Machine Learning (ML) beschreibt das automatisierte Lernen impliziter Eigenschaften oder zugrundeliegender Datenregeln mit Hilfe von Algorithmen. Auf dieser Basis können künftig Daten miteinander verknüpft, Zusammenhänge erkannt, Rückschlüsse gezogen und Vorhersagen getroffen werden.
„Diese neuen Erkenntnisse dienen als Grundlage für Empfehlungen, Entscheidungen und Feedback-Mechanismen in Bezug auf eine bisher unbekannte Situation“, erklärt Behnam J. Esfahani aus dem Geschäftsbereich Automotive von Sopra Steria Consulting. Davon gibt es angesichts einer steigenden Konnektivität auf Produktebene und der voranschreitenden Prozessdigitalisierung im Unternehmen nicht wenige.
Esfahani sieht in ML zudem ein Bindeglied zwischen der Automobil- und der Technologiebranche. „Der Zugang zu den richtigen Daten, beispielsweise Sensordaten, Telematikdaten, Log-Daten, Bilder und Videos sowie Social-Media-Daten, fördert neue Geschäftsmodelle.“ Geht es nach dem Wunsch des Tool-Anbieters Splunk, machen es Innovationen bei Machine Learning, Performance und Skalierung künftig möglich, Suchvorgänge in riesigen Datenmengen zielgerichtet durchzuführen.
Innerhalb von Millisekunden analysieren Splunk-Systeme Billionen von Events und liefern aussagekräftige Visualisierungen – über die Performance von Servern in einem Rechenzentrum, den Betriebszustand von Maschinen und Anlagen in der Produktion oder die Informationsbedürfnisse interessierter Kunden. „Es gibt heute zwei Arten von Unternehmen: diejenigen, die mit Daten lediglich Ereignisse aufzeichnen, und diejenigen, die mit ihren Daten etwas bewegen“, sagte Splunk-CEO Doug Merritt Anfang Oktober auf der jährlichen Anwenderkonferenz seines Unternehmens in Orlando (Florida).
Im Kern sorgen künstliche Intelligenz und Machine Learning dafür, aus strukturierten und unstrukturierten Daten – unabhängig von ihrem Format, Zustand oder Ort – die richtigen Schlüsse zu ziehen, um Prozesse proaktiv zu steuern. Die von Splunk jüngst präsentierten Anwenderbeispiele stimmen zuversichtlich, dass etwa die lange beschworene vorausschauende Wartung von Maschinen und Autos endlich wahr wird.
Bei Volkswagen in Wolfsburg läuft derzeit ein Projekt, um bei drohenden Störungen der Produktionszellen beizeiten den richtigen Wartungstechniker loszuschicken, damit es erst gar nicht zu Ausfällen kommt. „So kann man schneller und gezielter instand halten, was sich in der Praxis rasch bezahlt machen wird“, betont Data Analyst Sebastian Schmerl von Computacenter, der an dem VW-Projekt beteiligt ist.
Als einer der ersten Automobilhersteller weltweit will Konzerntochter Audi Machine Learning künftig in der Serienproduktion einsetzen. Eine selbst entwickelte Software erkennt und markiert feinste Risse in Blechteilen – automatisiert, zuverlässig und in Sekundenschnelle. Mit dem Projekt fördert Audi künstliche Intelligenz im Unternehmen und revolutioniert den Prüfprozess im Produktionsablauf. Die Lösung basiert auf Deep Learning, einer Sonderform des Machine Learning, die mit sehr unstrukturierten und hochdimensionalen Datenmengen wie beispielsweise bei Bildern arbeiten kann.
Mit mehreren Millionen Prüfbildern hat ein Projektteam über Monate das künstliche neuronale Netz trainiert. Die größten Herausforderungen waren zum einen das Aufbauen einer ausreichend großen Datenbasis und zum anderen das so genannte Labeln der Bilder. Das Team markierte pixelgenau Risse in den Beispielbildern – hier war höchste Genauigkeit gefordert. Der Aufwand aber hat sich gelohnt, denn anhand der Beispiele lernt das neuronale Netz nun selbstständig und erkennt Risse auch auf neuen, bislang unbekannten Bildern. Mehrere Terabyte an Prüfbildern aus sieben Pressen am Audi-Standort Ingolstadt und von mehreren Volkswagen-Standorten bilden die Datenbasis.
Audi-CIO Frank Loydl betont: „Künstliche Intelligenz und Machine Learning sind zentrale Zukunftstechnologien für Audi. Mit ihrer Hilfe treiben wir die digitale Transformation des Unternehmens nachhaltig voran. Bei diesem geschäftsbereichsübergreifenden Projekt entwickeln wir gemeinsam eine serienreife Lösung, die Audi exklusiv im Unternehmen einsetzen wird und die auf dem Markt einzigartig ist.“
Die Software entstand überwiegend inhouse, von der Idee bis zum fertigen Prototyp. Die Innovationsabteilung der Audi-IT arbeitet seit Mitte 2016 Hand in Hand mit dem Bereich Produktionstechnologie aus dem Kompetenzcenter für Anlagen- und Umformtechnik. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Präzision automatisch detektierter Fehler ist höher als bisher, die Anzahl gemeldeter Pseudofehler hat abgenommen.
Die neue Lösung nutzt deutlich kostengünstigere Kameras, die keinen eigenen Mikrocontroller mehr an Bord benötigen. Sie dienen allein zur Bildaufnahme, die Auswertung läuft auf einem Standardrechner, der Stand heute noch im Presszentrum-Nord als Prototyp installiert ist. Das Gerät wird bis Ende dieses Jahr sicher ins Audi-Produktionsnetzwerk eingebunden. Unter anderem muss die Frage geklärt sein, wie Updates des Algorithmus verteilt werden, ohne dass es zu Stillständen kommt. Erst dann können andere Pressereien die neue Risserkennung Schritt für Schritt übernehmen.
Nach Meinung von Klemens Niehues aus dem Kompetenzcenter für Anlagen- und Umformtechnik der Ingolstädter ist die Lösung auf andere Gewerke übertragbar. „Überall dort, wo es in der Produktion eine optische Qualitätsprüfung gibt, kann unser ML-Ansatz nach dem Labeln der neuen Daten problemlos eingesetzt werden, beispielsweise in der Lackiererei oder Montage.“ Mit zusätzlichen Informationen aus der Serienproduktion wird die Güte des selbstlernenden Systems automatisch steigen. Das macht seinen besonderen Charme gegenüber jeder statischen Applikation aus.
Fotos: Audi, Illustration: Sabina Vogel