automotiveIT 12/2012

Volkswagen bildet zusammen mit der Technischen Universität Clausthal einen Forschungsverbund für angewandte Softwareentwicklung (automotiveIT 12/2012).

Softwareentwicklung für Motorsteuergeräte ist aufwendig und teuer. Gemeinsam wollen deshalb Volkswagen und die Technische Universität Clausthal nach Wegen suchen, um diese Entwicklung effektiver zu machen. Mit der Gründung des „Institute for Applied Software Systems Engineering“ (IPSSE) haben Europas größter Automobilkonzern und die Hochschule – mit gerade mal 4000 Studenten Deutschlands kleinste Technische Universität – einen Forschungsverbund für angewandte Softwareentwicklung ins Leben gerufen. Für Volkswagen ist die Aggregate-Entwicklung mit von der Partie. Auf Software für den Antriebsstrang wird sich das Institut zunächst konzentrieren. Denn moderne Automotoren mögen technisch noch so perfekt wirken, der Fachmann sieht immer noch Verbesserungspotenzial. Das gilt zum Beispiel für die Senkung des Kraftstoffverbrauchs. Da kann ein effektives Motorsteuergerät durch präzise Steuerung, Regelung und Überwachung einiges bewirken. Zeit und Geld sparen sollen Projekte des neuen Forschungsverbundes bei der Entwicklung von Steuerungssoftware für den Antriebsstrang. Heute arbeiten nicht selten bis zu hundert Ingenieure mehr als ein Jahr lang daran, die Software für ein Motorsteuergerät mit bis zu 200 Anschlüssen bereitzustellen. Das ist dann neben dem Motor selbst und dem Getriebe der kostenintensivste Teil des Antriebsstranges und schlägt gleich mit einigen hundert Euro zu Buche. „Da sind noch ganz enorme Effizienzgewinne möglich“, sagt Andreas Rausch, Vizepräsident für Informationsmanagement und Infrastruktur an der TU Clausthal und Leiter des neues Institutes. Er denkt dabei unter anderem an verbesserte Verfahren und Techniken zur Automatisierung von Softwaretests.

Die Bedeutung des neuen Forschungsverbundes unterstreicht Volkswagen mit einer ersten Investition. Zunächst will der Konzern fünf Millionen Euro binnen fünf Jahren in Forschungs- und Entwicklungsprojekte des neuen Instituts investieren. Für die TU Clausthal ist es eines der größten Drittmittelprojekte mit der Industrie überhaupt – höchst willkommen in einer Zeit, in der die öffentliche Förderung von Forschung und Wissenschaft immer weiter zurückgefahren wird. „Wir freuen uns sehr über die langfristige Kooperation mit Europas größtem Automobilhersteller. Die Partnerschaft ist ein hervorragendes Beispiel für die Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis. Zugleich würdigt sie die industrienahe und renommierte Ausbildung an der TU Clausthal“, schwärmt TU-Präsident Thomas Hanschke. Die Hochschule stellt vor allem die notwendige Manpower. Mindestens acht wissenschaftliche Mitarbeiter sowie bis zu fünfzehn studentische Hilfskräfte forschen zunächst am IPSSE. Die zu finden, dürfte kein unlösbares Problem sein: Bei mehr als 500 der Clausthaler Studenten steht in irgendeiner Kombination Informatik auf dem Stundenplan. Doch die Pläne reichen weiter. So soll Mitte 2013 ein Elitestudiengang starten, 2018 könnte das Institut dann 35 Mitarbeiter und mehr als 40 Studenten haben.

Standorte des Forschungsverbundes sind Clausthal-Zellerfeld und das nahe Goslar, nicht etwa die im Umland reichlich vorhandenen Städte mit Volkswagen- Werken. Das zeigt, dass es nicht um die Lösung tagesaktueller Probleme des Autokonzerns, sondern um grundlegende Prozess- und Verfahrensverbesserungen mit jahrelanger kontinuierlicher Entwicklung und Forschung geht. „Wir stehen nicht unter Zeitdruck. Da ist ein unwahrscheinlich gut funktionierendes System zwischen Industrie und Forschung entstanden, wie ich es bisher noch nirgendwo erlebt habe“, sagt Institutsleiter Rausch. Für Volkswagen geht es natürlich nicht nur um Erkenntnisgewinn, sondern auch um ganz handfeste Marktvorteile. „Für Innovationen in der Antriebsstrangentwicklung müssen Hardwarekomponenten und Software perfekt zusammenspielen. Die Kooperation mit der TU Clausthal erlaubt uns, wissenschaftliche Erkenntnisse für den Entwicklungsprozess der Software schnellstmöglich in die Praxis zu integrieren“, erklärt Stefanie Jauns- Seyfried, Leiterin Funktions- und Softwareentwicklung der Antriebselektronik des Autokonzerns.

Die strategische Partnerschaft von TU und Automobil bei Volkswagen hat aber noch weit mehr Potenzial – etwa bei der Ausbildung von künftigen Fachkräften. Der Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen, Ulrich Hackenberg, betont: „Volkswagen möchte engagierten Nachwuchs mit fundiertem technischem Wissen und Begeisterung für das Automobil fördern und zeigen, wie spannend es ist, schon früh den Bogen zwischen Wissen und praktischer Anwendung zu schlagen. Nur so werden wir auch künftig herausragende Innovationen auf den Markt bringen können.“ Das IPSSE als Bestandteil der TU Clausthal ist für Volkswagen auch deshalb interessant, weil Anknüpfungspunkte zu allen klassischen Ingenieursdisziplinen vorhanden sind. Der Automobilkonzern und die Oberharzer Universität arbeiten bereits seit Jahren in vielen Projekten erfolgreich zusammen.

Autor: Gert Reiling

Foto: VW

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