Audi_CCI-Studie

Gibt man bei der Google-News-Suche den Begriff „Autoindustrie“ ein, dominieren in den Ergebnissen Begriffe wie „Affäre“, „Skandal“, „Schlingern“ oder „unattraktiv“. Worte, die gewiss kein positives Licht auf die Branche werfen. Seit Jahren kommt sie nicht aus den Negativschlagzeilen heraus, immer wieder werden neue dunkle Kapitel in einer eigentlich geschichtsträchtigen Industrie aufgeschlagen. „Wir haben massiv an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren“, sagte der Präsident des Autoverbandes VDA, Bernhard Mattes, im Juni.

Die Hersteller tun viel, um ihr schlechtes Image durch Initiativen abzustreifen, die in eine unbelastete Zukunft weisen. Egal ob Elektromobilität, autonomes Fahren oder grundsätzlich die Digitalisierung – die OEMs scheinen begriffen zu haben, wie eine Utopie der Mobilität aussehen könnte.

Getrieben von branchenfremden Playern, die „digital first“ schon im Genom tragen, streben nun auch die alten Autoriesen eine Zukunft als Mobilitätsanbieter an. Kein Hersteller kann es sich mehr leisten, zum einen das Kernprodukt Auto technologisch nicht mit den Ansprüchen der Autonomie, der Elektrifizierung und der Vernetzung in Einklang zu bringen und zum anderen kein digitales Ökosystem mit smarten Services aufzubauen.

Ein mittlerweile gut etablierter Indikator für den benannten Fortschrittswillen ist die Connected-Car-Innovation-Studie des Centers of Automotive Management (CAM), die in Zusammenarbeit mit carIT 2018 zum vierten Mal erschienen ist. Die Studie vergleicht die Leistungs- und Innovationsstärke von 19 Automobilherstellern weltweit und der acht wichtigsten Autonationen anhand diverser Kernindikatoren. Im Blick: fahrzeugtechnische Innovationen im Bereich Connected Car (CC), Mobilitätsdienstleistungen sowie der Digitalisierungsgrad der Länder.

In den vergangenen Jahren hat die Zahl an Vernetzungslösungen und Mobilitätsdienstleistungen rapide zugenommen. Trotz eines leichten Rückgangs ist auch im Erhebungszeitraum 2017 mehr als jede zweite Innovation (insgesamt: 543) eine Lösung aus dem Bereich Connected Car. Vor zehn Jahren lag der CC-Anteil an den Gesamtinnovationen noch bei unter 30 Prozent. Gleichzeitig haben die Hersteller immer mehr intelligente Mobility Services im Programm. Das CAM zählte im vergangenen Jahr mehr als 600 relevante Innovationen – inklusive der Lösungen neuer Player wie Uber oder Didi Chuxing.

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir vor einer Phase der Konsolidierung stehen“, erklärt CAM-Direktor und Studienleiter Stefan Bratzel. „Die Hersteller müssen die zahlreichen CC-Innovationen und Mobilitätsdienstleistungen mit dem nötigen Reifegrad auf die Straße bringen.“ Ein OEM, der in den vergangenen Jahren bei fahrzeugtechnischen Innovationen im Connected-Car-Bereich besonders auftrumpfen konnte, ist der Volkswagen-Konzern. Die Wolfsburger erreichen mit 95 Indexpunkten im Ranking wie in den Vorjahren den ersten Platz. Und das, obwohl die VW Group einen Verlust von fast 40 Punkten hinnehmen musste.

 

 

 

Innovationsmotor im Konzern ist die Marke Audi, die im Jahr 2017 mit der Premiere des A8 einige Neuerungen unter anderem im Bereich der Fahrerassistenz mit ins Gesamtergebnis einfließen lassen konnte. Die Kerbe aus dem vergangenen Jahr auswetzen konnte BMW. Die Münchener springen dank zahlreicher Innovationen im 5er von Rang vier wieder auf Platz zwei und schieben sich mit 70 Indexpunkten zwischen Volkswagen und Daimler. Die Schwaben gehören neben Volkswagen zu denjenigen OEMs, die sich im Jahr 2017 offenbar eine Verschnaufpause bei den Connected-Car-Innovationen gönnen.

Enttäuschend ist allerdings das Abschneiden des Vorjahresdritten Tesla: Konnte der Elektroauto-Pionier 2016 unter anderem mit der Einführung des Autopiloten noch stark auftrumpfen, büßt er letztes Jahr fast 60 Prozent seiner Indexpunkte ein. Trotzdem landet er im Ranking immerhin noch auf Rang sechs hinter Ford. „Tesla ist über die Autobranche eingebrochen wie ein Tornado, auch in Sachen Innovationen im Connected Car“, sagt Experte Bratzel. „Nun muss das Enfant terrible der Mobilität jedoch erst einmal nachweisen, dass seine zahlreichen Ankündigungen nicht nur leere Versprechungen bleiben.“

Eine positive Überraschung wartet auf Rang vier: Nach einem schwachen Ergebnis im Vorjahr (Platz 14) springt Toyota mit 40 Indexpunkten dieses Jahr weit nach vorne. Dies haben die Japaner vor allem der neuen Oberklassenlimousine LS der Premiummarke Lexus zu verdanken. „Toyota hat sich lange Zeit auf den Antriebssektor fokussiert – vielleicht viel zu lange“, sagt Studienleiter Bratzel. Doch dank seiner Marktmacht und wiederentdeckten Innovationskraft habe das Unternehmen die Chance, verlorenen Boden schnell wiedergutzumachen, so der Experte. Das Jahr 2017 scheint grundsätzlich ein gutes für japanische OEMs zu sein: Neben Toyota können auch Mazda, Suzuki, Subaru und Honda deutliche Gewinne bei der CC-Fahrzeugtechnik verzeichnen.

