Investitionen_Industriepolitik

In Sachen Digitalisierung und Mobilität droht Deutschland den Anschluss zu verlieren.

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Die Szenerie: Hannover Messe 2019, auf der Pressekonferenz eines großen deutschen Industrieverbandes treffen sich die Experten der Branche mit Medienvertretern. Eines der Themen ist die KI-Strategie der Bundesregierung, die auf dem Podium angesprochen wird. Die Reaktion: Schallendes Lachen unter den anwesenden Journalisten, Gelächter unter den Sprechern auf dem Podium, selbst die Presseabteilung des Verbandes kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die deutsche Politik setzt das Thema KI in den Sand und alle wissen es. Alle, außer der deutschen Politik. Doch das wird Folgen haben, die heute kaum absehbar sind. „Viele Europäer wähnen sich noch im Zentrum des Geschehens: Die Veröstlichung der Marktwirtschaft ist in vielen Köpfen noch nicht angekommen. Doch es gibt eine wirkliche Veränderung von globalisierten Wertschöpfungsketten“, sagt Sebastian Heilmann, der an der Universität Trier zur Politik und Wirtschaft Chinas lehrt.

In den letzten Jahren hat China ein Drittel zum globalen Wachstum beigesteuert. Zum Vergleich: Für 124 Länder ist China bereits Haupthandelspartner, die USA sind das nur für 56 Länder. Beim vieldiskutierten Breitband- und 5G-Ausbau gilt: China baut die Infrastruktur in über 30 Ländern auf. Damit werden technologische und Kommunikationsstandards gesetzt. Anders als die USA, die die europäische Wirtschaft haben groß werden lassen, wird das bei China anders aussehen, glaubt Heilmann: „China 2025 ist darauf ausgerichtet, dass chinesische Unternehmen an der Spitze stehen, sie sollen die Wettbewerber ersetzen.“ In der vernetzten Mobilität hat sich China vorgenommen, bis 2025 globaler Leitmarkt zu werden, bei künstlicher Intelligenz bis 2030. Das gilt explizit nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern ebenso für industrielle Anwendungen. Auch das Zukunftsthema Quanten­computing haben die Chinesen selbstverständlich auf der Agenda. Das chinesische Modell, das dem Forscher zufolge ganz sicher nicht liberal auf freie Märkte und freie Forschung ausgelegt ist, werde inkompatibel bleiben und es gebe keine Konvergenz. So könnte in zehn bis 15 Jahren die primäre Wissenschaftssprache nicht mehr Englisch, sondern Chinesisch werden. „Angesichts des monströs großen und schnell laufenden Spielers fehlt es Europa an Kraft und Entschlossenheit, der Aggressivität Chinas etwas entgegenzusetzen“, sagt Heilmann.

Technologie der zwei Geschwindigkeiten

Die völlig unterschiedlichen Relationen zeigen sich in den Zahlen: Schanghai steckt 15 Milliarden Dollar in KI-Projekte, zum Beispiel eine Smart City. In Peking wird aktuell für rund zwei Milliarden Dollar ein Industriepark für neue KI-Unternehmen gebaut – und das sind nur zwei chinesische Städte. Die EU-Kommission und nationale Regierungen haben vor Kurzem beschlossen, gemeinsam mit Unternehmen bis 2020 rund 20 Milliarden Euro in KI zu investieren – sieben Milliarden davon aus den öffentlichen Haushalten. Schaut man sich die konkreten Zahlen in Deutschland an, ist Hoffnung fehl am Platz. „Es ist ganz entscheidend, dass mehr als vorgesehen in ‚KI made in Europe‘ investiert wird. Nur so können wir sicherstellen, dass es Produkte gibt, die auf der Grundlage unserer Werte basieren und nicht zum Beispiel zur Kontrolle der Bevölkerung missbraucht werden können“, sagt Grünen-Bundestagsabgeordnete Anna Christmann, Obfrau in der Enquete-Kommission für künstliche Intelligenz des Bundestags. Sie wünscht sich eine gemeinsame europäische Innovationsunion, um den globalen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Die Bundesregierung schaffte es jedoch lange nicht, die versprochenen ersten drei Milliarden für die KI-Strategie bereitzustellen. Jetzt sollen 500.000 Euro für die KI-Förderung fließen. „Der Haushalt für 2019 wurde im November 2018 beschlossen und erst jetzt konnten sich Wirtschafts-, Wissenschafts- und Arbeitsministerium überhaupt erst darauf einigen, welches Ministerium wie viel von dieser winzigen Summe abbekommt“, erklärt die Grünen-Abgeordnete.

„China investiert extrem viel in KI. Ich bin aber der Meinung, Masse ist nicht alles. Wir sind gut aufgestellt mit guten Lehrstühlen und Forschungsinstituten, um die uns viele beneiden“, hält Tim Hosenfeldt dagegen. Er leitet den Bereich Innovation und zentrale Technologie beim Zulieferer Schaeffler und ist Professor für Produktentwicklung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Wenn diese Stärken noch besser gebündelt, der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Forschung, Politik und Wirtschaft noch stärker intensiviert würden, habe man eine gute Position im Wettbewerb.

