Stolze 24 Jahre liegen in der Brennstoffzellenentwicklung Daimlers zwischen der ersten Machbarkeitsstudie und der Serienpremiere. 1994 bewies man mit dem „NECAR“, dass sich die Brennstoffzelle für den Fahrzeugantrieb eignet, 2018 kam der GLC F-Cell auf den Markt und sollte zeigen: Die Technologie ist serienreif und alltagstauglich. Daimler ist damit der erste deutsche Autohersteller, der asiatischen Konkurrenten wie Toyota, Hyundai oder Honda ein eigenes Fahrzeug mit der Antriebsform entgegenstellt. Das SUV ist, ebenso wie Renaults Kleintransporter Kangoo ZE H2, als Plug-In-Hybrid angelegt, der eine Brennstoffzelle mit einer Lithium-Ionen-Batterie kombiniert. Das Brennstoffzellensystem des F-Cell passt außerdem erstmals komplett in den Motorraum der Mercedes-Fahrzeuge – ein weiterer Grund für den langen Marktanlauf des H2-Fahrzeugs aus Stuttgart. Da die gleichen Aufhängungspunkte wie beim konventionellen Verbrennungsmotor genutzt werden, steht dem Einsatz der Technologie auch in weiteren Modellen theoretisch nichts entgegen.
Gleichzeitig ist der Marktstart des F-Cell noch mit Einschränkungen verbunden: Aufgrund der fehlenden Skalierbarkeit und somit hohen Kosten der Technologie ist der F-Cell zunächst nur im Mietmodell zu beziehen. Zum anderen konzentriert sich Daimler im Vertrieb auf die Metropolen Hamburg, Frankfurt, München, Köln und Düsseldorf. Grund hierfür ist die flächendeckend schwach ausgebaute Infrastruktur zum Betanken der Fahrzeuge. „Technisch sind Brennstoffzellenfahrzeuge heute schon absolut wettbewerbsfähig. Auch der Verbrauch von deutlich unter einem Kilogramm Wasserstoff auf 100 Kilometer, was weniger als drei Liter Diesel entspricht, macht das Fahrzeugkonzept sehr attraktiv. Neben dem notwendigen Infrastrukturaufbau, ist die konsequente Kostenreduktion jedoch noch eine der aktuellen Hauptaufgaben“, gibt auch Christian Mohrdieck, Leiter Brennstoffzelle bei Daimler, zu bedenken. Beide Themen adressiert Daimler aktuell: „Mit der neuen Generation machen wir, insbesondere durch eine Senkung des Platinanteils in der Brennstoffzelle um knapp 90 Prozent, einen großen Sprung. Durch weitere technische Entwicklungen, dem Aufbau einer wettbewerbsfähigen Lieferantenlandschaft sowie der Steigerung der Stückzahlen sind perspektivisch noch weitere Kostensenkungen möglich“, erklärt Mohrdieck. Langfristig strebe man einen Fahrzeugpreis auf dem Niveau heutiger Hybridfahrzeuge an. Über das Joint Venture H2 Mobility, an dem Daimler neben Air Liquide, Linde, OMV, Shell und Total als Gesellschafter beteiligt ist, soll zudem der Ausbau der Infrastruktur vorangetrieben werden. Das langfristige Ziel: Aus den derzeit 60 Wasserstofftankstellen Deutschlands sollen 400 werden.
