Eine großer Verkehrsknotenpunkt aus der Vogelperspektive

Damit europäische Anbieter bei der Vernetzung nicht ins Hintertreffen geraten, sollte ein europäischer Data Space schnell umgesetzt werden.

Die Vorteile des vernetzten Fahrens sind unter dem Stichwort vom „Fahrzeug als Next Device“ von allen OEMs erkannt, glaubt Harald Proff, Leiter Automobilindustrie bei Deloitte. „Dennoch ist die Wertschöpfung noch nicht im Fahrzeug implementiert, viele von den Anwendungen sind hinter den Erwartungen der Nutzer zurückgeblieben“, erklärt der Experte. So fehle es beispielsweise noch an Streaming-Diensten oder Features on Demand. Einer aktuellen Deloitte-Studie zufolge sind gerade deutsche Autokunden nicht bereit, für Vernetzung Geld auszugeben. Während in China 76 Prozent einen Mehrwert in Fahrzeugvernetzung sehen, sind es in Deutschland nur 36 Prozent der Befragten. Doch was bedeutet das konkret für die Hersteller?

„Es ist in Deutschland eine deutliche Zurückhaltung zu sehen, für Vernetzung Geld auszugeben. Die Herausforderung, einen positiven Business Case mit Connected Services zu entwickeln, ist entsprechend hoch“, erklärt Proff. Das sei nur möglich, wenn Prozessverbesserungen nach innen umgesetzt würden, indem die Hersteller von einer besseren Schnittstelle zum Kunden profitieren – parallel zu einem wachsenden Nutzen für den Endverbraucher. Ob aber in Deutschland oder Europa jemals eine ähnliche Zustimmung zur Vernetzung denkbar ist wie beispielsweise in China, steht in den Sternen.

So sind im Reich der Mitte Fahrzeuge beispielsweise bereits mit Baidu und Alibaba verknüpft. Allerdings lässt sich die Situation in einem autokratischen Staatssystem, das die Überwachung der Bürger immer weiter ausbaut, nicht mit der politischen Situation in Europa vergleichen. Auch deshalb ist es teilweise irreführend, den deutschen Herstellern vorzuwerfen, sie seien bei der Entwicklung vernetzter Mobilität zu langsam. Abhilfe könnte die EU-Strategie Gaia-X schaffen, in deren Rahmen auch der Mobility Data Space eingebunden werden soll, um einen konkurrenzfähigen Datenraum mit europäischen Werten voranzutreiben.

Europäische Dateninfrastruktur

Denn gerade wenn es um Mobilitätsdaten wie Floating Car Data geht, kommen Themen wie Datensicherheit und Datensouveränität ins Spiel. „Der Mobility Data Space ist eine erweiterte Dateninfrastruktur, in der dem Datengeber technisch zugesichert wird, dass er die Kontrolle über seine Daten behalten kann“, so Sebastian Pretzsch, Gruppenleiter Datensysteme und Assistenz der Abteilung Mobilität und digitale Dienste beim Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme (IVI). Dazu gehören GPS-Koordinaten eines fahrenden Fahrzeugs – schutzbedürftige Rohdaten, aus denen sich viele personenbeziehbare Rückschlüsse ableiten lassen und auf deren Monetarisierung viele der denkbaren neuen Geschäftsmodelle basieren.

„Nutzer werden viele Anwendungsfälle unterbinden wollen, zum Beispiel die strafrechtliche Auswertung von Geschwindigkeitsdaten, andere, wie die Auswertung für allgemeine Verkehrsinformationen, jedoch vielleicht erlauben. Ein solcher Data Space ermöglicht, Mehrwert aus Daten zu ziehen, die bisher nicht bereitgestellt werden konnten oder durften“, erklärt Pretzsch, der auch Ansprechpartner für den Mobility Data Space ist. Das gilt zum Beispiel für Rohdaten, die Betreiber von Fahrzeugflotten erheben. Mit einer verlässlichen Möglichkeit, über eigene Daten zu bestimmen, würden auch Geschäftsmodelle rund um den Verkauf von Daten realistischer werden.

„Es ist hierzulande ausdrücklich gewollt, den Datenschutz höher zu hängen“, sagt auch Proff. Man müsse zwar mit diesem Regulationsumfeld umgehen, das bedeute allerdings nicht, dass die Kunden die Möglichkeiten der Vernetzung nicht gern nutzen würden. Auch der Deloitte-Experte sieht den Mobility Data Space als Versuch, das Thema auf europäische Art und Weise umzusetzen. Allerdings glaubt Proff, dass eine europäische Lösung schnell kommen muss, damit europäische Anbieter bei der Vernetzung nicht weiter ins Hintertreffen geraten.