Zudem sei man in Deutschland, was angewandte Forschung und das Thema Patente angeht, sehr gut aufgestellt. In puncto Kreativität sieht er Europa vorn: „Meiner Meinung nach ist die freiheitlich-demokratische Grundordnung, insbesondere die Freiheit von Lehre und Forschung, dafür besonders wichtig“, sagt der Innovationsleiter. Es sei aber richtig, innerhalb Europas zu diskutieren, ob man nicht nur die Forschung, sondern analog zu Ländern wie China auch Technologietransfer zur schnelleren Industrialisierung finanzieren sollte. Beim Technologiewandel müsse man in der Industrie mehr Einigkeit erzielen und enger zusammenarbeiten. „Hier stößt man in Deutschland und Europa schnell auf das Thema Kartellrecht. Da tun sich China und die USA vielleicht etwas leichter“, meint Tim Hosenfeldt. Das zeige zum Beispiel die gescheiterte Fusion von Siemens und Alstom, durch die man mit internationalen Großkonzernen mithalten wollte.

Ausbaufähige Innovationsbereitschaft

Grundsätzlich steht Deutschland in den Innovationsindices gut da. Bei den Ausgaben für Innovationsaktivitäten holen andere Länder jedoch auf. Deutschland steht hier im internationalen Vergleich nur noch auf Platz zehn. Seit 2006 ist die Innovatorenquote in Deutschland rückläufig. „Wir sollten uns auf unsere Stärken besinnen“, meint Wilhelm Bauer von der Uni Stuttgart und Vorsitzender des Fraunhofer-Verbunds Innovationsforschung. Diese lägen in Deutschland im Maschinen- und Anlagenbau, der Medizintechnik oder auch dem Automobilbau. „Es muss uns gelingen, die in diesen Bereichen entstehenden kontextsensitiven Daten dafür zu nutzen, spezifische KI-Technologien zu entwickeln“, fordert Bauer. KI lebt von Massendaten, deshalb sei ein Ansatz, Trainingsdatenbanken in Forschung und Wirtschaft zu teilen. In der europäischen Zusammenarbeit tut sich freilich wenig.

Die von Emmanuel Macron gewünschte intensive Kooperation bei KI wird ausgebremst. Die Bundesregierung gibt sich mit einer Agentur, die sich mit disruptiven Verwerfungen befassen soll, erneut eine Blöße. Erst wenn sie existiert, will man europäische Projekte angehen. „Die Agentur für Sprunginnovation hat zwei Startfehler: Zum einen wird auf eine rein nationale Agentur gesetzt, die disruptive Innovation muss aber ein europäisches Thema sein, sonst bekommen wir die nötigen Summen gar nicht zusammen“, sagt Grünen-Politikerin Christmann. Zweitens werde die Agentur so eng an den Ministerien aufgebaut und der Prozess ziehe sich so lang hin, dass die nötige Dynamik fehle. „Wir haben eine Gründungskommission, aber der Start steht in den Sternen“, so die Abgeordnete.

Perspektiven für die Mobilitätswende

Mit den Themen Mobilität und Klimawandel stehen neben der KI weitere, durchaus dringlichere Innovationsbereiche an. Die Wünsche aus dem Automotive-Umfeld sind eindeutig: „Das Thema Energiekette ist für uns als Automobil- und Industriezulieferer sehr wichtig: Wir brauchen klare und eindeutige Rahmenbedingungen. Nur so können wir Zukunft gestalten und an den richtigen Themen arbeiten“, wünscht sich Hosenfeldt von der Politik. Der Innovationsleiter von Schaeffler glaubt an die Brennstoffzelle und Wasserstoffkette inklusive synthetischer Kraftstoffe. „Umweltfreundliche Mobilität wird nicht nur batterietechnisch funktionieren. Deshalb mein dringender Aufruf an die Politik, neue Antriebe technologieoffen zu fördern.“

Insbesondere deutsche Mittelständler fallen derzeit im Innovationswettbewerb zurück, heißt es im „Innovationsindikator 2018“ des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Der BDI führt das auf Schwächen bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle, den Fachkräftemangel und die vergleichsweise niedrigen Gründungszahlen bei innovativen Startups zurück. Hauptbremse für die Umsetzung von KI-Vorhaben dürfte, wie Wolfgang Wahlster vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz prognostiziert, der Fachkräftemangel sein. An dieser Stelle tut sich – wieder einmal – die Frage nach der Attraktivität Deutschlands für Fachkräfte aus dem Ausland auf – und zeigt sich der Schaden, der durch den Rechtspopulismus entsteht. Zwar seien deutsche Forschungsinstitute zumindest technologisch gut aufgestellt und leisten einen wichtigen Beitrag zur Innovationskraft in Deutschland, meint Bauer: „Allerdings müssen wir viel attraktiver werden, um exzellente ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anzulocken. Beim Anteil ausländischer Doktoranden liegt Deutschland beispielsweise klar unter dem Durchschnitt.“

Bilder: Daimler; Fraunhofer IPA: Heike Quosdorf/Rainer Bez; iStock/4X-image: iStock/Phuchit

Illustration: A. Croonenbroeck/S. Vogel

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