Sechs Minuten. Rein rechnerisch ist ein komplett entleerter Akku eines aktuellen E-Golf vollständig in dieser Zeit aufzuladen, wenn es der Fahrer an eine Schnellladesäule der neuesten Bauart schafft. Mindestens 200 Kilometer kann er anschließend zurücklegen, bis er sich um Energienachschub bemühen muss. Rein rechnerisch ist dieser Wert allerdings nicht nur, weil die Ladeleistung zunehmend gedrosselt werden muss, je mehr Strom sich bereits in der Batterie befindet. Sondern auch, weil Schnellladesäulen, die mit einer Leistung von 350 Kilowatt arbeiten, außerhalb von Pilotanlagen in Europa noch nirgends zu finden sind. An der Technik allein liegt das nicht. So bietet der US-Hersteller ChargePoint, an dem sich der Autohersteller Daimler im Frühjahr 2017 beteiligt hat, bereits die Schnellladestation Express Plus an, die sogar mit 400 Kilowatt arbeitet. Stefan Abraham, ein gestandener Produktionsmanager von Mercedes, jetzt am Aufbau des Ökosystems für die elektrische EQ-Baureihe beteiligt, schwärmt geradezu: „Unser Partner hat eine sehr hohe Kompetenz, sowohl was die Hardware für das Schnellladen als auch die Software betrifft.“ Eine Statistik des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) weist für Mitte 2017 bereits 530 öffentlich zugängliche Schnellladesäulen aus. „Schnell“ bedeutet in der quasi-amtlichen Zählweise jedoch nur: Die Leistung beträgt mehr als 22 Kilowatt, üblich sind heute 50 kW. Damit dauert das Auftanken eines E-Golf rechnerisch nicht mehr sechs Minuten, sondern mehr als 40 – und der hat verglichen mit kommenden Elektroautogenerationen eine relativ kleine Batterie an Bord.
Dass die Elektrizitätswirtschaft nicht massiv in deutlich schnellere Ladesäulen investiert, hat einen einfachen Grund: Es rechnet sich nicht. Zwar betont BDEW-Geschäftsführer Stefan Kapferer: „Die Energiewirtschaft drückt beim Ladesäulenausbau aufs Tempo. Sie geht damit massiv in Vorleistung. Es ist jetzt an der Automobilindustrie, endlich attraktive Elektroautos auf den Markt zu bringen.“ Doch viele Experten bezweifeln, dass sich die Kosten von mehr als einer halben Million Euro für eine ultraschnelle Ladestation selbst bei voller Auslastung über den Stromverkauf amortisieren lassen – zumindest beim aktuellen Strompreis. Tatsächlich verlangen die Anbieter an den relativ langsamen öffentlichen Ladepunkten daher schon heute weitaus höhere Preise als für Haushaltsstrom. Eine 2017 durchgeführte Analyse des Energieunternehmens LichtBlick ergab, dass der größte deutsche Ladesäulenbetreiber, die RWE-Tochter Innogy, im Schnitt 67 Cent pro Kilowattstunde abrechnet. Die Nationale Plattform Elektromobilität errechnete, dass im Jahr 2020 das 50-kW-Laden unter günstigen Bedingungen für 40 Cent pro Kilowattstunde ein tragfähiges Geschäftsmodell darstellen könnte – das wären noch immer rund 25 Prozent mehr als der durchschnittliche Haushaltsstrompreis in Deutschland.
Das ultraschnelle Laden ist weitaus investitionsintensiver, weil die hohe Leistung einen Ausbau des Stromnetzes erforderlich macht. Eine Elektrotankstelle, an der nur zehn Pkw den Akku mit maximaler Leistung füllen, zieht so viel Strom aus dem Netz, wie eine große Windkraftanlage an Land im Bestfall produziert. Auf das fehlende Geschäftsmodell hat die deutsche Politik bereits reagiert und ein 300 Millionen Euro schweres „Bundesprogramm Ladeinfrastruktur“ aufgelegt. Seit März 2017 können Investitionszuschüsse beantragt werden. Zwei Drittel der Summe sollen in Schnellladestationen fließen, damit wären theoretisch allein in Deutschland 400 ultraschnelle Autobahn-Elektrotankstellen einzurichten. Doch auch hier gilt: Als „schnell“ zählt jede Ladesäule, die mehr als 22 kW bereitstellt. Zwar werden Ladestationen mit mehr als 100 kW mit bis zu 30 000 Euro gefördert, bei einem Anschluss an das Mittelspannungsnetz sogar mit bis zu 50 000 Euro. Doch eine feste Quote für Stationen mit hoher Ladeleistung ist nicht vorgesehen.
Nachdem die Automobilindustrie Milliarden in die Entwicklung rein batterieelektrischer Fahrzeuge investiert, ist sie nun in einer Zwickmühle. Niemand weiß, ob die Käufer eines Volkswagen I.D. oder Mercedes-Benz EQ sich mit ihrem Auto regelmäßig auf die Langstrecke wagen. Sicher ist nur: 2020 muss europaweit zumindest ein rudimentäres Netz an ultraschnellen Elektrotankstellen in Betrieb sein. Da weder Politik noch Energiewirtschaft kurzfristig dafür sorgen, haben BMW, Daimler, Ford sowie der Volkswagen-Konzern das Gemeinschaftsunternehmen Ionity gegründet, das bis zum Jahr 2020 an den Hauptverkehrsachsen des Kontinents insgesamt 400 Ladestationen nach aktuellem Stand der Technik aufbauen soll.
Jede Ladestation wird über mehrere Ladesäulen verfügen, die über den standardisierten CCS-Stecker Strom mit bis zu 350 kW in den Akku pumpt. Als kluger Schachzug des von BMW entsandten CEO Michael Hajesch könnten sich die eingegangenen Partnerschaften mit der Mineralölindustrie erweisen. Bereits kurz nach Gründung von Ionity konnte er Kooperationen mit Shell und der österreichischen OMV vermelden, auch Tank & Rast ist im Boot. Alle 120 Kilometer, so die Zielsetzung der Partner, soll künftig ultraschnelles Laden möglich sein. Das freilich gilt vorerst nur für 18 von Ionity definierte Märkte, die von Norwegen bis nach Slowenien und von Irland bis nach Polen reichen. Wer nach Spanien oder Italien will, sollte vorerst besser einen Benzin- oder Dieseltank an Bord haben.
Redakteur: Johannes Winterhagen
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