Zwei Mitarbeiter sitzen fröhlich vor einem Bildschirm und tüfteln etwas aus.

Unternehmen sollten einen Kanal für Ideen besitzen, um diese zu bewerten und Ressourcen zuzuordnen – jenseits von althergebrachten Hierarchien. (Bild: Adobe Stock/Gorodenkoff)

Die Herausforderungen der Automobilindustrie werden mit einem starken gesellschaftlichen Wandel und politischem Druck, der hin zu nachhaltigeren Antrieben und autofreien Innenstädten geht, nicht einfacher. „Es gibt noch viel Unsicherheit, wie groß der Marktsog für eine Disruption wirklich ist. Wollen Nachfrager tatsächlich komplett neue Mobilitätsangebote, die den Automotive-Markt radikal verändern? Was die Kunden wollen, bleibt damit die große Unbekannte“, meint Søren Salomo, Leiter des Fachgebiets für Technologie- und Innovationsmanagement der TU Berlin. Das Verständnis der Kundenseite ist aus seiner Sicht einer der wichtigsten Parameter im Innovationsmanagement: Hier sei mehr Investment nötig. „Technologiemanagement und Kundenseite müssen besser verknüpft werden“, meint der Experte.

Kunden müssen einbezogen werden

So sieht das auch Ralf Kalmbach, Partner bei Bain & Company und Co-Leiter der weltweiten Praxisgruppe Automotive & Mobilität. Das Wichtigste sei, die wirklichen Kundenbedürfnisse zu verstehen: Dafür solle der Innovationsprozess anders als früher beim Kunden anfangen. „Die Innovationsprozesse müssen eine offene Schnittstelle zum Kunden bekommen. Da ist Veränderung erforderlich, auch wenn zunehmend mehr Informationen automatisch aus den Fahrzeugdaten im Feld zur Verfügung stehen“, so Kalmbach. „Das Thema Innovationsmanagement hat sich deutlich verändert: Während es bis vor einigen Jahren noch um eine lineare Verfeinerung hin zum Nachfolgemodell ging, erleben wir jetzt, dass sich ganze Architekturen ändern“, erklärt Kalmbach.

In den Konzernen werden zweistellige Milliardensummen investiert und man sei insbesondere bei der Elektrifizierung am Maximum der Anspannung. Zu den größten Veränderungen zählt für Kalmbach der Wandel zu Software und größeren Rechnereinheiten, Antriebsarten und Ansprüche ans Fahren. 30 Prozent oder mehr der Wertschöpfung im Auto kämen aus der Software. Zudem sind immer mehr Spieler in komplexere Innovationsprozesse involviert.

„Im Innovationsmanagement sollten die Zulieferer in das Ökosystem einbezogen werden“, ist sich Kalmbach sicher. „Die Automobilunternehmen haben traditionell inkrementell weiterentwickelt und damit viele Einzellösungen geschaffen – dies erhöht die Komplexität des Produktes, was wiederum einen innovativen Quantensprung erschwert“, merkt auch Søren Salomo an. Beispielsweise gebe es häufig noch um die 500 unterschiedliche IT-basierte Systeme im Fahrzeug, während neue Anbieter mit nur sehr wenigen, aber integrierten Systemen auskommen.

Industrie muss sich schleunigst anpassen

Über die Notwendigkeit, schneller zu innovieren, sind sich Experten einig, über den Weg dahin, weniger. „Wer meint, Innovation von den Konzernfachbereichen trennen zu können, der liegt falsch, wenn er auf langfristigen Impact setzt“, meint Salomo. Gerade dort, wo Startups ins Spiel kommen, müsse man zwischen echter Innovation und Innovationstheater unterscheiden. „Ein smartes Office in Berlin zu eröffnen, sichert alleine keine Produktinnovation“, stellt Salomo klar. Es sei hilfreich, um sich neuen Mitarbeitergruppen zu öffnen, aber langfristig trage es wenig dazu bei, das Produktportfolio substanziell zu erneuern.

