Interview Pfeiffer

Tragen Kompetenzträger einen Blaumann, spielen sie im digitalen Diskurs von Unternehmen keine Rolle. Im Interview warnt Arbeitssoziologin Sabine Pfeiffer vor diesen überholten Denkmustern und fordert in der Debatte um Digitalsierung und Industrie 4.0 ein offenes Visier und von den Unternehmen mehr Mut, um neue Arbeitsprozesse anzustoßen.

Erfreulicherweise pflegen wir in Deutschland seit 2011 wieder einen breiten öffentlichen Diskurs über Arbeit. Wir reden auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen darüber, wie Arbeit aussieht und sich in Zeiten der Digitalisierung verändert. Dafür hat sich viele Jahre kaum jemand interessiert.

Welche Themen dominieren die Debatte?

Der Diskurs wird oft als sehr technisch wahrgenommen. Vielleicht liegt das an den Themen, die unter der großen Überschrift Digitalisierung 4.0 subsumiert sind: Künstliche Intelligenz, Robotik, Wearables, Social Media – die Liste ist lang und sie zeigt, vor welchen Herausforderungen Unternehmen in allen Branchen stehen. Es geht nicht mehr darum, eine einzelne neue Technologie strategisch zu bewerten und sie in die betrieblichen Abläufe zu integrieren. Es steht vielmehr ein ganzes Bündel neuer Möglichkeiten vor den Werktoren und Bürotüren.

Gibt es Patentrezepte? Wie sollten Betriebe damit sinnvollerweise umgehen?

Anders als in den letzten 20 Jahren. Zu lange hieß die Strategie: Wir gehen auf Nummer sicher und wagen keine Experimente. Viele warteten erst mal ab und orientierten sich daran, was andere Unternehmen gemacht haben. Kam dann das Gefühl auf, den Anschluss zu verpassen, wurden eilige Kaufentscheidungen getroffen. Zulieferer taten grundsätzlich nichts ohne Vorgabe der Hersteller, mit denen sie zusammenarbeiteten. Dadurch kam vielen Unternehmen die Fähigkeit abhanden, auf Basis ihrer fachlichen Kernkompetenz und in Einklang mit der Firmenstrategie einen eigenen Weg in die Digitalisierung zu beschreiten. Heute herrscht eine Art neuer digitaler Unübersichtlichkeit, in der alle nach jemandem suchen, der sagt, wo es lang gehen soll.

Kommt das einer Führungsschwäche in der deutschen Industrie gleich?

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit habe ich immer wieder beobachtet, dass sich Manager extrem daran orientieren, was ihnen Berater als große Linie vorgeben und was Mitbewerber tun. Unternehmerisches Denken und die Bereitschaft, auch mal gegen den Mainstream eigenständig zu agieren, sind nur schwach ausgeprägt. Und während aktuell Startup-Mentalität und Innovationskraft in aller Munde sind, kommen kaum eigene Impulse von der Leitungsebene. Stattdessen beklagt man sich über die Ängste und die angeblich kaum ausgeprägte Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter und fordert von ihnen mehr Kreativität.

Muss hierzulande das Silicon Valley als Guru in Sachen Digitalisierung herhalten?

Das ist definitiv so. Wirtschaft und Politik blicken in Richtung US-Westküste und verbreiten die Botschaft, dass jetzt alles sehr schnell gehen muss in Deutschland. Wer sich nicht bewegt, habe praktisch schon verloren. Wir versuchen, eine bestimmte Geisteshaltung zu kopieren und übernehmen unter Umständen Geschäftsmodelle, die unsere ureigensten industriellen Stärken völlig außer Acht lassen. Mit digitalem Einerlei kann sich niemand erfolgreich positionieren.

Bemerkenswerterweise zeigen amerikanische Tech-Unternehmen verstärkt Interesse an physischen Produkten aus der Welt des Maschinenbaus oder der Automobilindustrie. Was steckt dahinter?

Ganz einfach: Ohne Dinge wird es kein Internet der Dinge geben. Wir haben in Deutschland viele gut ausgebildete Men- schen. Mit ihrer hohen industriellen Fachkompetenz legen sie täglich die Basis, auf der Vernetzung und Plattformökonomie aufsetzen. Leider spiegelt sich das nicht in unserem aktuellen Gesellschaftsbild wider – dort erscheinen ganze Berufsgrup- pen nicht als moderne Kompetenzträger, sondern werden zu Modernisierungsverlierern abgestempelt. Viele tragen noch ein Fabrikbild aus dem 20. Jahrhundert im Kopf, das nichts mehr mit der Realität gemein hat. Die Fertigungsindustrie in Deutschland ist hochmodern, automatisiert und an vielen Stellen stark digital. Ein Pendelausschlag in die andere Richtung wäre genauso problematisch: Die Hipster im Hoodie, die bei Starbucks sitzen und auf ihren Macs vermeintlich innovative Geschäftsmodelle abwickeln, taugen nicht als Blaupause für den Arbeitsmarkt der Zukunft.

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Das Interview führten: Ralf Bretting und Hilmar Dunker
Bild: Claus Dick

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