ES6-exterior-1

Im Juni bringt NIO mit dem ES6 sein zweites Modell auf den Markt. (Bild: NIO)

Die Autos drehen ihre Kreise auf dem V1 Auto World International Circuit in Tianjin – fast lautlos, denn sie fahren mit Strom: Es handelt sich um das neue Elektro-SUV ES6 der Marke NIO. Die letzten internen Tests laufen für das Modell, auch erste Journalisten werden zu Testfahrten eingeladen, die Resonanz ist generell positiv. Das Auto beschleunigt schnell und fährt ruhig, auch auf den vollen Stadtstraßen Tianjins. Ab Juni soll der Wagen ausgeliefert werden – zum einjährigen Jubiläum des Erstmodells ES8, der sieben Sitze hat und 15 Zentimeter länger ist.

Der Aufbau der Marke läuft also – und das ohne eigene Fabrik. NIO  lässt beim Autohersteller Jianghuai Automobile Corp (JAC) in Hefei produzieren. Nicht jeder sieht dies als gute Idee – kritische Experten wiesen etwa darauf hin, dass JAC bisher nicht als Premium-Produzent aufgefallen ist – das Segment, in das NIO vorstoßen will. NIO ficht das nicht an. Die Partnerschaft sei eng und gut organisiert, sagt NIO-Vizepräsident Jack Cheng. Ein Exekutivkomittee unter Leitung von NIO-Qualitätschef Shen Fang leite die Produktion; 300 NIO-Fertigungsingenieure und Qualitätskontrolleure seien fest vor Ort. „Wir haben alle Spezifikationen und das Produktionssystem bestimmt“, sagt Cheng. Das reiche vom Layout der Produktion in den Werkshallen bis zum Automatisierungsgrad. Die 250 ABB-Roboter habe man gemeinsam eingekauft. Auch mit globalen Zulieferern wie Bosch oder Continental arbeite er direkt zusammen sagt Cheng. „Jede Woche esse ich mit ihnen zu Abend.“ Der ES6 enthält in Chassis und Karosserie 91 Prozent Aluminium sowie insgesamt zwei Quadratmeter Carbonfasern. Die Bremskontrolle basiert auf Bosch-Technologie. Das Auto ist wie der ES8 vollgepackt mit nutzerfreundlicher Informationstechnologie.

ES8 und ES6 werden auf derselben Plattform vom Band laufen. Seit dem Produktionsstart des ES8 habe man Effizienzsteigerungen von 20 bis 30 Prozent erreicht, sagt Cheng – etwa beim Pressen und in der Logisik. Ein weiteres Presswerk ist schon in der Pipeline. Die Frequenz an der Produktionslinie werde schrittweise erhöht. „Die Kooperation mit JAC erlaubt uns, auf andere Dinge zu fokussieren“, sagt NIO-Präsident und Mitgründer Qin Lihong – etwa auf Direktverkäufe über die NIO-App oder Lifestyle-Elemente. Neben dem Hauptquartier in Shanghai betreibt NIO mehrere Auslandsbüros, darunter eines mit 500 IT-Ingenieuren im kalifornischen San Jose und eines mit 200 Designern in München. Der Marktstart im Ausland ist laut Qin aber frühestens in drei bis fünf Jahren geplant.

NIO hat bis Ende März gut 15.000 Fahrzeuge des ES8 verkauft – immerhin mehr als jedes andere chinesische E-Startup. Trotzdem ist NIO nicht profitabel, 2018 lagen die Verluste bei 3,39 Milliarden Dollar. Im Frühjahr sagte NIO den Bau einer eigenen Fabrik in Shanghai ab – allerdings nicht nur aus ökonomischen Gründen: Es gibt aktuell keine Produktionslizenz für Shanghai. Denn nach der Vergabe einer solchen an Tesla änderte die Regierung die Regeln im Kampf gegen Überkapazitäten. Zwei Lizenzen für einen Standort können seither nur im Ausnahmefall vergeben werden. Man werde jetzt stattdessen mit JAC die Expansion planen, sagt Cheng. In Hefei könne man bis zu 150.000 Autos im Jahr produzieren lassen. „Für eine nächste Plattform werden wir uns langfristig aber nach einem eigenen Standort umsehen.“ Die nächste Plattform wird laut Qin Lihong etwas kleiner ausfallen. Qin blieb in Tianjin dabei, weiter große Summen in die Zukunft investieren zu wollen. „Wir hoffen, dass unser globales Absatzvolumen in acht bis zehn Jahren bei über 500.000 Autos im Jahr liegt.“

Sie möchten gerne weiterlesen?