Jeder kennt sie: diese verheißungsvollen Ideen und Projekte, die gut an- und vielversprechend verlaufen. Zufriedenheit macht sich breit – bis man mit Schrecken feststellt, dass man sich über das Ende keine Gedanken gemacht hat. Mit der Elektromobilität verhält es sich ähnlich: Das Portfolio der Hersteller wächst, die Modelle kommen im Markt an, die Technologie wird immer alltagstauglicher. Doch eher früher als später stehen die Autobauer vor einem Problem: Was tun mit einer Batterie, die ihren Lebenszyklus im Fahrzeug hinter sich hat?
Schenkt man ihr ein zweites Leben? Muss sie recycelt werden? Und wenn ja, wer macht das? „Dieser ganze Rücknahmeprozess der Batterien und die Ausschreibung fürs Recycling – das ist nicht Kerngeschäft der Autohersteller“, weiß Patrick Peter. Seines ist es hingegen schon. Der studierte Betriebswirt kommt aus der Beraterbranche, vor allem für Kunden aus dem Automotive-Sektor. Ende 2018 war er dann an der Gründung des Company Builders Next Mobility Labs beteiligt. Der Schwerpunkt: Innovationen für die Autoindustrie und deren Weg in eigenständige Unternehmungen.
Ein asiatischer Autohersteller hatte Next Mobility Labs dann damit beauftragt, etwaige weiße Flecken in der Lieferkette für Lithium-Ionen-Batterien ausfindig zu machen. „Meine Idee war ganz simpel: ‚Assetdigitalisierung in der Blockchain‘ – das stand damals auf meinem Post-it“, erzählt Peter. „Schon da war klar: Assets werden mehr und mehr digitalisiert, E-Mobilität wird immer wichtiger und die Batterie wird zum komplexesten Bauteil des Fahrzeugs.“
Wann stößt die Batterie an ihr Lebensende?
Die Idee von Patrick Peter kam gut an – fand aber keinen Abnehmer in der Autoindustrie. Es gab schlicht keinen Bereich, der sich bei einem Hersteller dafür zuständig fühlte. Also traf Next Mobility Labs die Entscheidung, das Thema selbst weiterzuverfolgen. Hunderte Interviews wurden entlang der gesamten Wertschöpfungskette geführt, bis die Aufgabenstellung klar war: Es brauchte einen Digitalisierungsstandard und einen Prozess, um Batterien ins Second Life oder Recycling zu überführen.
„Wir haben einen ganz groben MVP gebaut, mit Fördermitteln der EU. Und den haben wir dann bei Startup-Programmen eingereicht.“ Mit dem Circular Economy Contest 2030 von SAP und Google ging es schließlich nach San Francisco, wo man Zweitplatzierter wurde. „Das Feedback war extrem ermutigend. Da habe ich mir gesagt: Ich gehe ‚all in‘ und gründe das zusammen mit Next Mobility Labs aus.“ Entstanden ist Circunomics. Schnell konnten Patrick Peter und seine Mitgründer Sebastiaan Wolzak und Cesar Prados Angel-Investoren wie den Ex-Audi-Manager Peter Mertens oder Arndt Hüsges für sich gewinnen.
Die Vision von Circunomics ist schnell umrissen: eine Kreislaufwirtschaft für E-Autobatterien etablieren – und natürlich für das entsprechende Tool zu sorgen. Die Lösung des Startups gibt dem Autobauer dringend benötigte Antworten auf Fragen, die sich in den kommenden Monaten und Jahren aufdrängen: Welche Batterien sind überhaupt im Feld? Wie ist ihr Zustand? Wann ist das Ende ihres ersten, wann das ihres zweiten Lebens gekommen? Und nicht zuletzt: Welche Rohstoffwerte fahren eigentlich auf der Straße?
"Wir unterstützen gerade einen großen Autobauer beim End-of-Life der Batterien. Der muss noch in diesem Jahr 30.000 Akkus zurücknehmen und hat gar keinen Prozess dafür“ - Circunomics-Gründer Patrick Peter
Ohne Rohstoffkreislauf ist die E-Mobilität nicht sauber
Patrick Peter ist sich sicher: „Wenn Rohstoffkreisläufe nicht geschlossen werden, dann ist die Elektromobilität nicht sauberer als Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen – sie ist dann nur ein anderes Übel.“ Doch allein die Überführung der Batterien in ein zweites Nutzungsleben senkt den CO2-Fußabdruck eines Akkus massiv. Doch um ein solches Tool zu entwickeln, sind Berge an Daten notwendig. „Dieses Basiswissen aufzubauen, war ein brutaler Weg für uns“, gibt der Gründer zu. Das ging nur über Partnerschaften und das Knowhow neuer Mitarbeiter und Stakeholder.
Und ohne den Blick unter die Motorhaube kommt man nun mal auch nicht aus: Das Team von Circunomics hatte einem süddeutschen Autobauer ein Angebot für ein gemeinsames Pilotprojekt unterbreitet. Doch der Autobauer lehnte dankend ab, der Aufwand sei zu hoch. „Dann haben wir uns selbst eines der E-Fahrzeuge genommen und das Batteriemanagementsystem per Reverse Engineering untersucht und sind mit den Ergebnissen wieder zum OEM gegangen“, erzählt Peter. Diesmal schlug der Autobauer ein. Wohl auch, damit Patrick Peter und sein Team nicht noch weitere Autos des Konzerns hacken, erzählt der Gründer mit einem Schmunzeln.
Inzwischen ist Circunomics im Mutterkonzern angekommen. Der Hersteller befeuert gerade eine E-Offensive – da wird die End-of-Life-Thematik in einigen Jahren millionenfach auf das Unternehmen zukommen. Andere OEMs, die früher in die Elektromobilität eingestiegen sind, trifft das Problem schon heute weitestgehend unvorbereitet. „Wir unterstützen gerade einen großen Autobauer beim End-of-Life der Batterien. Der muss noch in diesem Jahr 30.000 Akkus zurücknehmen und hat gar keinen Prozess dafür“, so der Gründer.
Klar ist aber: Ohne einen datenbasierten Ansatz geht es nicht. Das physische Testen der Batterien ist genau der Flaschenhals, den das Startup künftig vermeiden will. Patrick Peter, Sebastiaan Wolzak und Cesar Prados von Circunomics haben eine Nische für sich gefunden und damit einen Nerv getroffen. Die Chancen stehen gut, den auf der Akku-Landkarte ausgemachten weißen Fleck dauerhaft mit Farbe zu füllen. Ohne neue Ressourcen geht das natürlich nicht. „Wir suchen aktuell neue Mitarbeiter. Vor allem im UX- und UI-Design und Data Science brauchen wir Verstärkung“, sagt Peter. Denn das Tool soll für den Anwender schließlich genauso attraktiv sein, wie Circunomics’ Idee für die Branche.
Circunomics GmbH
Standort: Frankfurt
Produkt: IoT-Plattform für Second Life Trading und Recycling
Gründung: 2019
Gründer: Patrick Peter, Sebastiaan Wolzak, Cesar Prados
Investoren: Hüsges Gruppe, The Blue Minds Company, Kalodion, Circularity Boost, Ex-Audi-Vorstandsmitglied Dr. Peter Mertens
Mitarbeiter: 10
Auszeichnungen: Von Google und SAP zu einem der Top 5 Start-ups der Kreislaufwirtschaft benannt; Aufgeführt in der „Top AI German Startup Landscape“ der appliedAI Initiative; Förderung durch EIT Raw Materials
Aufmacherbild: Adobe Stock/Stockfotos-MG, Illustration: Andreas Croonenbroeck