Wer beim Bild des langsamen Konzern-Supertankers mit Startups als Schnellbooten bleibe, der müsse zudem mit Unzufriedenheit im Konzern wegen des langsamen Kurses rechnen. „Gerade für einige mittelständische Zulieferer ist noch ein gutes Stück Weg zu gehen. Dort fehlen häufig noch die Kompetenzen rund um die Softwareentwicklung und das Verständnis, wie sich ihr Spielfeld in der Zukunft ändert“, so Kalmbach. Der Fachkräftemangel sei gerade hier ein Problem.

Auch große Zulieferer und OEMs seien noch nicht dort, wo sie hinmüssten: „Die Industrie befindet sich in einer Anpassung disruptiver Art. Sie muss die gewohnten Projekte abwickeln und sich gleichzeitig neu erfinden – ohne klares Zielbild bei gleichzeitig sehr hohem Druck, den F&E-Bereich schneller, günstiger und anders zu machen“, glaubt Kalmbach. Ambidextrie, also die Fähigkeit der Unternehmen, unterschiedliche Zielbilder gleichzeitig zu verfolgen, sei deswegen weiterhin wichtig, nicht alle Projekte könnten innerhalb der Organisation entwickelt werden.

Anzahl der Entwickler ist nicht der Knackpunkt

Zur Veränderung in Forschung und Entwicklung gehört für ihn die Digitalisierung und Neuausrichtung der Prozesse mit entsprechenden Entwicklungstools. Innovation habe aber auch immer mehr mit dem Aufbau von Halbleiterwissen zu tun, um den Weg von den klassischen verteilten Steuergeräten hin zu größeren Recheneinheiten zu schaffen, meint Kalmbach – ein komplexer Prozess, bei dem noch nicht alle weit genug sind.

„Die Anpassung von Innovationsprozessen wird noch zu konservativ gehandhabt, weil der Kosten- und Innovationsdruck zunimmt. Es reicht nicht, mehr Entwickler einzustellen, sondern es kommt auf eine Optimierung der Gesamtstrategie an“, weiß Ralf Kalmbach. Das Thema sei für Mittelständler sogar besonders wichtig, um ihre Effektivität zu steigern, einen größeren Fundus von Ideen einzubinden und schnelleres Feedback zu erreichen.

Noch machten aber auch gerade die Großen der Automobilbranche nicht genug aus der Ressource ihrer Mitarbeiter, glaubt Experte Søren Salomo. Ein inkrementelles Vorschlagswesen reiche nicht aus, um das vorhandene Wissen zu heben. „In einer Routineorganisation gibt es im durchgetakteten Alltag wenig Freiraum. Das steht im Konflikt mit dem Freiheitsgrad, etwas Anderes denken zu dürfen und zu können. Gleichzeitig haben wir das Glück, dass viele Mitarbeiter intrinsisch motiviert sind. Wir müssen es als Organisation schaffen, darauf zu reagieren“, meint der Wissenschaftler der TU Berlin.

Scrum passt nicht zu jeder Projektphase

Wenn jemand eine gute Idee habe, sollte die Organisation dafür einen Kanal besitzen, um die Idee zu bewerten und Ressourcen zuzuordnen – jenseits von althergebrachten Hierarchien. „Auf Ideen, die über das normale Verbesserungsmanagement hinausgehen, sind klassische R&D-Prozesse und State-Gate-Verfahren allerdings selten ausgelegt“, konstatiert Salomo. Aus Forschungssicht zeige sich, dass Unternehmen dringend eine klar definierte Struktur und Prozesslandschaft für Innovation innerhalb der eigenen Organisation benötigen.

„Nicht jede Innovation ist gleich. Die Mitarbeiter und die Vorgesetzten müssen verstehen, dass es drei, vier unterschiedliche Arten von Innovation gibt, und wissen, was damit jeweils zu machen ist“, sagt Salomo. Der TU-Innovationsexperte warnt zudem davor, agile Methoden wie Scrum zu früh im Projekt einzusetzen: „Man muss aufpassen, nicht mit der großen Kanone des Projektmanagements auf kleine Ideen zu zielen. Je innovativer und neuer eine Idee ist, desto weniger ist ein Projekt definiert. Scrum passt häufig erst dann, wenn die Projektdefinition abgeschlossen ist.“

Sie möchten gerne weiterlesen?