BMW startet später
Andere Hersteller zeigen sich hinsichtlich des Durchbruchs der Technologie etwas geduldiger. „Bis 2025 schätzen wir die Kosten noch zu hoch und das erforderliche Wasserstoff-Ökosystem als zu unsicher für eine breite Durchdringung ein“, erklärt etwa Jürgen Guldner, Leiter Wasserstoff, Brennstoffzelltechnologie und -fahrzeugprojekte bei BMW. „Bis dahin wird die BMW Group ein kundenwertes Produktangebot zur Marktreife führen. Wir werden den nächsten Entwicklungsschritt Anfang des kommenden Jahrzehnts präsentieren und gehen davon aus, dass wir nach 2025 mit der breiteren Ausrollung von Serienfahrzeugen beginnen werden.“ Unter anderem mache der Einsatz der Brennstoffzelle vor allem in der Logistik mit zentralen Betankungsorten Sinn, so der BMW-Experte weiter. Der bayerische Hersteller erprobt einen derartigen Einsatz derzeit im Werk Leipzig, wo seit Dezember 2018 insgesamt 70 wasserstoffbetriebene Routenzüge zum Einsatz kommen, um Montagebänder mit Bauteilen zu versorgen. Gleichzeitig habe die Technologie großes Zukunftspotential für LKW und Busse, ergänzt Guldner. Auf längere Sicht sei jedoch auch damit zu rechnen, dass rund 30 Prozent aller Mobilitätsbedürfnisse nicht von batterieelektrischen Fahrzeugen abgedeckt werden können. „Derzeit ist die Technologie für batterieelektrische Fahrzeuge weiter entwickelt und die Infrastruktur bereits besser ausgebaut“, gibt Guldner zu bedenken. „Langfristig sind brennstoffzellen-elektrische und batterie-elektrische Antriebe jedoch zwei Technologien die parallel beide ihre Berechtigung haben und unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse der Kunden abdecken.“ Für einen komplett emissionsfreien Verkehr sei es notwendig, beide Technologien parallel zu nutzen.
Friedliche Ko-Existenz
Eine Einschätzung, die auch eine Untersuchung der Experten des Forschungszentrum Jülich stützt. Zum aktuellen Zeitpunkt sei es wichtig, bereits am Anfang der Marktentwicklung die Kosten der nötigen Infrastruktur abzuschätzen, um nicht in eine technologische Sackgasse zu fahren, heißt es seitens der Forscher. „Setzen wir von Anfang an alles auf nur eine Karte, dürfte es schwierig werden, das System umzustellen, wenn sich die Rahmenbedingungen verändern“, argumentiert Studienautor Martin Robinius vom Jülicher Institut für Energie- und Klimaforschung. Zu einem klaren Sieger im Technologiewettstreit zwischen Brennstoffzelle und Batteriesystemen kommt die Studie derweil nicht: Im Falle der Batterie existiere bereits ein Verteilnetz für Energie, zum anderen überzeuge die Speichermethode durch einen hohen Wirkungsgrad. Bei der für Wasserstoffmobilität nötigen Elektrolyse ließe sich Strom durch chemische Prozesse hingegen langfristiger lagern, so dass überschüssiger Strom – vor allem aus nachhaltiger Gewinnung – optimal genutzt werden könnte. Die Kosten für den Aufbau einer umfassenden Infrastruktur seien derweil, so die Forscher, „bei geringen Fahrzeugbeständen bis zu einigen Hunderttausend nahezu gleich.“
Für den Umstieg auf eine umfassende Wasserstoffmobilität sei zunächst eine Übergangsphase nötig, um die Erzeugung und Speicherung von grünem Wasserstoff in die Realität zu bringen. „Elektroautos mit Batterie stellen in dieser Phase den kostenoptimalen Pfad dar, langfristig sind sie aber nicht optimal“, erklärt Martin Robinius. Ab mehreren Millionen Fahrzeugen beginne sich das Verhältnis nämlich umzukehren. Bei einem hypothetischen Fahrzeugbestand von bis zu 20 Millionen errechnet das Forschungszentrum Jülich notwendige Kosten von 40 Milliarden Euro für eine ausreichende Wasserstoff-Infrastruktur. Die Infrastruktur für batterieelektrische Fahrzeuge schlage hingegen mit 51 Milliarden Euro zu Buche. Nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch biete die Brennstoffzelle einen Vorteil gegenüber batterieelektrischen Fahrzeugen: Im Szenario mit 20 Millionen Fahrzeugen errechnen die Forscher für Fuell-Cell-Fahrzeuge durchschnittliche Emissionen von 2,7 Gramm pro Kilometer – gegenüber 20,9 Gramm für batterieelektrische Autos. Grund hierfür sei vor allem die umfangreiche Möglichkeit der Nutzung von Überschuss-Strom.
Im Vergleich zu anderen Infrastrukturbereichen seien die Investitionen für beide Mobilitätsformen jedoch relativ gering, so die Forscher. „Wir brauchen beide Infrastrukturen, und wir können sie uns auch leisten: Batterien und Wasserstoff schließen sich nicht gegenseitig aus. Und wir müssen so schnell wie möglich damit beginnen, sie beide aufzubauen“, kommentiert Detlef Stolten, Institutsleiter am Forschungszentrum Jülich.
