Im April öffnet die Auto Shanghai 2019 ihre Tore. Die Entwicklung der Messe gilt als bemerkenswert: Als sie 1985 an den Start ging, verirrten sich nur wenige westliche Aussteller in die chinesische Millionenmetropole. Inzwischen markiert die Auto Shanghai einen Fixtermin im Veranstaltungskalender vieler internationaler OEMs: 2017 präsentierten über 1.000 Aussteller aus 18 Ländern dort ihre Produkte und Dienstleistungen und nutzten die Messe als Sprungstein in die asiatischen Wachstumsmärkte.
So weit, so normal, mag man als westlicher Beobachter denken. Doch wer genau hinschaute, nahm bereits letztes Mal eine elementare Verschiebung im Besucherinteresse wahr: Viele Gäste richteten ihr Interesse 2017 nicht mehr nur allein auf deutsche, amerikanische oder japanische Autobauer. In den Mittelpunkt rückten vielmehr chinesische Hersteller, die nun der internationalen Elite immer stärker Konkurrenz machen. Dieses Jahr scheint ein neuer Rekord programmiert. Chinesische OEMs präsentieren sich im National Exhibition and Convention Center NECC mit breiter Brust – und nicht nur dort. Die Zeichen stehen unverkennbar auf Expansion, durchaus auch in Richtung Europa.
Aiways zum Beispiel gilt als einer der jüngsten Automotive-OEMs in China. Offiziell erst Anfang 2017 in Shanghai gegründet, schaffte es der Newcomer tatsächlich, Anfang März auf dem Genfer Autosalon einen Produktions-Prototypen zu zeigen, der ab September 2019 in Serie gebaut werden soll. Das Midsize-SUV mit der Modellbezeichnung U5 ist als kostengünstiges, rein elektrisches Familienauto mit einer Reichweite zwischen 400 und 500 Kilometer konzipiert. Entscheidendes Kaufkriterium soll die Verarbeitungsqualität sein. „Es gibt in China inzwischen viele Hersteller, die Autos zu äußerst günstigen Preisen anbieten. Sie können aber nicht das von Kunden in Europa geforderte Qualitätsniveau bieten“, betont Alexander Klose, der für das internationale Geschäft von Aiways zuständig ist. „Bei uns ist das anders: Wir wollen chinesische Entwicklung und Fertigung mit internationalen Qualitätsansprüchen zusammen bringen – so, wie das beim iPhone auch gelungen ist.“
Klose weiß, worüber er spricht. Bevor er zu Aiways stieß, war er als CEO von Volvo Cars China und als Asia Pacific Präsident der Premier Automotive Group PAG tätig, zu der neben Jaguar Land Rover und Volvo auch Aston Martin gehörte. Der vergleichsweise günstige Preis von rund 30.000 Euro für den U5 resultiert aber nicht nur aus den niedrigen Lohn- und Stückkosten in China, sondern auch aus einer Optimierung des Fahrzeugkonzepts. Die MAS-Plattform, die Aiways nutzt, ist konsequent auf E-Fahrzeuge und auf Leichtbau ausgelegt. Im Interieur ist Technologie angesagt: Ein intuitives, sprachgesteuertes Infotainmentsystem sorgt für Vernetzung und Komfort gleichermaßen. „Das Fahrzeug ist innen clean und kommt ohne Knöpfe aus“, erläuterte Klose im Gespräch mit carIT. Alle relevanten Fahrzeuginformationen zeige ein Ultra-HD-Bildschirm an. Wenn der U5 2020 in Europa auf den Markt kommt, wird Aiways – der Name steht für „AI on the way“ – weitere neue Konnektivitätslösungen verbaut haben. Das F&E-Team in Shanghai arbeitet schon heute an der nächsten Generation einer KI-gesteuerten Connectivity. Dazu soll dann beispielsweise auch eine durchgängige Verknüpfung des Fahrzeugs mit dem eigenen Zuhause gehören. Zudem testen die Entwickler, inwiefern Autofahrer von Cloud Computing profitieren könnten und arbeiten an Lösungen für höhere Automatisierungslevels (derzeit Stufe 2), die in Zukunft zum Alltag zählen werden.
Branchenexperten beobachten die Entwicklung der neuen chinesischen OEMs wie Aiways, Nio und Byton mit mehr Interesse als mit Skepsis. Frei von jeglichen Erblasten stellen die jungen Wilden nicht nur etablierte Produktionsprozesse auf den Kopf und denken über Verbesserungsmöglichkeiten nach. Ihr frisches Denken und ihre wachsende Präsenz auf dem Weltmarkt wird auch dazu beitragen, dass die starren Denkweisen etablierter Hersteller aufbrechen. „Der Umbruch in der Automobilindustrie ist unverkennbar“, sagt Alexander Klose. „Gut möglich, dass sich die großen Konzerne, wie wir sie heute noch sehen, in Zukunft auflösen. Aiways als neuer kleiner Hersteller ist durchaus dazu bereit, jede Komponente, die wir verbauen, mit anderen zu teilen. Wir glauben, dass selbst bestimmte Fahrzeugplattformen künftig industrieweit geteilt werden.“ Erste Ansätze dazu gibt es bereits bei Volkswagen: Die Wolfsburger sind bereit, ihre neue Elektroplattform MEB für andere Hersteller zu öffnen und dadurch Kosten zu senken. Dabei wir es nicht bleiben.