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Jaguar Land Rover hat in einer „Make-Live“-Produktionsumgebung die Veränderungen erforscht, die bei der Massenherstellung von Elektromotoren notwendig sind. JLR

Eines der wichtigsten Ziele des britischen Advanced Propulsion Centre (APC) besteht darin, Risiken der neuen Technologien besser aufzuteilen und durch Kollaboration zwischen unterschiedlichsten Partnern neue Lieferketten für alternative Antriebsarten aufzubauen. In die Plattform-Initiative, die saubere Antriebe fördern soll, flossen 500 Millionen Pfund von der öffentlichen Hand, den gleichen Betrag steuerte die Wirtschaft bei. Vor allem will man die Automotive-Branche bei der Entwicklung alternativer Antriebe und dem Umbau ihrer Produktion in Richtung Elektroantriebe unterstützen.

Was bedeutet E-Mobilität für die Massenfertigung?

„Es sind aus Sicht der Industrie bei der Elektromobilität recht aggressive Ziele nötig, um künftige Anforderungen zu erfüllen. Bis 2035 sollen die Kosten um ein Drittel reduziert werden, während sich die Energiedichte vervierfachen soll“, sagt Dave OudeNijeweme, Head of Technology Trends beim APC. Alternative Spulen-Materialien und andere Produktionstechniken könnten e-Maschinen mit verbesserter Leistung zu niedrigeren Kosten ermöglichen. „Advanced Additive Layer Manufacturing wird dazu beitragen, weil es die Anforderungen für dedizierte Spul-Prozessse – und damit einen teuren Produktionsschritt – eliminieren hilft“, so der Experte. Die Art und Weise, wie produziert wird, ändert sich, glaubt OudeNijeweme. Aus seiner Sicht wird „Diesel Gate“ zu einer schnelleren Elektrifizierung führen. Das APC geht davon aus, dass bis 2030 rund 90 Prozent der Autos zumindest teilweise elektrifiziert sein werden.

Erhebliche Veränderungen bei der Elektromotor-Produktion

Jaguar Land Rover hat in einer „Make-Live“-Produktionsumgebung die Veränderungen erforscht, die bei der Massenherstellung von Elektromotoren notwendig sind. Das Projekt HVEM (High Volume E-Machine Supply) wurde mit Mitteln des Advanced Propulsion Centers gefördert. „Wir wollten die Supply-Chain-Situation verstehen und wie sich diese verändern muss, um auf höhere Volumina hochfahren zu können“, erklärt Atul Jain, HVEMs Programme Manager bei Jaguar Land Rover.

Anders als in einer Prototypenumgebung, wo das Design und dessen Umsetzung nicht auf den Produktionsprozessen basiert, sollte es konkret darum gehen, welche Probleme sich in der Praxis mit der Massenproduktion ergeben würden. In diesem Jahr schloss das 2015 gestartete Projekt erfolgreich in Time und Budget ab. Viele der neun Partner im Konsortium konnten dadurch zu fest eingebundenen Suppliern aufsteigen, was laut Jain unter anderen Bedingungen wohl nicht der Fall gewesen wäre. Im Herbst 2017 lief der erste Elektromotor vom Band.

Steile Lernkurve bei ungewohnten Fertigungsprozessen

„So konnten wir nicht nur auf dem Papier, sondern durch die Produktion selbst unsere Prozessspezifikationen  erarbeiten, kritische Prozesse und Probleme konkret identifizieren. Zudem haben wir eine gesetzte Design- und Prozessstückliste für Elektromotoren entwickelt“, berichtet Jain. Kaum zehn Prozent der Projektbeteiligten hatten anfänglich Ahnung von Elektromotoren, mittlerweile habe eine eher steile Lernkurve alle mit tiefer Expertise versorgt, erzählt der Produktionsexperte. „Die größte Herausforderung bestand in den Prozessen, die wir vorher noch nicht gemacht hatten, wie das Aufwickeln von Coils oder die Imprägnierung. Dazu haben wir intensiv geforscht, um Lösungen für den High-Volume-Bereich zu finden“, sagt der Projektleiter rückblickend. Innerhalb von zwei Jahren will man den Kunden nun ein elektrifziertes Produkt anbieten.

Die chemische Industrie soll bei Batterien nachziehen

Zwar ist das Rennen um die Lithium-Ionen-Batterie gelaufen – die Herstellung ist fest in asiatischer Hand. In der optimierten Fertigung der Packs nahe den Produktionsstandorten der OEMs sieht man in England jedoch noch Potential für die heimische Industrie, weil der Transport der Batteriepacks teuer und riskant ist. Perspektivisch hofft die Initiative aus Regierung und Industrie, die eine gemeinsame, Konsens-getragene Roadmap entwickelt hat, aber auf mehr: In der zweiten Generation von Batterien wird es um ganz neue Material-Gemische gehen. Darauf soll sich die britische Chemie-Industrie vorbereiten. Zu den großen APC-geförderten Projekten gehört eine Batteriefabrik, in der unterschiedlichste Player vor allem neue Zusammensetzungen testen und Kleinserien in Auftrag geben können. Die IT sorgt dafür, dass sie sich dabei nicht in die Karten schauen können.

Dave OudeNijeweme vom APC ist überzeugt, dass sich die Fahrzeugproduktion stark verändern wird. Bild: Richard Parsons.

E-Mobilität verlangt kürzere Entwicklungszyklen

„Ich sehe, dass Lieferanten ihre Produktionsprozesse verändern müssen. Einige der Technologien werden sie dazu zwingen, wie zum Beispiel der Hochspannungs-Aspekt“, sagt James McGeachie, Engineering Director beim Technologiespezialisten Prodrive, der gemeinsam mit Ford Hybrid-Fahrzeuge für den Transport entwickelt. Technologien der Elektromobilität brächten eine Disruption mit sich, auf die OEMs und große Zulieferer, die hocheffizient mit Sechsjahres-Entwicklungszyklen arbeiten, nicht eingestellt seien. Wie also wird man schneller bei der Entwicklung? Aus McGeachies Sicht gehört dazu die extensive Nutzung von Simulationswerkzeugen, Virtual und Augmented Reality. Das Technologieunternehmen setzt auf schnelles „concept development“.  „Das bedeutet eine große Veränderung, bei der es ähnlich wie bei Scrum in der IT sehr viel häufigeren Austausch zwischen Zulieferer und OEM mit schneller Entscheidungsfindung gibt.“

Der Brexit stellt viele Bemühungen in Frage

„Manufacturing wird sich nicht nur durch neue Materialien stark verändern, sondern auch durch die Nutzung von Additive-Komponenten“, glaubt McGeachie. Die Herausforderung hier sei das Hochskalieren dieser Ansätze, die bisher nur im Low-Volume-Bereich zu finden sind. „Ich bin sicher, dass sich Additive Layer Manufacturing auch in der Massenproduktion durchsetzen wird. Wann genau, ist eine schwierige Frage, ich denke aber, innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre werden sich auch Millionenstückzahlen so fertigen lassen“, so der Engineering-Chef.

Wie sich der Brexit mit den ehrgeizigen Zielen der Initiative verträgt, bleibt eine offene Frage. Vor einigen Tagen wurde deutlich, dass die Barden-Kugellagerfabrik in Plymouth, die Zulieferer Schaeffler gehört, schließen soll. Der Grund: Zuviel Unsicherheit rund um den Brexit.  Sinnbildlich für diese Problematik steht auch die Antwort eines Aston-Martin-Mitarbeiters auf die Frage, wie es künftig mit den in Europa gefertigten Komponenten laufen wird: „Das ist unklar“.

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