Eine Mitarbeiterin von BMW scannt einen QR-Code in der Produktion.

Seit über fünf Jahren widmet sich BMW der 3D-Digitalisierung im Zuge der Planungsinitiativen Industrie 4.0. (Bild: BMW)

Brillen sind längst nicht nur Sehhilfen im klassischen Sinne, sondern optimieren mittlerweile auf digitale Weise die Prozesse in der Automobilindustrie. In Form von Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) nutzt auch BMW neue Technologien, um Projekte in der Produktion voranzutreiben. VR wird dabei vor allem für Planungszwecke eingesetzt, um Produktionsstrukturen wie Montagetakte virtuell zu erfassen und zu gestalten. Vornehmlich betrifft dies die Umplanung bestehender Werke im Zuge der Integration neuer Modelle oder Varianten, aber auch für Standorterweiterungen sowie die Neuplanung von Werken wurde die Lösung bereits appliziert.

Seit über fünf Jahren widmet sich der bayrische Autobauer nun schon der 3D-Digitalisierung im Zuge der Planungsinitiativen Industrie 4.0 und erfasst seine Fertigung mittels 3D-Laserscannern. „Wir erhalten dadurch ein 1:1-geometrisches Abbild in Form einer Punktwolke, in dem jeder einzelne Messpunkt koloriert wird“, beschreibt Matthias Schindler, Clusterverantwortlicher für virtuelle Planung und Inbetriebnahme bei BMW, das Vorgehen. Er erinnert sich noch gut an ein Prototypenprojekt im Jahr 2015, als Bildauflösung, Framerate, Interaktionsmöglichkeiten und Tragekomfort der Lösung noch wesentlich geringer waren.

Durch erschwinglichere und leistungsstärkere Hardware wurde die Applikation für mittel- bis großflächige Bereiche jedoch bereits vor zwei Jahren so kosteneffizient, dass sich ein vorteilhafter Business Case ergab. „Wichtig ist, dass es sich um ein VR-Modell handelt, mit dem ich so flüssig und einfach interagieren kann, als würde ich durch ein Computerspiel laufen“, erklärt Schindler. Im Gegensatz zu früheren Drahtmodellen und Zeichnungen seien Konzepte dadurch für alle Hierarchieebenen leicht verständlich, so dass sowohl das Management als auch die Produktionsmitarbeiter in der Frühphase der Planung konstruktiv miteinbezogen werden können.

Partizipation durch Virtual Reality

Die zeitaufwendige Simulation der Produktionsstruktur durch Kartons hat damit endgültig ausgedient. Mittagspausen oder anderweitige Produktionsunterbrechungen können nun genutzt werden, um die Umgebung zu digitalisieren, ohne den Shopfloor-Prozess zu tangieren. Das Verschieben von Regalen und Anlagen entfällt. Neben der Zeitersparnis birgt dies natürlich auch einen Kostenvorteil. Planer müssen keine teuren Reisen unternehmen, sondern können von München aus Werke in den USA oder China umgestalten.

Konkret eingesetzt wurde die Technologie etwa bei der Integration des vollelektrischen BMW i4 in das bis dato traditionelle Produktionssystem sowie in der Cockpitvormontage. Besonders letzteres Beispiel verdeutlicht, inwiefern Produktionsmitarbeiter durch VR an der Planung partizipieren können und die neue Lösung dementsprechend befürworten. Innerhalb von vier Stunden wurden die betreffenden 15 Montagetakte digitalisiert, im Anschluss konnten die Werker ihren Arbeitsplatz aus einer Bibliothek an Standardgeometrien nach eigenem Gusto anordnen. Schindler sieht das ideale Einsatzgebiet der virtuellen Realität in der Arbeitsplatzgestaltung für Bereiche von etwa zehn auf zehn Metern.

Von der 3D-Digitalisierung profitieren aber auch komplette Bandabschnitte oder Standorte: So zeigt die innerhalb von zwei Tagen vollführte Digitalisierung des Rolls-Royce-Werks im britischen Goodwood auf, welche neuen Möglichkeiten sich für Um- und Neubauten ergeben und welche beliebten Fehler aus der Vergangenheit nun vermieden werden können. „In der frühen Planungsphase sehe ich dadurch sofort, ob ich an alles gedacht habe – auch bei Themen, die ich normalerweise sehr spät planen würde. Klassiker sind etwa Pausenräume, Besprechungsräume oder Meisterarbeitsplätze“, so Schindler.

Augmented Reality zu Schulungszwecken

Für Augmented Reality existieren bei BMW sogar noch mehr Anwendungsfälle: Abseits von Pickvorgängen in der Logistik oder der Qualitätssicherung – etwa in der Lackiererei – wird die Technologie jedoch hauptsächlich für Schulungszwecke genutzt. „AR verwenden wir, um neue Prozesse direkt am Shopfloor anzulernen, indem wir die reale Umgebung mit gewissen Inhalten in Form von Videos oder Anleitungen überlagern“, so Schindler. Beispielhaft sei während des über fünfjährigen Engagements etwa die Qualifizierungsoffensive für den neuen BMW 3er in München gewesen. Abseits der regulären Produktion wurden die neuen Karosserien aufgebaut und alle Takte unter Live-Bedingungen abgebildet. Das Ziel: Serienqualität ab Produktionsstart – ohne Nacharbeit.

Um die einzelnen Schritte der Arbeitsvorgänge darzustellen, war es notwendig, Videos für einige hundert Montagevorgänge zu drehen. Abgestimmt auf den Mitarbeiter, lassen sich diese beliebig vor- und zurückspulen, während live am Fahrzeug trainiert wird. Zusätzlich zu dieser Überlagerung steht weiterhin ein Trainer bereit, der nun mehr als einen Mitarbeiter gleichzeitig betreuen kann. „Unsere Idee ist es nicht, den Trainer abzuschaffen, sondern mithilfe dieser neuen Technologie das Training zu optimieren, so dass dieser mehr Zeit für Spezialfragen hat“, betont Matthias Schindler. Wie baue ich einen Dachhimmel ein? Wie kontrolliere ich, ob die Türen richtig eingestellt sind? Diese Fragen soll fortan primär eine AR-Brille beantworten.

In der ersten Phase seien sicherlich nicht alle Schulungsvideos perfekt gewesen, gesteht Schindler. Nachdem jedoch gezielt nachgearbeitet wurde, beschleunigten sich nicht nur die Lernprozesse, auch die Resonanz der Mitarbeiter war äußerst positiv. In der tatsächlichen Montage sieht Schindler momentan jedoch keinen Mehrwert für den Einsatz von AR, da es dem Prinzip der schlanken Prozesse widersprechen würde. Allerdings sei es durchaus möglich, Fehlereinträge in der Qualitätsdatenbank, die bisher auf Monitoren dargestellt werden, mithilfe eines Head-mounted Displays zu augmentieren. So könnte etwa angezeigt werden, wenn der falsche Modellschriftzug an einem Fahrzeug appliziert wurde, der Mitarbeiter per Tracking zum Fahrzeug geleitet werden und anschließend die händische Nachbearbeitung erfolgen. Fraglich sei nur, ob die Mitarbeiter gewillt sind, eine solche Brille den ganzen Tag zu tragen.

Zwei Mitarbeiter von BMW drehen mit dem Tablet ein Schulungsvideo für Augmented Reality.
BMW setzt Augmented Reality etwa für Schulungsvideos ein. (Bild: BMW)

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