Ähnlich wie mechanische Roboter in der Fertigung übernehmen inzwischen immer häufiger Algorithmen und smarte Prozessautomatisierungstools klassische Büroarbeiten. Meistens handelt es sich um eine sogenannte Robotic Process Automation (RPA), bei der Bots selbstständig Entscheidungen treffen. Genau genommen ist RPA die Weiterentwicklung von Business Process Automation (BPA). Doch es gibt einen gravierenden Unterschied: Bei RPA kommt intelligente, selbstlernende Software zum Einsatz und ist äußerst aktiv. Angestoßen wird ein RPA-Prozess durch äußere Ereignisse, beispielsweise einen Rechnungseingang oder einen Störfall.
Der Bot beschafft sich dann weitere Informationen innerhalb der IT-Infrastruktur, beispielsweise aus den ERP- oder CRM-Systemen. Er kann selbstständig Abfragen generieren und „versteht“ auch die Antworten, die er erhält. Wenn nicht, fragt die Maschine menschliche Kollegen so lange, bis ihr klar geworden ist, wie sie bestimmte Probleme zu lösen hat – Machine Learning in seiner reinsten Form. „Was wir heute erleben, ist ähnlich zur damaligen Einführung von Robotern am Fließband. RPA befreit von ermüdender und stupider Routinearbeit. Mitarbeiter können sich kreativeren und interessanteren Aufgaben widmen“, erklärt die Londoner Technologieprofessorin Leslie Willcocks die Veränderungen an den Schreibtischen.
Ein anschauliches RPA-Beispiel hat Systemintegrator DXC zur Hand. In diesem Fall geht es um eine Helpdesk-Anwendung bei einem Autohersteller, bei der RPA-Bots die erste „Kontaktperson“ sind und die Servicetickets anlegen. Der Bot stellt die üblichen Routinefragen zu Fehlermeldungen bei Druckern, Druckertyp, Papiervorrat, Druckmittel und Lampenstatus. Aufgrund der erteilten Antworten unterbreitet er Empfehlungen wie Aus- und Einschalten oder Papierzufuhr überprüfen. Hat der Bot Zugriff auf das Firmennetz, kann er versuchen, Remote Checks laufen zu lassen. Klappt das nicht, vermag er den Drucker im Netz neu zu starten und kann versuchen, eine Verbindung herzustellen. Andere Anwendungsfälle sind Rechnungsprüfung, Budgetkontrolle, Reporting sowie praktisch alle Arten von Genehmigungsverfahren. Viele Unternehmen investieren derzeit erheblich in neue Bot-Mitarbeiter.
Die Marktforscher von Gartner meinen, dass bis 2020 rund 40 Prozent aller Großunternehmen RPA im Einsatz haben werden. Dann sollen Bots rund zwei Drittel der heutigen Büroaufgaben übernommen haben. Gemäß einer Lünendonk-Studie setzen auch Unternehmen in der Autobranche verstärkt auf die Einführung digitaler Automatisierungstools. 96 Prozent der befragten Firmen messen der „Automatisierung von Geschäftsprozessen“ oberste Priorität zu. Tatsächlich liegt dieser Bereich deutlich vor Sicherheit (73 Prozent) oder Big Data (52 Prozent). Die Gründe dafür sind aus unternehmerischer Sicht offensichtlich: Der Einsatz von RPA beschleunigt viele Arbeiten, ersetzt teure Mitarbeiter und ist an sieben Tage in der Woche rund um die Uhr verfügbar.
RPA hat nicht nur technologische und prozessorientierte Dimensionen, sondern entfaltet erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze, die Organisation der Arbeit und neuerdings auch auf die rechtlichen Konsequenzen von Bot-Entscheidungen. Für eine erfolgreiche Einführung von RPA sind spezielle Schulungsmaßnahmen und andere Weiterqualifikationen unabdingbar. Die Bedenken, dass RPA zu einer neuen Arbeitslosigkeit führen könnte, teilt man bei den Anbietern dieser Technologie naturgemäß nicht. DXC meint dazu beispielsweise: „Überall dort, wo bislang RPA zum Einsatz kommt, gibt es einen immensen Personalmangel, der selbst mit der Einführung von Robotern und der Umschulung bisheriger Mitarbeiter zumeist nicht abgebaut werden kann.“
Auch eine Untersuchung der London School of Business kommt in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass bislang „die Einführung von Automatisierungstools keine signifikanten Veränderungen am Arbeitsmarkt bewirkt hat“. Der auf RPA spezialisierte IT-Analyst Zachary Kelemen ist dagegen anderer Ansicht: „Die Einführung von RPA wird oft verglichen mit der Automatisierung in der physischen Welt. Falls das zutrifft, steht uns eine erneute Industrierevolution mit ähnlichen Maschinenstürmern wie im 19. Jahrhundert bevor“, lautet seine Warnung. Er fordert schnellstmöglich entsprechende politische Weichenstellungen in den Industrieländern. „Es fehlt an Gesetzen und Vorschriften, was auch daran liegt, dass die Politik mit diesen Themen total überfordert ist.“
Die Haftungsfrage bei Roboterentscheidungen ist bis heute ebenfalls weitgehend ungeklärt. Je komplexer die Bots werden und je mehr sie „lernen“, umso intransparenter muten ihre Abläufe und Entscheidungen an. „Fehler lassen sich bei autonomen Systemen nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen – und hieraus entstehen Haftungsfragen. Diese Regressansprüche sollten gegen die entsprechende Organisation oder die Systementwickler geltend gemacht werden“, schreibt Jörn von Lucke von der Zeppelin-Universität Friedrichshafen in einem gemeinsamen Bericht des Innenministeriums und des Fraunhofer-Instituts.
Als Gegenmaßnahme empfiehlt er den Abschluss von Haftpflichtversicherungen, um damit die Risiken von Fehlentscheidungen autonomer Systeme abzumildern und die Haftung und die Rechtskosten zu begrenzen. Andere Experten sehen vor allem die Systementwickler in der Pflicht. „Entwickler und Technikverantwortliche müssen auch für lernende Roboter in die Pflicht genommen werden“, meint Klaus Lenk von der Universität Oldenburg. Die Zurechnung von Ergebnissen zu Tätigkeiten von Robotern könnte ähnlich geregelt werden wie in der Tierhalterhaftung – dort sieht man Tiere schon lange nicht als Rechtspersonen an. Darüber hinaus glaubt er, dass das Leben mit selbstorganisierenden technischen Verfahren nicht nur rechtstechnische Vorkehrungen, sondern auch politische, in Rechtsform gegossene Entscheidungen darüber verlangt, bis zu welchem Grad ihre autonomen Entscheidungen und Tätigkeiten gesellschaftlich erwünscht sind oder hingenommen werden können.
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