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Für Martin Watzlawek durchläuft die Innovation einen gravierenden Wandel: „Wir machen Dinge im Innovationsprozess heute definitiv anders und wir sind gefordert, uns weiter zu verändern. Die gesamte Branche befindet sich in einem Wandlungsprozess, der wegführt von der strengen Projektorganisation, die bis vor wenigen Jahren noch Standard war“, erklärt der Ressortleiter Strategie und Innovation Automotive beim Kunststoffverarbeiter Rehau. Klar sei: Die bisher auf Risikominimierung gedrillten Projektteams müssen zunehmend stärker das Gleichgewicht halten zwischen Chancenerkennung und Risikovermeidung, sie müssen die Flexibilität hochfahren, um agiler auf Marktanforderungen reagieren zu können. „Die Unsicherheit des OEM, der auch noch nicht weiß, wie sein Fahrzeug in einigen Jahren aussehen wird, schlägt eins zu eins bei uns durch“, konstatiert Watzlawek. So ist die Lage nicht nur bei den klassischen Autoherstellern, die man seit fünfzig Jahren beliefert, sondern auch bei neuen Kunden, zum Beispiel Start­ups, die tendenziell in co-kreativen Prozessen auf ein Ergebnis
hinarbeiten wollen.

Die digitale Transformation, vor allem aber die zunehmend softwarebasierte Innovation, trägt aus Sicht von Martin Watzlawek dazu bei, dass sich alle in der Autoindustrie in ihren Innovationsprozessen öffnen müssen. Dennoch ist der Experte überzeugt: Es wird zwei Phasen im Innovationsprozess geben. In der ersten, offenen Phase werden Ideen von außen eingeholt, die die Wahrnehmung des Endkunden stärker einbeziehen, sei es durch Startups, Unis oder zum Beispiel in Hackathons. „In der eigentlichen Entwicklungsphase muss ich im Hardwarebereich belastbare Qualität erzeugen, die über 20 Jahre hält, das ist eine interne Aufgabe“, so Watzlawek. Entscheidend sei es, beide Phasen in diesem Sinn perfekt zusammenzubringen.

Anders als zuvor gilt für die Branche, deutlich stärker zwischen Technologie- und Lösungsinnovationen zu unterscheiden. Derzeit arbeitet man bei Rehau vor allem mit Kommunikationstools wie WebEx und Jabber sowie Projektmanagementtools, PLM-System und zunehmend mit digitalen Zwillingen. Für ein modernes Innovationsmanagement stehen aus Watzlaweks Sicht die kulturelle Veränderung und Entwicklung stabiler, neuer Prozesse im Vordergrund, bevor es vielleicht um die Entscheidung für eine neue Innovationsmanagementsoftware geht – nicht anders herum.

In der IT bekannte agile Methoden müssen noch viel stärker Eingang in die Entwicklungsabteilungen finden, inklusive Scrum Master. Aus Sicht von Catharina van Delden, CEO von Innosabi, einem Münchener Technologieanbieter für agile Innovation, ist „Agile“ essenziell für den Innovationsprozess. „Die Digitalisierung hat mit dazu beigetragen, dass immer mehr Dinge in Kollaboration anstatt hinter verschlossenen Türen entwickelt werden“, sagt van Delden. Zwei Welten träfen aufeinander: die geschwindigkeitsorientierte Welt der Softwareentwicklung mit dem schnellen Testen von Prototypen und die klassische Forschung und Entwicklung mit ihren meist ganz anderen Strukturen.

Zu den typischen Werkzeugen der Innovation gehört zum Beispiel das Ideenmanagement mit Blick auf den kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Das sind meist prozessgetriebene Lösungen mit diversen Freigabestufen, in die Mitarbeiter ihre Idee einbringen können, die dann bewertet und gegebenenfalls mit einer Prämie honoriert werden. Ein Prozess, der oft vom Betriebsrat mitgestaltet wird und in vielen Unternehmen nicht eben beliebt ist, meint Catharina van Delden. Collaboration-Lösungen böten hier viele Vorteile. Zudem gibt es Software für Co-Creation und Solution Scouting. Sie soll dafür sorgen, dass das Rad nicht immer neu erfunden werden muss und Leute für bestimmte Themen zusammenfinden.

Als guten Ansatz sieht van Delden den Versuch, KI-gestützt den verschiedensten Methoden ein gemeinsames Dach zu geben. Dazu gehört das Vernetzen einzelner Innovationsinitiativen im Unternehmen ebenso wie die Einbindung von externem Content, zum Beispiel Patent-, Tech- und Trenddatenbanken. Zugleich sollen die neuen Werkzeuge Startup-Acceleratoren oder Communitys einbeziehen, an die Challenges ausgegeben werden können, aber auch Forschungseinrichtungen und Unis. „Es ist wichtig, die Innovationsmanagementthemen aus den einzelnen Unternehmensbereichen herauszuholen“, ist Catharina van Delden überzeugt.

Überspitzt lässt sich sagen: Die Digital Units sind die neue Innovationsabteilung. Im Kontext der Digitalisierung findet in der Automobilindustrie eine Verlagerung der produkt- und technologiegetriebenen Innovationsprozesse hin zu solchen Innovationsprozessen statt, die unmittelbar an Kunden und Geschäftsmodellen ansetzen. Carlo Velten vom IT-Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Crisp Research weiß: „Das Innovationsmanagement war der klassische Transmissionsriemen zwischen R&D, Produktentwicklung und Fachabteilungen. Dazwischen haben sich jetzt die Digitalabteilungen gesetzt.“ Viele mittelständische und große Unternehmen haben darauf reagiert, indem sie ein zweites, digitales Innovationsmanagement neben das bestehende gesetzt haben. Zugleich erleben viele Unternehmen, die sich bei der digitalen Innovation auf Trendscouts im Silicon Valley, Acceloratoren oder klassische Digital Labs verlassen haben, eine Phase der Ernüchterung.

Zur Gretchenfrage, wie sich die Innovation der Labs in die Konzernstrukturen einbinden lässt, sagt Velten: „Es gibt kein Allheilmittel: Kernproblem ist, dass man überhaupt mal die richtigen gemeinsamen Ziele vereinbaren muss.“ Die Konzentration auf disruptive Innovation war demnach oft zu losgelöst vom Kerngeschäft. Tatsächlich bringt eine Verschmelzung der Digital­innovation mit anderen Bereichen für die Lab-Mitarbeiter ganz andere Aufgaben mit sich. „Ob die Leute, die man aus Startups herausgeholt hat, Lust haben auf Basisarbeiten und das Bohren dicker Bretter, das wird sich jetzt zeigen – und daran wird sich ablesen lassen, wer echte Führungspersönlichkeiten in seinen Digital Units hat“, meint Carlo Velten.

Bilder: Cisco, Fraunhofer, Illustration: Sabina Vogel

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