Mercedes-Benz gestaltet die Zukunft seines weltweiten Vertriebs

Eine Zukunft ohne Autohändler ist für viele Hersteller noch undenkbar – Doch der Kunde verlangt zunehmend auch digitale Möglichkeiten zum Fahrzeugkauf. (Bild: Daimler)

Die Startups machen sich das Leben leicht. Marken wie Hyundais Edelableger Genesis, Nio, Tesla oder Byton konzentrieren sich beim Autoverkauf auf das Internet und ergänzen das Onlineangebot bei Bestellung, Information, Service und Übergabe allenfalls durch schick anzuschauende Imagestützpunkte in den Metropolen dieser Welt. Der Grund liegt auf der Hand, denn den Kostenapparat inklusive Vertriebsorganisation und Händlerschaft möchte sich in der heutigen Zeit kein Neuling mehr ans Bein binden. Der Aufbau einer kompletten Vertriebswelt kostet die Automarken Jahre, unzählige Millionen und die Händler schöpfen hinterher noch eine nennenswerte Marge ab, die der Hersteller gerne selber hätte. Zudem zieht es viele Autointeressenten so gern zum Autohändler wie zu einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Arrogante Verkäufer, Angst einflößende Luxustempel oder der oftmals allzu schlechte Service sorgen dafür, dass nicht nur jüngere Kunden ihren Fahrzeugkauf immer mehr im Internet vorbereiten und dort auch durchführen wollen.

Die Händler fürchten um ihre Existenz und die etablierten Marken um ihre Zukunft. Seit Jahren laufen bei allen Autokonzernen gigantische Programme, um sich auf den Autokauf der Zukunft vorzubereiten. Dabei sind die Erfolge bisher alles andere als beeindruckend. Die Konfiguratoren auf den Websites der Autohersteller sorgen bei den Kunden allenthalben für Ärger sowie Irritationen und nach wie vor hat kaum eine Marke attraktive Möglichkeiten gefunden, die bei den Kunden so beliebten Rabatte im Autohaus durch Onlineaktionen zu ersetzen. Das Ziel ist dabei für alle klar – um jüngere Kunden zu locken und gegenüber neuen Automarken wettbewerbsfähig zu sein, kommt man um einen exzellenten Webauftritt mit entsprechendem Konfigurator und komfortablen Bedienfunktionen nicht herum.

Zum anderen müssen sich die Autohäuser neu erfinden und mehr als in den vergangenen Jahrzehnten auf die Kunden einstellen. Gerade von Premiumherstellern wie Audi, Mercedes, BMW, Jaguar Land Rover oder Porsche wird erwartet, sich eher als Luxusmarken mit entsprechenden Händlerauftritten in Szene zu setzen. Erst jüngst eröffnete in München das weltweit größte Jaguar Land Rover Autohaus. Das 20.000 Quadratmeter große Areal im Münchner Süden ist nicht nur ein gigantisches Autohaus für Neu- und Gebrauchtwagen, sondern auch eine Markentempel, in dem sich die britische Marke modern und trendiger denn je präsentiert. Auch wenn es geschäftlich gerade hakt, hat sich keine Premiummarke in den vergangenen zehn Jahren mit Image, Produkten und Auftritt derart verjüngt wir JLR.

Auch Mercedes eröffnete jüngst ein hoch modernes Autohaus in der niederländischen Metropole Den Haag. Hier geht es ebenfalls längst nicht nur um Autos, sondern darum, eine künstliche Markenwelt zu kreieren, in der es um mehr als die Autos und deren Verkauf selbst geht. „Wir wollen unseren Kunden nahtlose Luxuserlebnisse und bleibende Erinnerungen bieten – unabhängig von Zeit und Ort oder dem Kanal, den sie benutzen“, so Mercedes-Vertriebsvorstand Britta Seeger, „einen Mercedes zu kaufen, soll für unsere Kunden so einfach werden, wie ein Buch zu kaufen. Wir gehen davon aus, dass bis 2025 25 Prozent unserer weltweiten Verkäufe online erfolgen.“ Ein Viertel aller Verkäufe online – das wird nicht nur im betagten Europa für Daimler ein hartes Geschäft. Auf der anderen Seite müssten die Anteile, zu denen Fahrzeuge rein online an Smartphone, Tablet oder Computer verkauft werden, in den nächsten Jahren viel höher sein, um sich gerade in den USA oder China auf die jungen Kunden einzustellen.