BMW brachte Ethernet im Auto

Eine andere Baustelle ist die Vernetzung im Fahrzeug. „Das Fahrzeug heute ist weit davon entfernt, vollständig IP-vernetzt zu sein – anders als es im Industrie-4.0-Umfeld und bei Consumer-Elektronik der Fall ist“, sagt Thomas Liebetrau, Systemarchitekt Body-Elektronik in der Division Automotive bei Infineon. Stattdessen ist es ein System mit verteilten Komponenten, das mit klassischen (CAN-)Bus-Systemen bestückt ist. Steuergeräte mit ihren jeweiligen Sensoren und Aktuatoren agieren unabhängig voneinander, über das Bordnetz werden vorwiegend Statusinfos ausgetauscht.

Für Vernetzung auf Basis des Internet Protocol (IP) spricht hingegen für Liebetrau auch, dass Software immer entscheidender für das Fahrzeug wird und Hersteller und Zulieferer zunehmend mehr Personal im Softwareumfeld zusammenfassen. „Die Komplexität in Fahrzeugen steigt drastisch. Damit und mit dem Trend zu Fahrassistenzsystemen und zum automatisierten Fahren wächst die Notwendigkeit, dass sich verschiedene Systeme austauschen. Deshalb muss man von der signal- zur datenbasierten Kommunikationsebene kommen“, meint Liebetrau. Dafür sei der CAN-Bus jedoch nur eingeschränkt tauglich.

Unter den OEMs ist BMW als Erstes den Weg hin zu Ethernet im Auto gegangen und heute schon relativ weit bei einer IP-vernetzten Architektur. Doch nicht nur die meisten Hersteller haben mit einem technologischen Erbe zu kämpfen, auch die Tier-One-Zulieferer sind auf den CAN-Bus eingestellt, meint Liebetrau. Aus Car-IT-Sicht ist dabei vor allem die Updatefähigkeit über die Cloud entscheidend. „Da sehe ich noch deutlichen Nachholbedarf“, konstatiert Thomas Liebetrau. Bekanntermaßen sei Tesla damit bisher am weitesten.

Standards würden Chipherstellern helfen

Um die „richtige“ IVN-Lösung (In-vehicle Networking) ist jedoch ein Streit entbrannt. „Es gibt aktuell das Bestreben, CAN unter dem Begriff CAN XL dahin weiterzuentwickeln, wobei IP-Pakete getunnelt und so die alte mit der neuen Welt verbunden werden können. Ich halte allerdings eher etwas davon, moderne IT-basierte Strukturen in Fahrzeuge zu holen, auch wenn der Aufwand am Anfang höher ist“, wirbt Liebetrau für Ethernet. Er geht davon aus, dass sich die Technologie auch bei den anderen Herstellern als Vernetzungsstrategie durchsetzen werde.

Klassisches Ethernet wird im Industrie- und Consumer-Umfeld mit zwei oder vier abgeschirmten Kabelpaaren umgesetzt, doch das ist im Fahrzeugumfeld zu teuer. „Wir sind guter Hoffnung, dass in den nächsten zwei, drei Jahren Ethernet auch mit 1 GBit/Sekunde auf einem einfachen, ungeschirmten Kabel möglich sein wird“, berichtet Liebetrau. Zwar wäre auch Wireless theoretisch möglich, „es gibt jedoch zu viele Bedenken, dass Steuergeräte über die Luftschnittstelle zu angreifbar sind“, konstatiert der Experte.

Eine echte Hürde sieht Thomas Liebetrau darin, dass derzeit unterschiedliche Systeme für die gleichen Aufgaben entwickelt werden, wie 10 Mbit CAN XL und 10BASE-T1S. Auch bei der Punkt-zu-Punkt-Anbindung von Displays und hochperformanten Sensoren über die SerDes-Schnittstelle entstehe eine Konkurrenz, weil zwei konkurrierende Communitys unterschiedliche Standards entwickeln. „Hier wäre eine Fokussierung hilfreich, damit wir als Chiphersteller nicht für zwei Lösungen desselben Problems Chips entwickeln müssen. Da hilft uns die Industrie derzeit gar nicht weiter“, beklagt Liebetrau und plädiert für eine schnelle Einigung.

Eine Illustration von Fahrzeugen die mit der Umwelt interagieren und kommunizieren.
Für das In-vehicle Networking gibt es verschiedene Lösungansätze. Standards könnten jedoch förderlicher sein als konkurrierende Systeme. (Bild: Audi)

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