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Für den „Agilitätsindex“ befragte Capgemini kürzlich 154 Entscheidungsträger, mit dabei war die Hälfte der Dax- 30-Unternehmen. Immerhin ein gutes Drittel der Befragten zählt zu den „Überforderten“, nur 17 Prozent gehören zu den „Agilen“. Die größte Gruppe stellen mit 40 Prozent die „Qualitätsbewussten“. Sie legen viel Wert darauf, die Bedürfnisse der Fachabteilung und Service Levels zu erfüllen, tun sich angesichts unflexibler IT-Landschaften jedoch schwer, neue Anforderungen zeitnah umzusetzen. Ein weiteres Ergebnis: In überforderten Unternehmen kauft bei etwa einem Viertel die Fachabteilung Standardtechnologie ein, bei agilen Unternehmen ist es der CIO. Und noch andere Zahlen geben zu denken: Lediglich 27 Prozent der Topentscheider auf Vorstands- oder Aufsichtsratsebene im Automobilsektor glauben, dass ihr Unternehmen bereits die richtige Struktur aufweist, um die digitale Transformation erfolgreich durchzuführen. Einer Studie der Personalberatung Russell Reynolds Associates zufolge, für die 210 Führungskr.fte und 230 Aufsichtsräte der weltweit größten OEMs und Zulieferer befragt wurden, geht zudem mehr als die Hälfte davon aus, dass zurzeit noch das geeignete Personal für die Definition einer unternehmensweiten Digitalstrategie fehlt. „Die IT unterstützt nahezu alle Geschäftsprozesse eines Unternehmens. Damit übernimmt sie gleichzeitig eine Schlüsselrolle bei der erfolgreichen Bewältigung von Komplexität und Dynamik“, sagt Michael Lang, Herausgeber der Buchserie „Agiles Management“ und von „CIO 3.0 – die neue Rolle des IT-Managers“. Viele der heute eingesetzten Methoden, zum Beispiel weitgehend starre Projekt- und Budgetplanungen für mehrere Jahre im Voraus, stießen jedoch an ihre Grenzen. „Die veränderten Rahmenbedingungen erfordern neue Denkmuster und Lösungsansätze für das Management. Agile Methoden werden zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor“, sagt Lang.

noch eher am Anfang. „Agile Methoden werden in der Automobil- und Zulieferindustrie nur in geringem Maße eingesetzt. Es besteht also aus unserer Sicht nur ein indirekter Druck auf die entsprechenden IT-Organisationen, ebenfalls agil zu arbeiten. Der Druck kommt aber vom Markt, zum Beispiel von der über die Automobilindustrie hereinbrechenden Digitalisierungswelle, die immer kürzere Reaktionszeiten der IT erforderlich macht“, konstatiert Stefan Pechardscheck, Partner IT Advisory bei BearingPoint. Um hier zukünftig die erforderliche Flexibilität zu haben, müssten ITOrganisationen insbesondere ihre Organisationsstruktur durch kleinere, effektivere und teilautonome Einheiten und ihre Softwareentwicklung durch Einführung von Scrum-Ansätzen und agilen Schätzmethoden agiler gestalten. Hilfreich seien agile Festpreismethoden bei der Vereinbarung von Leistungsvereinbarungen zwischen IT-Organisation und Auftraggebern, und auch die Projektmanagementmethoden sollten agil sein. Nur auf die Softwareentwicklung zu schauen, greift aus Sicht der Experten zu kurz. „In vielen Unternehmen beschränkt sich der Einsatz agiler Methoden bisher auf einzelne Projekte oder Teams. Die vollen Potenziale entfaltet Agilität aber erst dann, wenn das ganze Unternehmen darauf ausgerichtet wird. Daher ist eine Ausweitung auf die gesamte IT-Wertschöpfungskette anzustreben“, rät Lang. Dazu könne gehören, die Fachbereiche in geeigneter Weise in agile IT-Projekte einzubeziehen. In der Praxis zeige sich, dass die Verankerung von agilen Prozessen und Denkansätzen an sehr verschiedenen Stellen greifen müsse. Ganz wichtig seien dabei ein Wandel der Kultur in Richtung einer offeneren Fehlerkultur, eine Übertragung von mehr Verantwortung und Selbstorganisation auf Teams und ein Rollenwechsel der Führungskraft „vom Chef zum Coach“. „Aus unserer Erfahrung ergeben sich die größten Hürden aus menschlichen Aspekten. Das Arbeiten in Organisationen gedanklich auf Agilität umzustellen, muss sorgsam gemanagt werden“, berichtet auch Pechardscheck. Zum Beispiel gebe es in agilen Projekten keine Projektleiter mehr: Damit wachsen die Herausforderungen an die Selbstorganisationsfähigkeit der einzelnen Teams. Bezüglich der Organisationsänderungen müssten die Gesamtgovernance des Unternehmens und insbesondere die IT-Governance dann auch auf die agilen, teilautonomen Teams ausgerichtet sein. Einen Königsweg gibt es beim Organisationsumbau leider nicht. „Agile Prinzipien sind keine ‚simplen Schablonen‘, die Effizienzsteigerung quasi automatisch herbeiführen, sondern sie erfordern einen Kulturwandel des Unternehmens“, warnt Michael Lang. „Jede IT-Organisation muss nicht nur die richtigen agilen Methodiken und Praktiken für sich auswählen, sondern diese auch so umsetzen, wie es im eigenen Unternehmen am besten passt. Eine lehrbuchartige Umsetzung bringt keine Vorteile, sondern kann gar nachteilig wirken“, berichtet Lang aus Praxiserfahrungen.

