Versicherung

Neue Technologien und Mobilitätskonzepte in der Autoindustrie stellen das bisherige Geschäftsmodell der Versicherer infrage. (Bild: Volkswagen)

Schaut man sich auf der Homepage der Volkswagen Financial Services (VWFS) um, könnte man schnell den Eindruck gewinnen, auf der Seite einer großen deutschen Bank oder Versicherung gelandet zu sein. Wertpapiere, Sparkonten, Altersvorsorge oder Risikolebensversicherungen – nur an wenigen Stellen wird man daran erinnert, dass man es mit einem Unternehmen aus der Automobilbranche zu tun hat. Vorbei sind die Zeiten, als Finanztöchter von Autoherstellern sich im Aftersales lediglich um Finanzierung und Leasing gekümmert haben. Unternehmen wie die VWFS strecken ihre Fühler mittlerweile tief in die Jagdgründe der Finanzbranche aus – und das durchaus mit Erfolg. Die Finanzdienstleistungstochter des Wolfsburger Automobilkonzerns hat im vergangenen Jahr ein Vorsteuerergebnis von 2,46 Milliarden Euro erwirtschaftet – deutlich mehr Gewinn als viele klassische deutsche Kreditinstitute.

Ein Produkt, bei dem die Finanztöchter der OEMs früher nur eine Vermittlerrolle zwischen Kunden und klassischen Playern einnahmen, sind Versicherungen. Volkswagen Financial Services hält mittlerweile fast sechs Millionen Versicherungsverträge im Bestand – darunter längst nicht nur Kfz-Policen. Aber gerade im Bereich der Autoversicherungen machen die Hersteller klassischen Assekuranzen zunehmend Konkurrenz, da sie über den Wettbewerbsvorteil verfügen, den Endkunden auf der eigenen Customer Journey bis zum Ende begleiten zu können.

Und das scheinen die Autokäufer auch zu wollen: Einer Studie des Marktforschungsinstituts YouGov zufolge ist fast ein Drittel der Kunden (30 Prozent) gegenüber Autoherstellern als Anbieter von Kfz-Versicherungen positiv eingestellt. 22 Prozent können sich zudem vorstellen, eine Autoversicherung direkt beim Hersteller abzuschließen. Die neue Wettbewerbssituation trifft auf einen ohnehin stark umkämpften Markt, der in den vergangenen Jahren von enor­mem Preisdruck geprägt war. Nach der Lebens- und der privaten Krankenversicherung ist die Kfz-Versicherung mit knapp 27 Milliarden Euro Beitragseinnahmen allein in Deutschland die wichtigste Sparte im Insurance Business.

Hinzu kommt, dass neue Technologien und Konzepte in der Autoindustrie das klassische Geschäftsmodell der Versicherer infrage stellen. „Telematik, automatisiertes und autonomes Fahren sowie neue Mobilitätskonzepte treiben die Digitalisierung der Services rund ums Auto voran“, sagt Michael Rodenberg, Geschäftsführer von Eucon Digital, einem Digitalisierungsspezialisten im Bereich Schadenmanagement. So stehen nutzerbasierte Telematiktarife wie „Pay as you drive“, bei denen sich die Versicherungsbeiträge durch einen vorsichtigeren Fahrstil reduzieren lassen, schon seit Jahren auf der Agenda der Versicherungsbranche, fristen im Markt jedoch immer noch ein Nischendasein. Ein Grund: die geringe Nachfrage bei den Kunden.

Einer Analyse des Verbraucherportals Finanztip zufolge bieten derzeit nur noch elf Kfz-Versicherer entsprechende Verträge an, vergangenes Jahr waren es noch 14. Mehr Erfolg könnten die Assekuranzen im Bereich der neuen Mobilitätsdienstleistungen haben, meint auch Experte Rodenberg: „Dabei geht es um Pay-per-Use-Tarife, also situative Versicherungen im Fall der temporären Nutzung, zum Beispiel eines Carsharing-Angebots. Hier müssen Versicherer Möglichkeiten finden, ihr Angebot weiterzuentwickeln und den Kunden passend zu adressieren.“

Kooperation mit der Autoindustrie

Für die Versicherungsbranche tun sich grundsätzlich zwei Wege auf, im umkämpften Mobilitätssektor Fuß zu fassen, in dem sich Player wie Vergleichsportale, Direktversicherer oder Automobilhersteller tummeln. Entweder drücken sie die eigenen Tarifprodukte weiter in den Markt oder sie suchen den Schulterschluss mit der Automobilindus­trie. Für Letzteres hat sich die Allianz entschieden, die mit der Huk-Coburg jährlich um den Titel des größten Kfz-Versicherers Deutschlands buhlt.

Dafür hat die Münchener Gruppe mit der Allianz Automotive eine eigene Sparte ins Leben gerufen, die sich dezidiert um Kooperationen in der Autoindustrie kümmern soll. „Unser ureigenes Ansinnen ist es, datengetriebene Geschäftsmodelle gemeinsam mit den OEMs aufzubauen“, sagt Claudius Leibfritz, CEO der Allianz Automotive und Mitglied des Vorstandes von Allianz Partners. „Wir sehen uns da eher im Wettbewerb zu traditionellen Kfz-Versicherern als zur Autoindustrie.“

Schon vor Jahren hat sich die Allianz mit Volkswagen Financial Services zu einem Joint Venture zusammengetan, seit Kurzem fokussiert man sich auch auf neue Mobilitätsformen: Zusammen mit Daimlers Carsharing-Dienst Car2go etwa hat die Allianz eine Haftpflichtversicherung entwickelt, die an das minutenbasierte Bezahlmodell im Carsharing angepasst ist. „Wir wollen bei der Gestaltung der neuen Mobilität eine aktive Rolle spielen“, bekräftigt Leibfritz. „Für die Versicherungsbranche gibt es da noch viel zu lernen.“

Freilich ist der partnerschaftliche Weg keine Lösung für jedes Versicherungsunternehmen. „OEMs agieren global, so dass für die Form der Kooperation eher die großen internationalen Versicherer attraktiv sind“, erklärt Eucon-Digital-Geschäftsführer Michael Rodenberg. Kleinere und mittlere Kfz-Versicherer mit Fokus auf dem deutschen Markt kämen für solch ein Modell eher weniger infrage. Für solche Versicherer, die sich alleine im Kfz-Segment behaupten müssen, kennt der Experte einen Alternativweg: „Um weiterhin eine Relevanz für Versicherungsnehmer zu behalten und die Kundenschnittstelle zu verteidigen, müssen die Versicherer tiefer in den Lebensalltag der Kunden eindringen und neben der reinen Versicherungsleistung weitere Services rund um das neue Mobilitätsökosystem anbieten.“

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