich skeptisch gegenüber. Sie sehen die Verzahnung von OT und IT nicht als eine physische Aufgabe, bei der nur alles in eine Box gepackt werden muss, sondern vielmehr als eine konzeptionelle Herausforderung. „Viel wichtiger als die Technologie ist das Verständnis der Produktionsumgebung und wie diese mit den IT-Systemen in Einklang gebracht werden kann, damit die Produktion effizient und sicher gestaltet wird. Wir bei Rockwell Automation haben über viele Jahre hinweg die entsprechenden Kompetenzen erarbeitet“, lautet die deutliche Kritik von Kai Bergemann, der das Business Development von Rockwell für Connected Serices leitet.

Einige auf IoT spezialisierte Analysten teilen diese Ansicht weitestgehend. „Wenn es um einfache IoT-Anwendungen wie die Visualisierung von Maschinendaten geht, ist IoT ,out of the box‘ durchaus ein realistisches Szenario. Doch bei komplexeren Anwendungsfällen, die beispielsweise mehr Datenanalyse erfordern, ist das völlig anders – hier ist vor allem Expertenwissen gefragt“, sagt Arnold Vogt von der Consulting Agentur PAC. Die Automatisierer müssen zugestehen, dass an der Schnittstelle von IT und OT Probleme erwachsen, für die IT-Anbieter besser aufgestellt sind. „Das Ziel von Edge-Systemen ist es, Analysen möglichst prozessnah durchzuführen und Daten vorzuverarbeiten, um die Übertragung und Speicherung großer Datenmengen zu vermeiden“, bestätigt Kai Bergemann.

Genau an diesen Punkten knüpfen nicht nur die IT-Hardwareanbieter an, sondern zunehmend große Softwarehäuser, die bislang nur in den betriebswirtschaftlichen Abteilungen anzutreffen sind. Bestes Beispiel dafür ist das auf Business Analytics spezialisierte Unternehmen SAS. „Unser Ziel ist es, Sensordaten schon so früh wie möglich zu verarbeiten, um damit die nachfolgende Infrastruktur so wenig wie möglich zu belasten“, sagt Nicole Tschauder, Analytics-Expertin bei SAS. Sie teilt diesen Prozess in sieben Schritte auf: Datentransformation, Vorverarbeitung, intelligente Filterung, Dimensionen reduzieren, Merkmale extrahieren, Performance überwachen und Anomalien erkennen.

Mit Modellen, die über diese Funktionen bereits in unmittelbarer Sensornähe verfügen, lassen sich direkte Ergebnisse erzielen. „Streaming Analytics“ nennt sie ihr Gesamtkonzept einer Edge-basierten Analytics-Plattform. „Der intelligente Umgang mit IoT-Daten und die Erschaffung von signifikantem Geschäftswert erfordert neue analytische Techniken und neue Anwendungswege“, fasst sie ihre Aktivitäten zusammen. Ähnlich zu den Edge-Systemen von HPE bietet jetzt auch SAS eine eigene Linux-basierte Plattform an. Daran sind nicht nur Sensoren angebunden, auch die Analysen laufen dar­auf. Hinzu kommt der regelbasierte Datenaustausch mit den höheren Ebenen – beispielsweise mit einer Cloud oder einer ERP-Installation vor Ort im Unternehmen.

In diesen zunehmend lukrativen Bereich des Edge Computing drängen aber nicht nur die klassischen IT- und OT-Anbieter. Auch die Hersteller von Sensoren und Scannern, die Rohdaten erfassen, wollen aus der Low-Margin-Ecke heraus und ins profitable Analyse- und Steuerungsgeschäft aufsteigen. Zebra Technologies zum Beispiel rüstete jüngst seine Sensoren und Scanner zu komplexen Datenerfassungssystemen auf, die schon auf unterster Ebene umfangreiche Analysen durchführen und Entscheidungen treffen können. „Im Bereich der Datenerfassung und Sensorik sind wir schon seit Langem führend. Deshalb ist es eine logische Weiterentwicklung, wenn wir jetzt auch Systeme für die Analyse und Datenaggregation anbieten“, sagt Technikchef Tom Bianculli. Aktuelles Beispiel ist ein RFID-basiertes Ortungssystem, das viele Automobilhersteller nutzen, um Rohstoffe, Halbprodukte, Werkzeuge und Fahrzeuge automatisch zu orten. Die Lösung liefert nicht nur präzise Positionsangaben, sondern überwacht auch, dass die Gegenstände in einem bestimmten Bereich verbleiben – ein Virtual Fencing also. Darüber hinaus werden aggregierte Aussagen zu den Gesamtbewegungen, dem Unterschreiten von Mindestbeständen sowie Vorschläge zur Transportoptimierung gemacht.

Illustrationen: HPE, Sabina Vogel

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