fahraufgabe_autonomes fahren

Als Audi seinen Staupiloten für den A8 vorstellte, ging ein Raunen durch die Autopresse. Erstmals beantragte damit ein Hersteller eine Zulassung für ein Level-3-Assistenzsystem – für das allerdings zunächst die Zulassungsvorschriften erarbeitet werden müssen. Level 3 bedeutet, dass der Fahrer sich anderen Dingen zuwenden kann, er aber bei Bedarf innerhalb einer Vorwarnzeit die Führung wieder vom System vollumfänglich übernehmen muss. Es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zum autonomen Fahren, dem Level 5. Dazwischen liegt noch Level 4, auf dem das System autonomes Fahren in bestimmten Fahrsituationen vollumfänglich gewährleisten kann – in allen anderen Fällen ist der Fahrer gefordert.

Audis Staupilot übergibt das Fahren an den Menschen, wenn es keine baulich getrennte Gegenfahrbahn und keinen zähfließenden Kolonnenverkehr auf allen Nachbarspuren gibt. Des Weiteren dürfen sich weder Ampeln noch Fußgänger im relevanten Sichtbereich der Sensorik befinden und das Fahrzeug darf maximal 60 Stundenkilometer schnell sein. Fordert der Stau­pilot den Fahrer zur Übernahme auf, hat dieser dafür „situationsabhängig etwa zehn Sekunden Zeit“, so Audi.

Diese Zeitspanne ist nicht Konsens. So weist die Unfallforschung der Versicherer (UDV) darauf hin, dass aus den eigenen Untersuchungen mit Probanden in Fahrsimulatoren zwölf bis 15 Sekunden als realistisch erscheinen, „da erst dann wieder von einem Situationsverständnis des Fahrers ausgegangen werden kann“, sagt Matthias Kühn, Leiter Fahrzeugsicherheit bei der UDV. Die Diskussion auf europäischer Ebene über verbindliche technische Regeln habe für Level-3-Systeme zudem erst dieses Jahr begonnen.

Dabei wird es auch darum gehen, Übernahmezeiten festzulegen. Alexander Meschtscherjakov, Leiter des Car Interaction Lab am Zentrum für Mensch-Computer-Interaktion der Universität Salzburg, sagt, dass experimentell ermittelte Zeitspannen, in denen ein Fahrer wieder die Kontrol­le über das Auto übernimmt, in einem sehr weiten Bereich streuen: „Zwischen acht und 40 Sekunden.“ Die Verfassung des Fahrers und ob er Hand beziehungsweise Fuß an Lenkrad oder Bremse hat, die Schwierigkeit der Fahrsituation sowie die Ablenkung des Fahrers – alle diese Faktoren spielten bei der Übernahmezeit eine Rolle. „Die 40 Sekunden zum Beispiel treten bei müden Fahrern auf.“ Zehn Sekunden seien aber definitiv zu kurz, „höchstens der Fahrer bleibt dauerhaft in Bereitschaft“, so Meschtscherjakov. „Das wäre aber ziemlich stressig.“

Neben der Länge der Übernahmezeit gibt es in den Augen des Forschers noch weitere spannende – und ungeklärte – Aspekte bei der Übernahme der Fahraufgabe vom System: Übernimmt der Fahrer nicht innerhalb der vorgesehenen Frist, führt das System ja einen Nothalt durch. „Kann dann die Automatik bei einer Sensorbeeinträchtigung tatsächlich noch zum Beispiel auf der Autobahn nach rechts auf den Standstreifen fahren?“, fragt Meschtscherjakov zweifelnd. Und: Was passiert mittelfristig, wenn sich Fahrer häufig auf L3- und L4-Assistenten verlassen? „Wir haben Tests mit Probanden durchgeführt, die belegen, dass man das richtige Verhalten in komplexen oder gefährlichen Fahrsituationen verlernen kann, wenn man nicht ständig übt, also selbst das Fahrzeug lenkt.

Bedeutet eine fortschreitende Automatisierung also, dass der menschliche Fahrer immer schlechter wird oder gar, dass er zu einer Mindestzahl an Fahrten ohne Automatisierung verdonnert werden muss? Weder die Automobilindustrie noch der Gesetzgeber haben auf solche Fragen eine Antwort, höchstens Teilantworten und Ideen. Für allgemeingültige Regeln müsste der Gesetzgeber ja zudem eher konservative Vorgaben machen – ähnlich wie bei Geschwindigkeitsbegrenzungen, wo ein Überschreiten in einem gewissen Rahmen noch nicht die Sicherheit gefährdet.

Spätestens an diesem Punkt der Debatte kommt der Autopilot von Flugzeugen ins Spiel – quasi als Beleg dafür, dass der Mensch ja durchaus zuverlässig von der Maschine Aufgaben übernehmen kann, und das sogar in drei Dimensionen. Doch der Vergleich hinkt. Folgt man den Ausführungen von Jörg Schönfeld ist er sogar falsch. Schönfeld ist Head of Training bei der Lufthansa Aviation Training Operations Germany GmbH und selbst Pilot. Bei den europäischen Fluglinien wird der Autopilot für gewöhnlich nach dem Start im Steigflug aktiviert und vor der Landung wieder deaktiviert. „Allerdings ersetzt der Autopilot keinen der beiden Piloten, sondern bildet mit ihnen zusammen das Team, das das Flugzeug steuert“, verdeutlicht Schönfeld. Soll heißen: Zwischen den Piloten und dem Autopiloten gibt es einen ständigen, haarklein geregelten Austausch. „Ändert sich im Flug zum Beispiel die Höhe, warnt der Autopilot optisch und akustisch, der eine Pilot muss dann dem zweiten Piloten bestätigen, dass er die manuelle Steuerung übernimmt“, erklärt Schönfeld. Die manuelle Übernahme müsse „sofort“ erfolgen, so Schönfeld weiter. Von Übernahmezeiten, über die in der Automobilindustrie diskutiert wird, ist da oben keine Rede. Piloten müssen den Autopiloten permanent überwachen.

Zudem ist es bei europäischen Airlines Usus, dass die Piloten auch nach der Ausbildung etwa ein Viertel der An- und Abflugphase ohne Nutzung des Autopiloten oder anderer Assistenzsysteme zurücklegen, um im alltäglichen Einsatz die manuellen fliegerischen Fertigkeiten regelmäßig zu trainieren. Hinzu kommen halbjährlich Stunden im Flugsimulator. „Dort üben wir die Zusammenarbeit der Crew und Notverfahren, die sich im Realflug nicht risikolos trainieren lassen“, sagt Schönfeld. „Im Cockpit gibt es für das Aufleuchten eines jeden Lichts eine Checkliste oder ein Verfahren. Sie gilt es anzuwenden. Als Pilot muss man eine Routine für jede Eventualität entwickeln.“ Das sei – anders als beim typischen Autofahrer – also ein hochspezialisierter Beruf. „Und trotzdem geht es in der Luftfahrt nicht darum, den Piloten durch eine Automatik zu ersetzen“, gibt Schönfeld zu bedenken.

Bilder: Audi, Flaticon

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