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Unfallszenen wie diese sollen sich nach Wunsch der Bundesregierung schon bald nicht mehr abspielen. (Bild: UDV)

„Todesgefahr für Radler“, „Busffahrer übersieht Jungen beim Abbiegen“, „Rentnerin stirbt nach Unfall mit Lkw“ – kein Monat vergeht ohne solche Meldungen. Meist machen sie im Lokalteil der Tageszeitungen auf ein drängendes Problem aufmerksam, über das Experten bereits seit vielen Jahren diskutieren: den Abbiegeassistenten für Lastkraftwagen. Jährlich kommen bei Lkw-und Busunfällen in Deutschland rund 900 Menschen ums Leben, 8.500 werden schwer verletzt.

In vielen neuzugelassenen Pkw sind akustische und optische Warnungen beim Abbiegen längst eine Selbstverständlichkeit. Doch bei Güterkraftfahrzeugen und in Bussen gibt es herstellerseitig bis heute kaum Angebote, die das Problem des toten Winkels aktiv angehen. Nach dem Verkehrsgerichtstag letzte Woche in Goslar könnte sich das binnen der nächsten zwei Jahre ändern. Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) macht Druck und will ab 2020 Abbiegeassistenten bei Neuzulassungen verpflichtend vorschreiben – nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit. „Zukünftig sollte kein Lkw mehr unterwegs sein, der nicht mit einem Abbiegeassistenten ausgerüstet ist. Dafür setze ich mich als Bundesminister ein – und ich werde nicht locker lassen“, betont Verkehrsminister Andreas Scheuer. Sein Ministerium habe der UNECE, der Wirtschaftskommission für Europa, bereits verbindliche technische Anforderungen für einen Abbiegeassistenten vorgelegt. Auch EU-Kommission, Rat und Parlament müssen zustimmen. Der politische Weg ist also noch lang.

In der Praxis tut sich schon mal etwas: In Baden-Württemberg ist vor wenigen Wochen ein Feldversuch gestartet, in dem 500 Lastkraftwagen mit Abbiegeassistenten nachgerüstet und über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren wissenschaftlich begleitet werden. „Wir erhoffen uns wichtige Erkenntnisse, um eine flächendeckende Einführung des Abbiegeassistenten zu erreichen“, sagt Landesverkehrsminister Winfried Hermann. „Rechtsabbiegende Lastkraftwagen verursachen leider immer wieder Unfälle, weil sie Kinder, Fußgänger oder Radfahrer im toten Winkel nicht sehen. Diese Unfälle enden oft tödlich. Ein Rechtsabbiegeassistent, der bessere Sicht erlaubt und den Fahrer warnt, kann dies verhindern.“

Die Technik für Abbiegeassistenten in Lkw und Bussen ist ausgereift. Bild: Edeka

Auch der Bund ist nicht untätig und hat die Aktion Abbiegeassistent ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, alle nationalen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Einführung entsprechender Systeme zu beschleunigen. Die Politik will, dass bei diesem Thema Hersteller, die Logistikbranche,  Prüforganisationen, Verbände, Autofahrer- und Radfahrerclubs an einem Strang ziehen. Am 21. Januar ist ein staatliches Förderprogramm in Kraft getreten, um die freiwillige Aus- und Nachrüstung von Lkw und Bussen mit Abbiegeassistenzsystemen zu unterstützen. Pro Jahr stehen dafür fünf Millionen Euro bereit. Siegfried Brockmann, der beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft den Bereich Unfallforschung leitet, hält diese Summe bei einem durchschnittlichen Anschaffungspreis von 1.500 Euro für zu gering. „In der Transport- und Logistikbranche ist die Bereitschaft erkennbar, diese Investition zu tätigen. In Deutschland aber sind über drei Millionen Lastwagen zugelassen – die bereitgestellten Mittel werden nicht reichen, um alle Fahrzeuge auszurüsten. Deshalb sollte die Bundesregierung die Mittel unbürokratisch aufzustocken, bevor der Fördertopf leer ist“, unterstreicht Brockmann im Gespräch mit carIT.

Ein weiterer Haken: Um in den Genuss der staatlicher Zuzahlungen zu kommen, müssen die Nachrüstsysteme über eine Allgemeine Betriebserlaubnis verfügen oder die Hersteller durch ein Gutachten nachweisen, dass alle technischen Anforderungen erfüllt sind. Bis heute gibt es kein einziges Nachrüstsystem am Markt, das diese Voraussetzung erfüllt. Darauf weist der Bundesverband für Straßengüterverkehr, Logistik und Entsorgung hin. Kaum besser sieht es beim werksseitigen Einbau aus: Aktuell kann nur ein einziger Lkw-Hersteller einen Abbiegeassistenten liefern, allerdings nicht für alle Fahrzeugtypen. Ein zweiter Lkw-Hersteller hat angekündigt, im Frühjahr 2019 mit einem entsprechenden Angebot auf den Markt zu kommen. Die Zeit dafür ist überreif.

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