Ein Mitabreiter von BMW sitzt hinter einem Bildschirm und kontrolliert am Band vorbeifahrende Karosserien.

Künstliche Intelligenz soll die Arbeitssituation der Mitrbeiter verbessern und sie ergänzen - nicht zwangsweise ersetzen. (Bild: BMW)

Wirtschaftliche Krisen und Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) haben eine Sache gemeinsam: Beide werden häufig mit dem Schreckgespenst des Jobverlusts in Verbindung gebracht. Die Krise in der Autobranche, die durch die anhaltende Corona-Pandemie nun noch verstärkt wird, hat bei den OEMs und Zulieferern bereits tausende Stellen gekostet, das ganze Ausmaß der Krise ist heute noch gar nicht absehbar. Künstliche Intelligenz, die in der breiten Öffentlichkeit oft als Technologie wahrgenommen wird, die den Menschen in Verwaltung und Fabrik langfristig ersetzen könnte, setzt ihren Siegeszug trotz oder gerade wegen der Krise ungehindert fort. Laut einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung wird das Coronavirus die Bedeutung und Entwicklung von KI-Technologien deutlich steigern – und damit immer schneller zu einem elementaren Wettbewerbsfaktor.

Hand in Hand mit Mitarbeitern

Die Bedeutung von künstlicher Intelligenz für Unternehmensprozesse und für das Produkt selbst haben auch die Autobauer längst erkannt – und werden gleichzeitig nicht müde zu betonen, dass intelligente Algorithmen Freunde und nicht Feinde des menschlichen Mitarbeiters sind. „KI-Technologien werden von unseren Mitarbeitern in den Werken als Unterstützer wahrgenommen, da wir mit klugen Algorithmen Routineaufgaben automatisieren können“, sagt Michael Würtenberger, Chef des „Project AI“ bei der BMW Group. „Künstliche Intelligenz hilft uns, Verbesserungen zu erreichen, die wir sonst nicht erreicht hätten. In den meisten Fällen geht das mit einer Optimierung der Arbeitssituation unserer Mitarbeiter einher.“ Im Exzellenzcluster Project AI laufen seit einiger Zeit die verschiedenen Initiativen in Sachen KI entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammen, sowohl was die Technologien an sich als auch den Kontakt zur Forschung anbelangt.

Für den Münchener OEM ist künstliche Intelligenz nach eigenen Aussagen längst keine Zukunftsmusik mehr. Egal ob im Produkt Fahrzeug selbst oder in dessen Herstellung, KI soll entlang der gesamten Wertschöpfungskette Prozesse vereinfachen und effizienter machen – und das möglichst Hand in Hand mit den Mitarbeitern. „Das häufig zitierte Bild des Roboters, der dem Werker die Arbeit wegnimmt, kann ich für BMW überhaupt nicht bestätigen“, betont Würtenberger. „Wir gehen sehr proaktiv auf die Kollegen in der Produktion und die Betriebsräte zu, um sie beim Thema KI mit an Bord zu holen.“ Das soll laut Würtenberger vor allem dadurch gelingen, bei der Belegschaft angewandtes Basiswissen zu generieren, um verständlich zu machen, zu was KI überhaupt in der Lage ist.

Kombination mit Smart Data Analytics

Besonders eindrücklich lässt sich der Einfluss smarter Algorithmen bei BMW in der Produktion nachvollziehen. In einigen deutschen Werken hat der bayerische Autobauer vom Presswerk bis hin zur Endmontage verschiedene Use Cases aufgesetzt, bei denen KI eine zentrale Rolle spielt. Entsprechende Technologien werden dort mit Methoden der Smart Data Analytics kombiniert und in erster Linie für die Prozessoptimierung und Qualitätssicherung eingesetzt. „KI spielt eine große Rolle bei der Datenanalyse“, betont Matthias Schindler, Clusterverantwortlicher für künstliche Intelligenz im Produktionssystem BMW. „In der Lackiererei beispielsweise sammeln wir massenweise Daten, teilweise 1000 Messpunkte pro Sekunde. Da brauchen wir dringend Automatismen, die wir mit KI realisieren können.“

Im BMW-Werk München soll künstliche Intelligenz in der Lackierstraße Live-Daten aus Staubpartikelsensoren in den Lackkabinen und Trocknern mit den Informationen aus einer umfassenden Datenbank zur Staubpartikelanalyse abgleichen. Die Daten hierfür stammen von der automatischen Oberflächeninspektion während des Lackierprozess. Sollten also unter anderem durch längere Trockenheit die Staubwerte ansteigen, erkennt der Algorithmus diesen Trend rechtzeitig und errechnet beispielsweise einen früheren Zeitpunkt für einen Filterwechsel.

