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Rund 90 Prozent der Unternehmen sind auf eine Störung in der Supply Chain nicht richtig vorbereitet. Neue Tools und Technologien sollen Abhilfe schaffen.

Fest steht: 78 Prozent der Wertschöpfung in der Automobil­industrie entfallen auf Zulieferer, eine robuste und ausfallsichere Lieferkette ist die Grundlage moderner Produktionsweisen wie Perlenkette, Just in Sequence und Just in Time. BMW und das Logistikunternehmen DHL haben Tools und Technologien entwickelt, um Störungen oder gar Risse in der Supply Chain zu vermeiden. Nirgendwo sonst lauern für die Autobauer so viele Risiken wie an der Lieferkette, das macht die termingerechte Anlieferung von Material und Teilen zur Achillesferse der Produktion. Risikomanagement ist gerade nach massiven Problemen wie dem Tsunami in Japan, dem Hochwasser in Thailand, dem Vulkanausbruch in Island oder den Streiks in Südafrika in der jüngsten Vergangenheit ein unverzichtbares Führungstool der großen Automobilbauer und Zulieferer geworden. Gefordert ist „proaktives Management“, die vorausschauende Planung, um Risse in der Lieferkette zu vermeiden. Bei erfolgreicher Risikovermeidung „brauche ich kein Incident Management“, sagt Alexander Scholz, Abteilungsleiter Projektmanagement und Lieferantennetzwerk bei BMW. Aber diese Prävention steckt bei fast allen globalen Automotive-Unternehmen noch in den Kinderschuhen. Als Tsunami und Atom-GAU in Fukushima japanischen Autoherstellern massive Produktionseinbußen bescherten, glaubte sich BMW noch unberührt – man hatte ja angeblich keine Lieferanten in Japan, so Scholz.„Dann stellten wir fest, dass ein für uns ganz wichtiger Wafer-Hersteller weggespült worden war – aber erst 14 Tage danach und deshalb 14 Tage zu spät.“ BMW hat deshalb begonnen, alle potenziellen Risiken entlang der Wertschöpfungskette zu erfassen – und seien sie dem ersten Anschein nach auch noch so unbedeutend. Denn es gilt der Schmetterlingseffekt: Wie nach Erkenntnis von Wissenschaftlern der Flügelschlag eines Schmetterlings in Australien in Europa einen Orkan auslösen kann, so kann auch in globalen Lieferketten das kleinste Problem gravierende Auswirkungen haben. Oder auch ein eigentlich autofernes Thema wie 2001 der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Großbritannien. Damit fehlte Volvo und Jaguar das Leder für das Interieur, Produktionsunterbrechungen und Umsatzverluste in Millionenhöhe waren die Folge.

Mit modernen Web-2.0-Technologien wie automatisierter Suche in sozialen Netzen und Blogs, natürlich auch durch Nutzung von Diensten wie Google Earth, sammelt BMW relevante Daten für das Risk Management: Angaben zu Löhnen und Arbeitsmärkten, regionalen Infrastrukturen, Gefahren durch Wetterkapriolen vom Waldbrand bis zum Tropensturm und Naturkatastrophen und Kriminalitätsrisiken. Denn auch das lässt die Automobilindustrie nicht unberührt. Scholz: „Es gibt zum Beispiel in Mexiko schon Regionen, wo man abwägt, was schlimmer ist: ob die Leute umfallen oder das Unternehmen.“ Unterstützt wird die Überwachung des Liefernetzwerkes durch sich dynamisch ändernde Informationen in Echtzeit. Die gesammelten Daten werden verarbeitet und visualisiert, um vorbeugende Maßnahmen zur Schadensvermeidung oder -minimierung treffen zu können. Eine wichtige Rolle spielt das Monitoring kritischer Lieferantenstandorte, auch der kleinsten. Nur eine exakte Georeferenzierung mit auf 100 Meter genauen raumbezogenen Informationen ist wirklich zuverlässig. Das ist langwierig und mühsam, denn aktuell kennt der OEM in aller Regel viele Tier-3- und Tier-4-Zulieferer und ihre Bedeutung innerhalb der Lieferkette überhaupt nicht. „Zum Teil sind wir da schon tief drin, aber das gilt nur für sechs von 70 Warengruppen. Es ist noch ein langer Weg, aber bisherige Erfolge zeigen uns, dass der Weg richtig ist“, sagt Scholz zum Monitoring. Hohe Verantwortung tragen in der Lieferkette Logistikdienstleister, denn sie müssen über tausende Kilometer Kettenabriss vermeiden oder möglichst die Kette rasch wieder flicken. Das weltweit umsatzstärkste Logistikunternehmen DHL hat aktuell eine Risk-Management-Plattform entwickelt und installiert, um Gefahren zu identifizieren, Lieferketten zu visualisieren, Schwachstellen zu erfassen, potenzielle und tatsächliche Störungen in Echtzeit zu überwachen und alternative Lieferwege zu planen. Dazu wurden unter anderem viele Schiffe zwei Jahre lang mit GPS-Sensoren bestückt, „um erst einmal die Haupttransportrouten herauszufinden“, berichtet Tobias Larsson, Direktor der Resilience-Gruppe bei DHL. Up to date bleibt das Tool nicht zuletzt durch „fast eine Million Augen“, durch 480 000 Mitarbeiter weltweit.

Anlass für die Entwicklung des Tools Resilience 360 waren laut Larsson Flutkatastrophen und in ihrer Folge die Frage: „Warum sind unsere Lieferketten nicht widerstandsfähig?“ Denn das sind sie tatsächlich nur bei wenigen Unternehmen – und auch da oft nur in Ansätzen. 93 Prozent der Vorstandschefs in den größten Firmen der Welt meinen, dass sie auf Störungen der Supply Chain nicht entsprechend vorbereitet seien, obwohl jede dieser Störungen nicht nur Umsatz kosten kann, sondern auch den Aktienkurs um durchschnittlich zehn Prozent senkt, wie das World Economic Forum ermittelt hat. Der Tsunami kostete Toyota in Japan ganz konkret 75 Prozent des Jahresgewinns und Honda fast 900 Millionen Dollar an Gewinn. Schadensvermeidung und Schadensminimierung – proaktives wie reaktives Risikomanagement – werden deshalb in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen.

Autor: Gert Reiling
Fotos: Fotolia/mb67, TTstudio, Shutterstock/arindambanerjee, Dustie / Illustrationen: Shutterstock/zeber, Hakki Arslan, Fotolia/godruma

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