In den letzten Jahren wurden immer neue agile Methoden und Praktiken entwickelt, hier gilt es, richtig zu wählen. „Beispiele für agile Vorgehensweisen, beziehungsweise Bewegungen, sind Scrum, Extreme Programming, kurz XP, Kanban und Software Craftmanship. Die Fokuspunkte sind unterschiedlich“, erklärt Björn Radon, Agile-Coach und Expert Scrum Master bei Netpioneer. Scrum wird häufig als Rahmenwerk für die Produktentwicklung eingesetzt, zumeist bei größeren Projekten mit mehr als 250 veranschlagten Personentagen. XP eignet sich für Entwicklungspraktiken, wie beispielsweise Pair Programming, User Stories und Peer Reviews. Kanban kommt oft bei der Prozessoptimierung zum Einsatz, Stichwort Limit WIP (Work in Progress), gewöhnlich im ITBetrieb. Software Craftmanship hingegen betont den Aspekt der Softwareentwicklung als Handwerk. „Es gibt auch viele Kombinationen, die wohl bekannteste ist Scrum in Verbindung mit XP. Manche Elemente von Extreme Programming sind dabei so stark mit Scrum verknüpft, dass sie für Scrumartefakte gehalten werden, wie beispielsweise User Stories, die eigentlich von XP stammen. Es gibt aber auch andere Kombinationen, etwa Scrum und Kanban, was auch als ,Scrumban‘ bezeichnet wird“, berichtet Radon. Auch der Agile-Coach meint, dass die Vorgehensweise individuell gewählt werden muss. „Wenn die Projektgröße 250 Personentage übersteigt, rate ich grundsätzlich zu Scrum. Wenn man unsicher ist, beispielsweise in einer Start-up-Situation, ist eher Lean Start-up oder Design Thinking angebracht. Im Betrieb ist Kanban häufig sinnvoller als Scrum, aber nicht immer. In fast allen Fällen ist Code-Qualität wichtig – dann sollte man sich Elemente von XP holen oder den Prinzipien von Software Craftmanship folgen“, rät Björn Radon.

Was Projekte am Ende erfolgreich macht, ist gar nicht so leicht festzustellen. Experten diskutieren über diesen Punkt. Eine aktuelle Studie des BPM-Labors der Hochschule Koblenz hat sich der Ermittlung evidenzbasierter und relevanzorientierter Erfolgsfaktoren des Projektmanagements gewidmet. Demnach unterscheidet sich das, was Mitarbeiter subjektiv als Erfolgsfaktoren wahrnehmen, recht deutlich von der wissenschaftlich gemessenen Effektstärke. Subjektiv sind der Untersuchung zufolge die Bereiche „Projektteamwork“ (83 Prozent), „Projektsteuerung und -entscheidung“ (65 Prozent) und „Teammotivation“ (64 Prozent) erfolgsentscheidend. Nach der gemessenen Effektstärke sind hingegen die Bereiche „Konfliktmanagement“, „Projektorganisation“ und „Organizational Change Management“ erfolgsrelevant. Die BPM-Experten konnten bestätigen, dass Retrospektiven in Form systematischer Ex-post-Analysen einen hohen Effekt auf den Erfolg haben, einen der höchsten Effekte hat gar die gelebte „Fehlerkultur“. Am bedeutsamsten sind den Wissenschaftlern zufolge eine gut funktionierende Rollendefinition und Kompetenzklärung in der jeweiligen Projektorganisation.

Autorin: Daniela Hoffmann

Illustration: Sabina Vogel, iStockphoto/dashk

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