Auch Audi will sich beim Vertrieb kräftig modernisieren. Ab dem vierten Quartal können Kunden in zehn Ländern auf bis zu 10.000 Audi-Fahrzeuge zugreifen und diese flexibel buchen. Darüber hinaus integriert Audi die eigene Handelsorganisation stärker in das digitale Geschäftsfeld. Ab Herbst steht die gemeinsame IT-Plattform für Audi on demand zur Verfügung, die im engen Schulterschluss mit dem Volkswagen Konzern und dem Handel entwickelt wurde. Über diese kann der Handel neben der Digitalisierung seines Vermietgeschäftes zukünftig auch flexible Mobilitätsdienstleistungen oder Abo-Modelle anbieten. Die Händler sollen dadurch neue Kundengruppen und Vertriebschancen erschließen. Damit soll die eigene Fahrzeugflotte effizienter ausgelastet und das schwächelnde Gebrauchtwagengeschäft angekurbelt werden. „Mit diesem Multikanal-Ansatz starten wir nun voll in die umfassende Skalierung unserer Premium-Mobilitätsdienstleistungen. Gemeinsam mit unserem Handel und unserem Partner SIXT planen wir, Audi on demand als Dachmarke für alle Mobilitätsangebote von der Kurzfristmiete über Abo-Modelle bis zur langfristigen Fahrzeugnutzung zu entwickeln“, sagt Audi-Chef Bram Schot.

Bleibt die Frage, ob man den Kauf eines Autos im Internet so einfach gestalten kann wie den Kauf eines Buches wie es Daimler-Vertriebschefin Britta Seeger fordert. Denn zum einen kostet ein Auto aus dem Hause Mercedes schnell 50.000, 75.000 oder mehr als 100.000 Euro und zum anderen ist das Auto deutlich komplexer als ein Buch, dessen Inhalt sich selbst bei einem dicken Wälzer auf ein paar Zeilen zusammenfassen lässt, ohne das wichtigste zu vergessen. Das sieht bei einem Auto mit seiner entsprechenden Konkretisierung in Modell, Karosserievariante, Ausstattung und Antrieb ganz anders aus. Die Hemmschwelle, mit ein paar Mausklicks viele zehntausend Euro auszugeben, ist groß. Jedoch hat Tesla mit der Begehrlichkeit seiner Elektromodelle Model S und Model 3 gezeigt, dass potenzielle Kunden durchaus bereit sind, nennenswerte Beträge online auszugeben, ohne Kontakt mit einem Autohaus gehabt zu haben.

Bei den meisten Marken führt an den Händlern auch in Zukunft kein Weg vorbei, da hier Auswahl, Bestellung, Auslieferung, Service und Wartung stattfinden, was sich der Händler von Hersteller und Kunde gleichermaßen gut bezahlen lässt. Nicht nur die Händler von Premiummarken unterstreichen daher immer wieder, dass an ihren Händlern kein Weg vorbeiführt. „Unsere Autos werden von Menschen für Menschen gemacht. Der persönliche Kontakt spielt dabei weiterhin eine tragende Rolle“, sagt Britta Seeger. „Über 80 Prozent der Kunden möchten noch immer im persönlichen Kontakt beraten werden und Probefahrten machen. Der physische Vertrieb wird für uns weiter unverzichtbar sein.“

Doch die Realität sieht wohl anders aus, denn gerade bei trendigen Marken und deren Modellen erscheint es allemal machbar, das Geschäft online abzuwickeln und in Ballungsräumen zentrale Stationen einzurichten, an denen man die Fahrzeuge für den Service oder Instandsetzungen abgeben kann. Die Arbeiten am Fahrzeug selbst werden an einer Servicefabrik ohne Publikumsverkehr durchgeführt und nach Beendigung wieder zu Abholpunkt der Servicestation gebracht. Bei der Kaufentscheidung helfen dagegen Imageboutiquen, wie diese viele Marken bereits in großen Einkaufszentren kreiert haben oder die immer beliebter werdenden Pop-Up-Stores, die nach einigen Wochen wieder verschwinden.

Bei Mercedes haben seit 2018 rund 450 Händlerbetriebe einen neuen Markenauftritt bekommen. Zudem ist ein sogenannter Star Assistent der zentrale Ansprechpartner und soll den Aufenthalt des Kunden im Autohaus so angenehm wie möglich machen. Wer mit seinem Fahrzeug zum online gebuchten Termin kommt, wird zum Beispiel bereits bei der Einfahrt anhand seines Autokennzeichens erkannt. Viele dieser Servicedienstleistungen gibt es bereits in den USA, wo Autohäuser mit eigenem Golftrainer, Kinderbetreuung oder Beautysalon existieren oder in den Vereinigen Arabischen Emiraten, wo nicht nur die zahllosen Arbeitsbühnen Bestmarken setzen. Doch gerade in Europa gibt es viel zu tun, damit der Kunden sich auch zukünftig für ein Auto entscheidet, bei dem immer weniger interessieren wird, wie es letztlich fährt. Marke, Design, Image und nicht zuletzt der Servicewert geben neben dem Preis für viele Kunden den Ausschlag, in welches Volant man sich setzt.

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