Im Juni 2011 überraschten fünf Automanager die Fachwelt mit einem gemeinsamen Auftritt: Auf einem Branchenkongress kündigten die Elektrik-Entwicklungsleiter von Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen ihre Absicht an, ein zweites Versorgungsnetz für die elektrischen und elektronischen Komponenten in ihre Autos einzuziehen. Das, so die Vision des Quintetts, würde die Türen für die Nutzung zusätzlicher elektrischer und elektronischer Komponenten weit aufstoßen und den Spielraum der Entwickler drastisch ausweiten. Heute, knapp vier Jahre später, hat sich diese Ankündigung zu Produkten und konkreten Techniken verdichtet. Was steckt dahinter? Die Zahl der elektrischen Verbraucher im Fahrzeug nimmt kontinuierlich zu. Hingen früher nur der Anlasser, einige Glühlampen und Relais sowie vielleicht das Radio am Bordnetz, so hat der Siegeszug der Mikroelektronik die Anzahl elektronischer Steuergeräte und anderer Verbraucher in den letzten zwei Dekaden förmlich explodieren lassen; entsprechend steil stieg der Leistungsbedarf. Um mehr Leistung zu den zahlreichen Verbrauchern zu transportieren, ist zwar nicht zwangsläufig eine höhere Spannung erforderlich. Will man allerdings bei der traditionellen Bordspannung von zwölf Volt bleiben und trotzdem mehr Power durch die Drähte pumpen, so sind dazu dickere Leitungen vonnöten. Dicke Kupferdrähte aber, das bedeutet schwere, unflexible und dazu auch noch teure Kabelbäume. Diese aber sind schon heute ein Sorgenkind der Fahrzeugentwickler – nicht zuletzt wegen ihres Gewichtes. Die Tendenz zu mehr Elektronik ist indes schon lange abzusehen. Daher gab es schon in den neunziger Jahren Überlegungen zur Einführung einer erhöhten Bordspannung; damals hatten die Vordenker eine Spannung von 42 Volt im Sinn. Die Aktivitäten verliefen aber zunächst im Sand. Passende Halbleiter und sonstige Bauteile waren damals nicht verfügbar, jedenfalls nicht zum gewünschten Preis. Der erneute Vorstoß des deutschen Herstellerquintetts jedoch findet in einem gänzlich gewandelten Umfeld statt. Heute sind die entsprechenden Bauteile leichter und viel preiswerter verfügbar. Vor allem aber ist die Dringlichkeit zur Einführung einer höheren Bordspannung gestiegen. Der Grund: Unter dem Druck, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, hat die Autoindustrie im Lauf der vergangenen Dekade die Nebenaggregate immer stärker elektrifiziert. Beispielsweise lösten elektrisch betriebene Servolenkungen und Kühlmittelpumpen frühere Konzepte ab, bei denen diese Funktionen ihre Energie direkt aus dem Motor des Fahrzeugs bezogen. Hinzu kommen wichtige Funktionen hybrider Antriebsstränge wie Rekuperieren, Boosten oder elektrisches Anfahren und Rangieren. All diese Funktionen haben eines gemeinsam: Sie benötigen relativ hohe elektrische Leistungen. Würde die Industrie ihre althergebrachte Bordnetzspannung von zwölf Volt beibehalten, müssten in den Fahrzeugen wohl armdicke Leitungsstränge verlegt werden. „Mit 48 Volt können wir bei gleichen Strömen im Vergleich zu zwölf Volt die vierfache Leistung übertragen“, erklärt Harald Kröger, Leiter Entwicklung Elektrik/Elektronik bei Mercedes-Benz Cars, die Perspektive.