Politik muss Impulse liefern
„Sowohl Batterie- als auch Brennstoffzellenfahrzeuge werden gebraucht, um die Klimaschutzziele der Bundesregierung effizient zu erreichen und hierbei zugleich den Mobilitätsbedürfnissen gerecht zu werden“, erklärt auch ein Sprecher des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gegenüber carIT. Wasserstoff und Brennstoffzellen im Verkehrsbereich seien eine sinnvolle Ergänzung zu den leistungs- und reichweitenbeschränkten Batteriefahrzeugen. Unter anderem stelle die Brennstoffzelle bei anspruchsvollen topografischen Verhältnissen, schweren Fahrzeugen oder niedrigen Temperaturen eine sinnvolle Alternative zu batterieelektrischen Fahrzeugen dar. Gleiches gelte für Anwendungsfälle, die eine hohe Verfügbarkeit des Fahrzeugs erfordern, etwa Gabelstapler im Mehrschichtbetrieb oder Carsharing-Fahrzeuge. Weiteren Einsatz könnte die Technologie im Schienen- und Schiffsverkehr finden. Unter anderem stellten Industrie und Bund im Programm NIP („Nationales Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien“) zwischen 2006 und 2016 gemeinsam 1,4 Milliarden Euro zur Technologieförderung und für Demonstrationsprojekte bereit. Im Nachfolgeprogramm NIP mit zehnjähriger Laufzeit stellt das BMVI alleine zwischen 2016 und 2019 rund 250 Millionen Euro in Aussicht. Neben Japan und China sei Deutschland damit eine der Nationen, die die Technologie massiv fördern. Dies betont auch BMW-Experte Jürgen Guldner: „Die Wasserstoff-Infrastruktur und Fahrzeugkleinserien werden in Japan industriepolitisch am stärksten gefördert und mit den Olympischen Spielen in Tokyo 2020 mit der nächsten Generation der Brennstoffzelle einen Sprung erfahren. Ab 2025 ist beginnend in Japan ein Durchbruch auf Basis der übernächsten FCEV-Generation möglich.“
Die Vorherrschaft der asiatischen Hersteller beim Thema Brennstoffzelle betonen ebenfalls die Experten von Frost & Sullivan: „Bis 2030 sollen weltweit rund zwei Millionen Brennstoffzellenfahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein“, erklärt Anjan Hemanth Kumar, Research Manager Powertrain & EV, Mobility beim Beratungsunternehmen. „Japan und Südkorea werden bei der Weiterentwicklung der Brennstoffzellen-Fahrzeugtechnologie eine Schlüsselrolle spielen – unter anderem da Toyota und Hyundai-Kia bereits jetzt Ansprüche erheben, in der Brennstoffzellentechnologie weltweit führen zu wollen.“ Mit dem Auslaufen staatlicher Förderungsprogramme für batterieelektrische Fahrzeuge ab 2020 und stärkeren Subventionen für Wasserstoffmobilität sei vor allem in China, Japan und Korea damit zu rechnen, „dass sich die die Schleusen für Investitionen des Privatsektors öffnen und den Beginn einer neuen Ära in der Brennstoffzellen-Fahrzeugtechnologie einläuten“, so Kumar. Die Ziele der Regierungen sind dabei durchaus ambitioniert: So plant die japanische Regierung bis 2025 einen Fahrzeugbestand von 200.000 Brennstoffzellenautos, im Jahr 2030 sollen es bereits 800.000 sein.
Asien fährt bereits vor
Im Falle batterieelektrischer Fahrzeuge hat sich China bereits einen veritablen Vorsprung erarbeitet: Das Reich der Mitte ist nicht nur der größte Absatzmarkt und Anbieter für Elektrofahrzeuge, sondern auch führend beim Abbau der notwendigen Materialien für Fahrzeugbatterien. Damit die deutschen Hersteller bei der Brennstoffzelle nicht noch einmal gegenüber der Konkurrenz aus Asien zurückfallen, sollte das Thema bereits jetzt adressiert werden. Diese Warnung an die Hersteller gilt auch für die Politik, denn man sollte nicht vergessen: Der Wandel zur Elektromobilität – vor allem in China – ist nicht nur durch die Nachfrage der Kunden ins Rollen gekommen, sondern vor allem durch den politischen Willen, die eigene Mobilität nachhaltiger zu gestalten.