autonomfahren

Die Technologie ist serienreif, leider fehlt noch der Segen des Gesetzgebers, um sie auch auf deutschen Straßen einsetzen zu dürfen. Die Rede ist vom Mitte 2017 vorgestellten künftigen Stauassistenten des Audi A8. Dieser ermöglicht hochautomatisiertes Fahren im Stop and Go auf der Autobahn – eine Typzulassung durch die Behörden hat er aber noch nicht. Daran wird nun gearbeitet. Der Fall zeigt, dass auf dem Weg zum autonomen Fahren ganz neue Herausforderungen auf die Automobilindustrie zukommen: der Nachweis, dass die Assistenzsysteme mindestens so fehlerfrei arbeiten wie der Mensch. Das ist schon allein aus statistischen Gründen nicht ganz einfach. Beispiel Autobahn: In Deutschland geschieht dort statistisch gesehen nur noch alle fünf Millionen Fahrkilometer ein schwerer Unfall. Wenn ein autonomes Fahrzeug das Risiko dafür nochmals um die Hälfte reduzieren soll, steigt bereits bei relativ niedrigen Ansprüchen an das Signifikanzniveau die erforderliche Testlänge um das Zehnfache. Eine Million Fahrkilometer aber kosten rund eine Million Euro – durch Dauerlauftests wird der Nachweis also rasch unwirtschaftlich, wenn es kein Procedere für die Risikobewertung gibt, das dieser Situation auf völlig neue – und genauso zuverlässige – Weise Rechnung trägt. „Es gibt weltweit einen Konsens darüber, automatisierte Fahrfunktionen über Fahrsituationen und -szenarien abzusichern, als Ergänzung zu den klassischen Freigabemethoden der Typzulassung“, sagt Houssem Abdellatif, der beim TÜV Süd das Thema autonomes Fahren leitet. Er bestätigt aber auch: „Weltweit gibt es noch keine Regularien oder Vorschriften, die die Typzulassung von automatisierten und autonomen Fahrfunktionen definieren.“

Maßgebliche Fortschritte beim Lösen dieses Testdilemmas erhofft sich die Branche von dem Verbundprojekt Pegasus, das vom Bundeswirtschaftsministerium finanziert wird. Mit ihm sollen bis Mitte 2019 wesentliche Lücken im Bereich des Testens bis hin zur Freigabe hochautomatisierter Fahrfunktionen geschlossen werden. Das Ziel ist eine herstellerübergreifende Methode. Zu den 17 Projektpartnern gehören Audi, BMW, Bosch, Continental, Daimler, Opel, TÜV Süd und Volkswagen – schon das zeigt, welche Bedeutung die Branche dem Vorhaben beimisst. „Pegasus beschäftigt sich mit der Level-3-Automatisierung“, erklärt Frank Köster, Abteilungsleiter Branchen am Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, einem weiteren Projektpartner. Konkret geht es darum, eine Datenbank kritischer Situationen zu erstellen. Aus ihr wollen die Projektpartner einen Kriterienkatalog ableiten, um Verkehrssituationen zu bewerten. Diese Bewertung erfolgt über Metriken, etwa den Abstand zweier Fahrzeuge oder ihre Relativgeschwindigkeit zueinander. Solche Metriken dienen dann dazu, die Kritikalität einer Situation zu bemessen – und letztlich das Güteniveau des automatisierten Fahrens nachzuweisen. Vergangenen November haben die Projektbeteiligten erste Ergebnisse vorgestellt, die das hochautomatisierte Fahren auf Autobahnen in einem Geschwindigkeitsbereich zwischen null und 130 Kilometern pro Stunde betrafen. „In Pegasus definieren wir Güteniveaus im Vergleich zum Menschen“, sagt Köster. „Dafür nutzen wir die gesamte Kette aus Simulation, Prüfstand, Prüfgelände und Feldtest. Da kommen mehrere 100 Millionen Fahrkilometer zusammen.“ So eine Kombination aus Simulation und Validierung im Realtest laufe in der Luftfahrt ganz ähnlich ab. Auf der Grundlage der Ergebnisse sollen die Behörden dann später den genauen Freigabeprozess für eine Typzulassung automatisierter und autonomer Funktionen festlegen können.

Noch einen Schritt weiter in die Zukunft denken der TÜV Süd und das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI): Mit der gemeinsamen Plattform Genesis wollen sie die KI von autonomen Fahrzeugen trainieren und validieren. Denn künftig werden die technischen Prüforganisationen ja eben auch das „Gehirn“ eines Fahrzeugs abnehmen müssen. „Unsere Idee ist es, synthetische Sensordaten zu generieren und daraus systematisch Validierungsdaten für neuronale Netze zu erzeugen – und zwar für Umfelderkennung und Manöverplanung“, erklärt Christian Müller, der das Team Autonomous Driving am DFKI leitet. Zur Umfelderkennung gehört zum Beispiel die korrekte Wahrnehmung anderer Verkehrsteilnehmer. Bei der Manöverplanung dreht sich alles um die nächsten ein, zwei Minuten des Fahrens, Spurwechsel gehören zum Beispiel dazu. Die Daten stehen dann über die Plattform für interessierte Unternehmen zur Verfügung, um neue KI-Systeme zu entwickeln und in ihrer Verlässlichkeit beurteilen zu können.

Ist es nur eine Frage des Knowhows und der Zeit, bevor sich die neuen Herausforderungen für die Typzulassung autonomer Fahrzeuge lösen lassen? DLR-Wissenschaftler Köster bleibt skeptisch: „Ein vollumfängliches autonomes Fahren, also Level 5, ist für einen Hersteller vielleicht gar nicht wirtschaftlich sinnvoll.“ Wenn es klar definierte Einsatzzwecke, Umgebungen und Szenarien für Level-5-Fahrzeuge gebe, dann sei Autonomie zweifellos zu vertretbaren Kosten test- und validierbar. „Aber die eigene Fahrerfahrung zeigt einem doch, dass viele mögliche Verkehrssituationen sehr selten vorkommen“, gibt Köster zu bedenken. Der Aufwand, um solche höchst seltenen Situationen für die Typzulassung abzusichern, sei riesig – und müsste letztlich von jemandem bezahlt werden. Wären Autokäufer dazu bereit? „Auch in der Luftfahrt gibt es trotz Autopiloten in Reiseflughöhe und automatisierter Landung keine Vollautomatisierung“, gibt Köster zu bedenken. „Der Start ist nicht automatisiert, weil die Entwicklung eines Flugzeugs dadurch einfach günstiger wird.“

Autor: Michael Vogel

Bilder: Audi

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