Ein Mitarbeiter von BMW sitzt vor mehreren Bildschirmen und simuliert ein Fahrzeug in der Entwicklung.

In seinem Fahrsimulationszentrum will BMW für jede Phase der Entwicklung das optimale Simulationstool bereitstellen. (Bild: BMW)

Mitte November hat BMW im Münchner Stadtteil Milbertshofen ein neues Gebäude speziell für Fahrsimulationen bezogen. Auf dem Gelände des Forschungs- und Innovationszentrums FIZ wurden in den letzten zwei Jahren die Voraussetzungen geschaffen, um Fahrerassistenzfunktionen und zukunftsweisende Anzeige- und Bediensysteme virtuell erproben zu können.

Mit 14 Simulatoren und Usability-Laboren auf 11.400 Quadratmetern Fläche hat BMW nach eigenen Angaben das modernste und vielseitigste Simulationszentrum der Automobilindustrie in Betrieb genommen. „Das Ziel des neuen Zentrums ist es, für jeden Bereich sowie für jede Phase der Fahrzeugentwicklung das optimale Simulationstool unter einem Dach zu bieten“, sagt Michael Brachvogel, der bei BMW die Forschung Interieur, User Interaction, User Experience und Fahrsimulation leitet.

Audi nutzt VR-Tools für gemeinsame Montagelinie

Aber nicht nur im Bereich Research & Development spielen kurze Entwicklungszyklen und die Vermeidung von Hardware – sprich Prototypen – im Produktentstehungsprozess eine wichtige Rolle. Auch die Produktion nutzt Simulationen, um Fabriken schneller zu planen und Fertigungslinien in Betrieb zu nehmen. Beispiel Audi: In den Böllinger Höfen bei Heilbronn startete mit dem E-Tron GT Ende des vergangenen Jahres die Produktion des ersten Elektro-Serienfahrzeugs mit vier Ringen in Deutschland, parallel und auf einer gemeinsamen Montagelinie mit dem schnellsten Serien-Audi aller Zeiten, dem R8.

Kein leichtes Unterfangen, denn produktionstechnisch könnten die beiden Modelle unterschiedlicher nicht sein: lautdrehender Zehnzylinder-Verbrennungsmotor versus Hochvoltbatterie, Audi Space Frame gegen ultrahochfesten Stahl und Alukarosse, Manufaktur kontra Kleinserie mit größeren Stückzahlen – alles unter einem Dach. „Durch die Integration des E-Tron GT in die R8-Produktion ist in den Böllinger Höfen ein einzigartiges Zusammenspiel aus Handwerkskunst und Smart Factory entstanden“, sagt Wolfgang Schanz. Der langjährige Produktionsleiter kennt jeden Fertigungsschritt und jedes Bauteil des R8 und hat die Eingliederung des E-Tron GT in den laufenden Betrieb vom ersten Tag an begleitet. Das Ergebnis: „Eine Fertigung wie hier gibt es sonst nirgends im Konzern. Wir haben es geschafft, zwei völlig unterschiedliche Fahrzeuge auf eine gemeinsame Montagelinie zu bringen.“

Möglich gemacht haben das unter anderem neue VR-Tools. Noch nie zuvor hat Audi eine Fahrzeugfertigung so schnell geplant und realisiert wie beim E-Tron GT. Mit Virtual-Reality-Brillen und Controllern erprobten Mitarbeiter in den Böllinger Höfen alle Abläufe in der Montage und die zugehörigen Logistikprozesse digital. Selbst die Behälterplanung erfolgte VR-gestützt. Audi hat dafür eine eigene VR-Software entwickelt – ein Pionierprojekt im Volkswagen-Konzern. Die Basis bilden 360-Grad-Scans, die eine dreidimensionale Indoor Map für den virtuellen Raum liefern. Der E-Tron GT ist das erste Fahrzeug im Konzern, das in der Erprobung aller Montageabläufe ohne physischen Prototyp ausgekommen ist.

Daimler vereint innovative Verfahren in Sindelfingen

Eine umfängliche Vernetzung und digitale Fertigungsprozesse gehören heute zur Grundausstattung vieler neuer Werke. Das wurde auch Anfang September deutlich, als Mercedes-Benz die sogenannte Factory 56 in Sindelfingen eröffnete und damit nach eigenen Worten „die Zukunft der Produktion“ einläutete. Mehr als zwei Jahre haben Werkplaner, Produktionsspezialisten, Werkzeugbauer, Logistiker, Ausrüster und IT-Spezialisten die moderne Autofabrik perfektioniert. Wo im Stammwerk Sindelfingen einst Mitarbeiter bei Schichtbeginn ihre schmucken Jahreswagen parkten, ist zwischen Gottlieb-Daimler-Straße und Benzstraße auf einer Fläche von 220.000 Quadratmetern, so groß wie 30 Fußballfelder, eine neue Arbeitswelt entstanden. Tatsächlich konzentriert Mercedes-Benz Cars in der Factory 56 viele innovative Verfahren aus dem Umfeld der Industrie 4.0. Sie wurden in der Vergangenheit nur verteilt genutzt und kommen nun erstmals durchgängig zum Einsatz.

Im Pflichtenheft standen zum Beispiel digital geplante und optimierte Prozesse, die Reduktion nicht wertschöpfender Tätigkeiten im Montageprozess sowie eine verbesserte Logistik. „Wir wollen neue Produkte und die Werkzeuge, die wir brauchen, um sie zu bauen, so lange wie möglich durchgehend digital abbilden und mit Berechnungen, 3D-Modellen und Testsimulationen optimieren“, verdeutlicht Markus Schäfer, Daimler-Entwicklungsvorstand und Chief Operating Officer von Mercedes-Benz Cars, die Strategie der Stuttgarter. Die neue S-Klasse, die in der Factory 56 montiert wird, liefert die Blaupause: Bevor Werker das Flaggschiff erstmals physisch zusammenbauten, lief es virtuell viele Male über das Linienband. Presswerk, Karosseriebau, Lackierung, Montage – alle Gewerke wurden digital abgesichert.

Neue DIL-Simulatoren für BMW

Rechenserver von BMW

BMW hat bei Cruden, einem niederländischen Spezialisten für Fahrsimulatoren, neun sogenannte Driver-in-the-Loop-Simulatoren (DIL) in Auftrag gegeben. Sie sollen Entwicklungsingenieure bei ihrer Arbeit an automatisierten Fahrsystemen unterstützen. Die Cruden-Simulatoren werden im neuen Driving Simulator Centre in München eine komplette Etage belegen und die virtuelle Erprobung einer Vielzahl von Fahrzeugfunktionen ermöglichen – von Fahrerassistenzsystemen und autonomem Fahren bis hin zu HMI-Konzepten und Fahrdynamiken. In den DIL-Simulatoren agieren menschliche Probanden unter virtuellen Fahrbedingungen, die nach Herstellerangaben sicher, wiederholbar und umweltverträglich sind. Die Hardware­plattform von Cruden zeichnet sich durch eine offene Architektur aus und soll sich nahtlos in die BMW-eigenen Entwicklungswerkzeuge einbinden lassen.

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