Das täuscht jedoch nicht über die Tatsache hinweg, dass sich die Genannten weiterhin eher im Bereich der Low Performer bewegen. Gleiches gilt im Übrigen für Marktgrößen wie Renault-Nissan-Mitsubishi, Geely oder Fiat Chrysler, die allesamt zu wenig aus ihren Ressourcen machen. Ein Feld, das die Hierarchien in der Autoindustrie nachhaltig durcheinanderbringen wird, ist das der Mobilitätsdienstleistungen. Hier tummeln sich nicht nur die großen OEMs, sondern auch neue Player, die offenkundig für den Siegeszug der Plattformökonomie viel besser gewappnet sind als die schwerfälligen Hersteller.

„Wir erleben eine Erosion der Grundpfeiler der Autoindustrie, wie sie die letzten 120 Jahre funktioniert hat“, konstatiert Bratzel. Beispiel Fahrdienstvermittlung: Unternehmen wie Uber oder Didi Chuxing haben in kürzester Zeit beachtliche Serviceplattformen aufgebaut, die über ein ausdifferenziertes Portfolio an Diensten verfügen. Dazu kommt heute eine gewaltige Marktmacht in zahlreichen Ländern. Autohersteller können mit diesem Geschäftsmodell kaum mithalten, da sie fürs Überleben eben auch noch Autos verkaufen müssen.

 

Ansätze, annähernd vergleichbare Plattformen aufbauen zu wollen, gibt es beispielsweise beim Carsharing: „Mit dem Zusammenschluss der Dienste von BMW und Daimler sollen Synergien erzeugt werden, um die Umsätze deutlich zu erhöhen“, sagt Stefan Bratzel. Schaut man auf die Ergebnisse der CCI-Studie, ist die Situation bei den Mobility Services für die Hersteller nicht aussichtslos. Bei der Servicestärke dominieren die deutschen OEMs Daimler, BMW und der VW-Konzern das Ranking, erst im Mittelfeld folgen Unternehmen wie Uber oder Didi Chuxing.

Vor allem die Chinesen holen rasant in Sachen Marktmacht und Leistungstiefe auf. Den mittleren Performance-Bereich führt überraschenderweise Hersteller Toyota an, der vor allem dank einer Kooperation mit Uber sein Mobility-Portfolio aufbessern kann. Ein Fingerzeig in Richtung der Branche, dass ein Erfolg in der Mobilitätswelt von morgen nicht ohne neue Partnerschaften realisiert werden kann.

„Auch bei den Mobilitätsdienstleistungen scheint ein Prozess der Konsolidierung stattzufinden“, sagt Branchenkenner und Ex-BMW-Manager Hans-Georg Frischkorn, der den Studienautoren beratend zur Seite stand. „Dabei sind das klassische Car- oder Ridesharing Erfolgsmodelle der Gegenwart, nicht unbedingt der Zukunft. Sie werden in absehbarer Zukunft von Geschäftsmodellen rund um Robotaxis und Co. überholt werden.“

Wichtiger Bestandteil des Connected-Car-Index ist auch das Kräftemessen der Automobilländer. Die wachsende Größe des Automarktes sowie die sich stetig verbessernde digitale Infrastruktur verhilft China im Gesamtranking auf Platz eins. Hinzu kommt, dass die Autohersteller aus dem Reich der Mitte – im letzten Jahr noch nicht im CC-Ranking berücksichtigt – bei Themen wie dem autonomen Fahren oder der Vernetzung massiv aufholen.

Derweil setzen die Vereinigten Staaten ihren bereits im letzten Jahr diagnostizierten Abwärtstrend fort – im Ranking bleibt nur der dritte Platz hinter Deutschland. Die Gründe: Die Innovationsstärke der dortigen Autofertiger um General Motors, Ford und ganz besonders Tesla nimmt weiter ab. Zudem scheinen auch die großen Digitalkonzerne um Google und Amazon zu schwächeln. Dennoch bleibt festzuhalten, dass sowohl China als auch die USA über ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen den einzelnen Faktoren verfügen.

Ganz im Gegenteil zu Deutschland: Die Autonation kann sich allein aufgrund der Dominanz bei den fahrzeugtechnischen und servicebezogenen Innovationen in der Spitzengruppe halten. Digitale Kompetenz, Infrastrukturqualität oder entsprechende Unternehmen sucht man hierzulande vergebens. „Wer von Leitmärkten spricht und bei vielen Technologien zur Welt-spitze gehören möchte, muss auch eine Vision davon haben, wie wir uns als Industrienation in den kommenden zwanzig Jahren aufstellen wollen“, sagt Stefan Bratzel.

Die entwicklungslandähnlichen Zustände in Sachen Digitalisierung zusammen mit dem Fakt, dass sich bei den CC-Innovationen eine Stagnation abzeichnet, könnte die Industrienation Deutschland mittelfristig in Gefahr bringen – tatsächlich nicht nur auf dem Mobilitätssektor. Dagegen scheint der Aufstieg Chinas zur Industrienation, die das 21. Jahrhundert prägen wird, kaum mehr aufzuhalten zu sein. Die Frage ist eigentlich nur noch, wie lange die anderen Nationen es schaffen, Anschluss zu halten.

Foto: Audi

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