hat sich mittlerweile zur Spezifikation LV148 verdichtet, die als technische Richtschnur für die Einführung des neuen Spannungspegels gilt. Neben dem neuen 48-Volt-Netz für die besonders energiehungrigen Verbraucher bleibt das bewährte 12-Volt-Netz erhalten. Beide Teilnetze sind über bidirektionale Spannungswandler miteinander gekoppelt, damit die Energie in beide Richtungen fließen kann. Was zunächst aussieht wie eine unnötige Verkomplizierung der elektrischen Landschaft unter der Haube hat einen wirtschaftlichen Hintergrund. „Viele elektronischen Komponenten sind entweder ausschließlich für zwölf Volt ausgelegt oder aber als 48-Volt-Version noch deutlich teurer“, so Kröger. „Ein vollständiger Wechsel von zwölf auf 48 Volt für das gesamte Bordnetz würde eine Neukonzipierung oder zumindest eine Umstellung aller Elektroniksysteme notwendig machen. Das ist ein sehr komplexer Prozess und angesichts der großen Economies of Scale bei 12-Volt-Standardkomponenten auch nicht wirtschaftlich.“ Diese Zweigleisigkeit ebenso wie generell der Anschluss von Verbrauchern im Hochleistungsbereich verlangt den Entwicklern einiges an zusätzlichem Kopfzerbrechen ab – nicht zuletzt, weil damit elektromagnetische Störimpulse ins Leitungsnetz gelangen, die mit hohem Aufwand wieder herausgefiltert werden müssen. Dennoch lohnt sich der Aufwand. „48 Volt ist der Schlüssel für Einstiegshybride“, erläutert ein Sprecher von Bosch. Das Boost-Recuperation- System (BRS) des schwäbischen Zulieferers kombiniert vier Funktionen in einem System: Rekuperation, Boosten, eine komfortable Start-Stopp-Funktion sowie etwas, das Bosch „Segelfunktion“ nennt: Nimmt der Fahrer dabei den Fuß vom Gas, so wird der Motor über eine elektrisch betriebene Mechanik ausgekoppelt und das Auto kann dann im Leerlauf mit minimalem Spritverbrauch dahinrollen. Darüber hinaus eröffnet die 48-Volt-Ebene die konsequente Fortführung der Strategie, Nebenaggregate vom Motor zu entkoppeln und sie elektrisch zu betreiben. Weil sich der elektrische Betrieb über ein intelligentes Steuergerät viel leichter am Bedarf orientieren lässt als über eine starre Verbindung mit dem Motor, etwa über einen Keil- oder Zahnriemen, macht er weitere Effizienzsteigerungen des Antriebssystems möglich. Wie so etwas in der Praxis aussehen kann, führt der Zulieferer Valeo mit einem elektrisch angetriebenen und gesteuerten Turbolader vor: Während beim herkömmlichen Abgasturbolader die Wirkung stark vom Abgasdruck und damit von der Drehzahl des Motors abhängt, lässt sich die Charakteristik des Elektro-Laders über einen Algorithmus im zugehörigen elektronischen Steuergerät weitgehend nach dem Belieben des Fahrzeugherstellers formen, das Turboloch verschwindet. Der Fahrzeugentwickler kann damit je nach Präferenz und Markenimage seinem Motor einen äußerst sparsamen Umgang mit dem Kraftstoff anerziehen.
Oder er kann einen schwergewichtigen Diesel zum Tanzen bringen, wie es Audi mit seinem elektrischen Biturbo-Konzept vorgeführt hat. Das Unternehmen stellte zwei Technikstudien auf Basis des RS 5 TDI vor, in welchen der elektrische Verdichter zum Einsatz kommt. Weil der Elektromotor die Turbine aus dem Stand heraus in der atemberaubend kurzen Zeitspanne von nur 250 Millisekunden auf seine Maximaldrehzahl bringt, verschafft er den beiden Fahrzeugen einen „nahezu ansatzlosen Kraftaufbau auch bei niedrigen Drehzahlen“, wie der Ingolstädter Autobauer in einer Mitteilung schwärmt; doch auch schwere Limousinen und SUVs machen damit vom Stand weg einen Satz, der sogar Sportwagenentwickler ins Grübeln bringen dürfte. Beim Hochdrehen bedient sich der elektrische Lader dann allerdings recht gierig an der Energieversorgung: Satte sieben Kilowatt saugt er aus der Batterie. Schon in einem 48-Volt-Netz bewirkt das einen happigen Strom von 145 Ampere. In einem 12-Volt-Bordnetz dagegen würde der Lader gut 580 Ampere ziehen – genug, um so manche Leitung richtig zum Glühen zu bringen.