Aufmacher

Zulieferer wie Continental wittern im Zeitalter der Shuttlemobilität ihre Chance, aus dem Schatten der OEMs zu treten.

Ein Blick in die Glaskugel ist in Industrie und Wirtschaft beliebt. Prognosen über künftige unternehmerische Entwicklungen, Technologietrends oder gesellschaftlichen Wandel sollen helfen, Business Cases für kommende Herausforderungen zu modellieren. Deshalb ein Gedankenspiel: Wir befinden uns im Jahr 2030. Waymo, am Markt mittlerweile höher bewertet als die Schwester Google, hat sich mit Mobilityprovider Uber zusammengeschlossen und dominiert den US-amerikanischen und europäischen Markt für Robotaxis – das lukrativste Geschäftsfeld aller datenbasierten Wirtschaftszweige im neuen Jahrzehnt. Der Rest des Erdballs wird von selbstfahrenden On-Demand-Shuttles des multinationalen Konzerns Didi Global beherrscht. Das Machtgefüge in der neuen Mobilitätswelt hat in der klassischen Automobilindustrie zu gänzlich anderen Hierarchien geführt. Denn sowohl Didi als auch Waymo setzen für ihre Robotaxis auf eine Technologiebasis, die sie primär von Zulieferern wie Magna, Continental, Bosch oder Aptiv bekommen. Das gilt für die Hardware wie auch für Teile der Software zum autonomen Fahren. Durch solche Partnerschaften gelang es den Zulieferern in den abgelaufenen 2020er Jahren sogar, die großen Autobauer in Sachen Umsatz und Börsenwert zu überflügeln.

Untersucht man aktuelle Entwicklungen in der Branche, könnten klassische Lieferbeziehungen schon bald aufgebrochen werden. Ein Blick in die Wüste Nevadas zu Jahresbeginn genügt, um sagen zu können, dass sich die Zulieferer anschicken, die Autohersteller in Sachen Mobilitätsplattformen einzuholen, wenn nicht gar zu übertrumpfen (siehe Infokästen unten). Auf der CES in Las Vegas präsentierten Bosch, Conti und Co. smarte On-Demand-Dienste, autonome und elektrifizierte People Mover und Konzepte, wie solche Innovationen in ein intelligentes Ökosystem eingebunden werden können. Hinzu gesellten sich neue Player wie das bereits angesprochene Waymo, dessen Chef John Krafcik in diesem Jahr im Spielerparadies ankündigte, seine Software zum autonomen Fahren künftig auch für Endkunden bereitzustellen. Zudem plant die Google-Schwester zusammen mit Zulieferer Magna in Michigan eine Fabrik für autonome Fahrzeuge auf Basis des Minivans Chrysler Pacifica – eine starke Ansage in Richtung der etablierten Automobilindustrie, die kein OEM abtun sollte.

Dass neue Automotive-Player mit Zulieferern in den Jagdgründen der Hersteller wildern, liegt zunächst an den Verheißungen der neuen Mobilität. Einer Studie des Beratungshauses PwC zufolge könnte durch die technologischen Veränderungen rund um das Auto die Wertschöpfung von heute 63 auf 77 Milliarden Euro im Jahr 2030 ansteigen – wovon die Zulieferer spürbar profitieren würden. „Trends wie autonomes Fahren, Carsharing oder Elektromobilität verlangen nach tiefgreifenden Veränderungen, bieten für die Zulieferindustrie aber auch große Chancen“, sagt PwC-Experte Felix Kuhnert. „Wer sich frühzeitig auf diesen Wandel einstellt, wird entsprechend profitieren.“ Dazu gehören auch die Potenziale autonomer Fahrsysteme, für die Zulieferer durchaus Entwicklungskompetenz besitzen – wie man an den zahlreichen People-Mover-Studien sehen kann. Dazu kommt die Wertschöpfung durch neuartige Connectivity-Bausteine oder intelligentes Interieur, die ganz neue Geschäftsmodelle möglich macht. Auch die in Zukunft noch stärker in den Fokus rückende Shared Mobility eröffnet den OES (Original Equipment Supplier) neue Chancen.

