cargonexx startup

Das Gründerteam von Cargonexx (von links): Rolf-Dieter Lafrenz (CEO), Bert Manke (CSO), Tom Krause (CTO) und Can Akin (COO). (Bild: Cargonexx)

Täglich donnert mehr als eine halbe Million schwere Lkw über deutsche Autobahnen. Dumm nur, dass schätzungsweise durchschnittlich jeder dritte davon mindestens über eine Strecke von 100 Kilometern leer unterwegs ist. Die Aussichten auf Besserung sind mau, weil der Schwerverkehr ungebremst wachsen wird. Auch weiterhin werden Zugmaschinen, die locker 30 Liter Diesel durch den Vergaser jagen, sinnlos Luft bewegen. Kein guter Trend. Das dachte sich auch Rolf-Dieter Lafrenz und legte die Dispo mit seinem Startup Cargonexx in die Hände neuronaler Netze, um Leerfahren zu vermeiden. Künstliche Intelligenz führt Ladungen automatisch mit freien Kapazitäten zusammen und hievt das Speditionswesen insgesamt auf eine neue Ebene: „Mit KI bestimmen wir Spotmarktpreise für Schwerlasttransporte und sind damit gleichzeitig eine Art digitale Spedition.“

Ins Pricing einer Fahrt fließen zahlreiche Faktoren ein: Wetter, Verkehrsaufkommen, Tageszeiten, Feiertage … Jede Tour ist einmalig, jeder Preis anders. „Ein erfahrener Disponent weiß das und hat ein Bauchgefühl dafür“, sagt Lafrenz. Das Problem: Jenes Bauchgefühl trägt nicht weit, taugt nämlich nur für eine begrenzte Region, weil der Spaß sonst zu komplex wird: „Eine Einschätzung von Mecklenburg-Vorpommern bis Südfrankreich dürfte schwerfallen, da zu viele Faktoren eine Rolle spielen.“ Hier kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel. Zunächst haben Lafrenz und sein inzwischen 45-köpfiges Team einen selbstlernenden Algorithmus mit einer Million historischen Tourendaten und rund 400 Parametern wie Wetter, Wochentag, Wartezeiten trainiert, um aus diesem Geflecht flugs einen Preis zu finden.

Der Trick ist, dass die Masse an Parametern logischerweise untereinander interagiert und Wirkungen entfaltet, die das menschliche Hirn schwerlich überreißen kann, ein künstliches neuronales Netz aber schon. „Manni“, wie die Entwickler ihren Algorithmus liebevoll nennen (steht für: Multidimensional Artificial Neural Network Intelligence), ist sozusagen ein digitaler Disponent mit Superhirn, der eben auch voraussagen kann, wann wo welche Bedarfe entstehen werden. Was bei kurzfristigen Just-in-Time-Lieferungen, die branchenübergreifend Standard sind, um Lagerkosten zu sparen, entscheidend sein kann.

Beispielsweise erkennt die KI den Zusammenhang, dass der Preis einer montäglichen Fahrt von Dortmund nach Berlin höher ausfallen muss, weil auf dieser Strecke weniger Brummis unterwegs sind. Nachdem viele Fahrer aus Osteuropa stammen, fahren diese zum Wochenende heim und wollen den Freitagstrip gern mit Fracht garnieren – das hohe Platzangebot drückt die Preise. Oder: Montags wird es auf der Achse Hamburg-München teuer, da die Fracht des Wochenendes vom Hafen der Hansestadt weggeschafft werden muss. „Diese Kombinationsleistung ist entscheidend. Mit jeder Tour aus unserem laufenden Geschäftsbetrieb lernt die KI hinzu – auch zu registrieren, wenn sie Fehler macht, um sie selbst zu korrigieren“, erklärt Rolf-Dieter Lafrenz. Bislang klappt das bei vollen Standard-Sattelschleppern gut. In der nächsten Ausbaustufe sollen auch Teilladungen automatisiert auf jeweils passende Nutzfahrzeuge verteilt werden können, vom Kühllaster bis zum Kipper.

„Erste Erhebungen zeigen, dass wir bei Vollladungen bis zu zehn Prozent der Strecken einsparen konnten, weil es weniger Leerfahrten gibt und damit weniger Verkehr, was die Umwelt schont.“ Und die Nerven obendrein. Denn Anbieter und Nachfrager finden in Windeseile zusammen: „One-Klick-Trucking“ nennen die Hamburger das. Statt eine Menge Papier zu produzieren, das durch etliche Hände läuft und in unterschiedlichen Systemen erfasst wird, benötigt das Matching samt Spotpreis über das Portal kaum Zeit. „Heute benötigen Disponenten zwischen 20 und 30 Minuten, um einen Transportauftrag vom Anfang bis zum Ende zu organisieren. Über Cargonexx sind es zwischen 15 Sekunden und einer Minute“, rechnet Lafrenz vor.

Folge: Die Handlingskosten sinken erheblich. Die KI spielt auch ganz handfest Controllern in die Hände: beim Transportpreis zum Beispiel. Lafrenz: „Wir berechnen tagesaktuelle Preise, die teilweise deutlich unter langfristigen Fixpreisen liegen können.“ Nachdem die KI Touren und Auslastungen voraussagt, können auch Fahrern hinter dem Lenker Tourenvorschläge für die nächsten Tage ins Cockpit getickert werden, so dass diese ihre Auslastung „on the fly“ optimieren. Natürlich nicht mit Kleinkram: Vermittelt werden Frachten ab drei Lademetern bis hin zum gesamten Lkw.

Mittlerweile zählt die Plattform europaweit in ihrem Netzwerk gut 8000 Brummis. Außerdem kann Cargonexx bei Bedarf auf Transportkapazitäten von mittelständischen Spediteuren zugreifen. Der Dienst ist kostenlos und im Gegensatz zu anderen Vermittlungsplattformen tritt das Startup als haftender Spediteur auf, der die Verantwortung für die tatsächliche Durchführung der eingestellten und gebuchten Frachten übernimmt.

Das Geschäftsmodell ist klassisch: „Wir verdienen eine Marge zwischen Einkauf und Verkauf einer Tour. Das ist bei Spediteuren seit Jahrhunderten so üblich“, meint Rolf-Dieter Lafrenz. Über Kundennamen hüllt sich der Chef in Schweigen. Nur so viel: Es sind wohlbekannte Konzerne aus Konsumgüterbranche, Autoindustrie und Handel. Wohl auch mit Blick darauf blickt der ehemalige Unternehmensberater frohgemut in die Zukunft: „In fünf Jahren sind wir europaweit mit Teil- und Komplettladungen unterwegs und werden uns mindestens um den Faktor 50 vergrößert haben.“ Lafrenz tickt binär. Sein Credo: „Die Digitalisierung hat viele Dinge des täglichen Lebens stark vereinfacht. Warum nicht auch die Lkw-Logistik?“

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