Einsparungen bei Kamerahardware

Auch an anderer Stelle im Karosseriebau oder in der Montage sollen intelligente Algorithmen ein Auge auf die Qualität haben. Bislang setzte man bei BMW auf der Suche nach Fehlern auf konventionelle Bildverarbeitung, bei der in der Vergangenheit jedoch eine relativ hohe Pseudo-Fehlerquote existierte, die die Abläufe teilweise stark beeinflusste. Denn jedes Mal, wenn ein vermeintlicher Fehler angezeigt wird, muss ein Vorarbeiter das Fahrzeug an der Linie suchen, feststellen, ob der Fehler tatsächlich vorhanden ist, und, falls nicht, diesen wieder aus der Datenbank löschen.

„Das bindet natürlich massiv Kapazitäten, die wir an anderer Stelle eigentlich besser gebrauchen könnten“, erklärt Schindler. Mithilfe von KI könne man nun direkt im Produktionsfluss sehr flexibel ein enormes Spektrum an Parametern in der Qualitätskontrolle abdecken. Hinzu komme, so Schindler, dass man durch die neuen Methoden deutlich an Platz und teurer Kamerahardware spare und man weitgehend Prozessstopps vermeiden könne. „Nicht zuletzt erreichen wir mittels smarter Algorithmen eine Pseudo-Fehlerquote von null Prozent und erhalten so im Blick auf die Datenqualität ein wesentlich robusteres Inspektionssystem“, unterstreicht der BMW-Produktionsexperte.

Eingeschlagener Weg ist unumkehrbar

Und obwohl der bayerische Premiumhersteller schon heute spürbare Effizienzgewinne durch eine KI-gestützte Datenanalyse einfährt, bleibt die Umsetzung in den Produktionsalltag nicht ohne Hürden. Für Matthias Schindler sind es vor allem zwei Herausforderungen, die der IT und den Produktionern noch Kopfzerbrechen bereiten: Zum einen gilt es, entsprechende intelligente Applikationen in die bestehenden Systemlandschaften zu integrieren, zum anderen müssen spezifische Kundenanforderungen eingespeist und von der KI umgesetzt werden. „Es ist alles andere als trivial, Schnittstellen für solche Informationen in den teilweise durchaus betagten Legacy-Systemen einzurichten. Das bedeutet häufig mehr Arbeit, als die Algorithmen zu programmieren und zu trainieren“, erzählt Schindler. Organisatorisch hat sich Schindlers Einheit daher so aufgestellt, dass sich eine Abteilung eher mit den KI-Innovationen an sich und eine andere mit dem Rollout und dem Aufbau von Schnittstellen an die weltweite Produktions-IT beschäftigt.

Die technologischen Herausforderungen der künstlichen Intelligenz bestehen weiterhin, dennoch ist für BMW der eingeschlagene Weg unumkehrbar. „Um es ganz klar zu sagen: Die Zukunft kann man nicht verschieben“, betont auch BMW-Manager Michael Würtenberger. Entwicklung und Forschung an KI-Technologien würden auch in Krisenzeiten weiter forciert werden. Während der Corona-Pandemie beispielsweise hätte natürlich die Absicherung der Lieferketten im Vordergrund gestanden, was jedoch nicht bedeutete, dass Projekte zu neuen Technologien in Gefahr gewesen wären. „Denn diese werden uns künftig helfen, Krisen wie die aktuelle zu überstehen“, sagt Michael Würtenberger.

Offen für Neues

Eine Kamera an der Wand in einem Werk von BMW.

Seit Ende letzten Jahres ist BMW dazu übergangen, ausgewählte Algorithmen aus dem KI-Bereich auf der Open-Source-Plattform GitHub des Partners Microsoft zu veröffentlichen. Die Algorithmen stammen in erster Linie aus verschiedenen Anwendungen der automatisierten Bilderkennung und Bildmarkierung. Durch die Veröffentlichung erhofft sich BMW, dass sich Softwareentwickler weltweit den Quelltext schnappen, ihn ändern, nutzen und weiterentwickeln. So sollen interessierte User Einblicke in bereits bewährte Software beispielsweise bei der Bildmarkierung erhalten und gleichzeitig kann die BMW Group so die Entwicklungszeit unter anderem für die neuronalen Netze autonomer Transportsysteme und Roboter deutlich reduzieren. Um BMWs Sicherheits- und Qualitätsansprüchen gerecht zu werden, veröffentlicht der OEM jedoch keine konkreten Trainings- oder Bilddaten, die etwa zur Manipulation missbraucht werden könnten. Offen zugänglich sind nur solche Algorithmen, die den Weg zu einer KI erleichtern könnten. Die eigentliche KI-Anwendung bleibe stets vor externem Zugriff geschützt, versichert der Münchener Premiumhersteller.

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