May Mobility Magna
(Bild: Magna)

Die Frage steht offen im Raum: Wird sich die Zulieferindustrie – allen voran multinationale Konzerne wie Bosch, Continental, Magna, Schaeffler oder ZF – damit begnügen, in der neuen Mobilitätswelt in der Rolle von Teilelieferanten zu verbleiben? Schaut man sich die Entwicklung bei Waymo an, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass Zulieferer künftig den gesamten Herstellungsprozess von Robotaxis in die eigene Hand nehmen. Klar: Noch dementieren die Führungskreise der Konzerne solche Pläne. Conti-Vorstand Helmut Matschi zum Beispiel legte 2017 im Interview mit carIT großen Wert auf die Feststellung: „Wir wollen keine Autos bauen.“ Gleiches gilt für Bosch oder ZF. Man wolle die Mobilität der Zukunft zwar maßgeblich mitprägen, eine Art „White-Label-Provider“ für öffentliche und private Mobilitätsbetreiber werden. Aber in direkte Konkurrenz zu den Automobilherstellern will niemand treten. Das hält auch Felix Mogge, Automotive-Experte des Beratungshauses Roland Berger, für den falschen Weg. „Die Zulieferer werden sich zukünftig weitgehend auf die Entwicklung und Produktion von Komponenten konzentrieren, nicht auf gesamte Fahrzeugplattformen.“ Ein Wettbewerb mit den OEMs um die Fahrzeugmontage ließe am Ende beide Seiten als Verlierer dastehen. „Aktuelle Konzepte dienen vor allem als Ausweis dafür, wie umfassend ein Zulieferer die relevanten Fahrzeugsysteme der Zukunft beherrscht“, erläutert Mogge. In einer Mobilitätswelt von übermorgen, in der die klassischen Hierarchien der Automobilindustrie ihre Geltung verlieren werden, ist die Frage, wer die gesamte Wertschöpungskette des Produkts Auto beherrscht, demnach obsolet. Es wird darauf ankommen, sich für die Konsolidierungsphase großer digitaler Plattformen, auf denen die autonome, elektrische und geteilte Mobilität organisiert wird, in die bestmögliche Ausgangsposition zu bringen. Die Automobilzulieferer stellen ihr Rüstzeug für diesen Konkurrenzkampf gerade zusammen.

Magna greift auf Erfahrung als Entwickler und Hersteller zurück

Magna ist einer der wenigen Supplier, die der Öffentlichkeit noch kein eigenes Konzept für die Mobilitätsträger der Zukunft präsentiert haben. Dies könnte sich bald ändern: Zum einen rüstet der Zulieferer autonome Shuttles für das US-Startup May Mobility mit Technologie aus. Zum anderen bewarb sich Magna laut Informationen des ORF im Herbst auf eine Ausschreibung, Singapur mit entsprechenden Fahrzeugen auszustatten. Die Tatsache, dass Magna traditionell als Auftragsfertiger tätig ist, ermöglicht dem Unternehmen beim Bau eigener Fahrzeuge einen fliegenden Start. Über ein Joint Venture mit BAIC will man zudem massiv in den Bau von Elektroautos für China einsteigen. Gleichzeitig ist Magna in Sachen autonomes Fahren und Mobility Services seit 2018 partnerschaftlich mit Lyft verbunden. Bereits im Jahr zuvor war das Unternehmen der Allianz von Intel, Mobileye und BMW beigetreten und hatte ein System präsentiert, das autonomes Fahren auf Stufe 4 im Stadtverkehr ermöglichen soll."

Magna ist einer der wenigen Supplier, die der Öffentlichkeit noch kein eigenes Konzept für die Mobilitätsträger der Zukunft präsentiert haben. Dies könnte sich bald ändern: Zum einen rüstet der Zulieferer autonome Shuttles für das US-Startup May Mobility mit Technologie aus. Zum anderen bewarb sich Magna laut Informationen des ORF im Herbst auf eine Ausschreibung, Singapur mit entsprechenden Fahrzeugen auszustatten. Die Tatsache, dass Magna traditionell als Auftragsfertiger tätig ist, ermöglicht dem Unternehmen beim Bau eigener Fahrzeuge einen fliegenden Start. Über ein Joint Venture mit BAIC will man zudem massiv in den Bau von Elektroautos für China einsteigen. Gleichzeitig ist Magna in Sachen autonomes Fahren und Mobility Services seit 2018 partnerschaftlich mit Lyft verbunden. Bereits im Jahr zuvor war das Unternehmen der Allianz von Intel, Mobileye und BMW beigetreten und hatte ein System präsentiert, das autonomes Fahren auf Stufe 4 im Stadtverkehr ermöglichen soll.

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