Angelika Huber-Straßer, KPMG Porträt

Seit Juli 2020 verantwortet Angelika Huber-Straßer die Position als Head of Automotive für Deutschland und EMA bei KPMG. (Bild: KPMG)

In Bezug auf die deutsche Autoindustrie zitieren Sie Winston Churchill mit den Worten „Never let a good crisis go to waste!“ Welche Chancen ergeben sich Ihres Erachtens aus der derzeitigen Krise?

Die deutsche Automobilbranche befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Es gibt verschiedene dynamische Faktoren, die den Automobilsektor und die Mobilität grundlegend verändern. Hier sind zum Beispiel neue CO2-Vorgaben und regulatorische Anforderungen zu nennen, aber auch die Transformation auf die E-Mobilität, neue Marktteilnehmer, ein verändertes Kundenverhalten und autonomes Fahren. Diese Faktoren haben schon vor der Pandemie die Automobilbranche stark unter Druck gesetzt. Die Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie haben die Branche zusätzlich sehr stark getroffen, insbesondere weil Lieferketten und der traditionelle Vertrieb unterbrochen wurden und es zum Teil immer noch sind. Auf der anderen Seite haben die verordneten und freiwilligen Schutzmaßnahmen der digitalen Transformation in der Automobilindustrie einen enormen Schub verliehen und Chancen eröffnet, die jetzt umso entschlossener angegangen werden sollten. Denn in der aktuellen Situation ergeben sich durchaus neue Möglichkeiten: zum Beispiel in Form von Kostensenkungen durch digitale Prozesse, beispielsweise im Kundenservice und im Finanzbereich, oder neuen Potenzialen in der Produktion aufgrund von innovativen Materialien oder dem Einsatz von KI und Automatisierungstechnologie. Zudem können neue Kooperationen den Innovationswillen beflügeln.

Bringt die deutsche Autobranche Ihrer Meinung nach in Zeiten von weitreichenden Sparprogrammen genügend Investitionen für diese Themen auf?

Generell sind Investitionsquoten und Investitionsbereiche in Krisen immer ein guter Indikator, wie eine Branche aufgestellt ist und wo noch Potenziale vermutet werden. Die Ergebnisse des KPMG Future Readiness Index 2020 für die Automobilindustrie belegen, dass Investitionen in Produktinnovationen aufgrund von geänderten Kundenanforderungen und die Positionierung im Wettbewerb ganz oben auf der Agenda der Unternehmen stehen. Dass die Unternehmen der Automobilbranche vor allem im Hinblick auf die veränderten Kundenbedürfnisse investieren wollen, zeigt, dass in diesem Bereich in den nächsten Jahren besondere Herausforderungen liegen, die von den Marktteilnehmern ernst genommen werden. Es macht zudem deutlich, dass Handlungsbedarf besteht und dieser von den Unternehmen auch als solcher wahrgenommen und angegangen wird. Denn Automobilhersteller und Zulieferer befinden sich in einem Strukturwandel, der hohe Investitionen erfordert. Lange Entwicklungszyklen und hohe Investitionskosten in Anlagen schränken Investitionen in Technologieentwicklungen dabei allerdings häufig ein. Diese Entwicklungen führen dazu, dass zum einen weniger Mitarbeiter und zum anderen andere Kompetenzprofile der Mitarbeiter benötigt werden. Für die E-Mobilität werden beispielsweise bereits in Unternehmen beschäftigte Arbeitskräfte umgeschult, während wiederum für die Bereiche Digitalisierung und Vernetzung zusätzliche Programmier- und Softwarekompetenzen benötigt werden, die oftmals nur durch Neueinstellungen gedeckt werden können. Ohne entsprechende Investitionen kann diese Transformation nicht bewältigt werden.

Wie können die deutschen Akteure sich trotz Stellenabbau und Zwist mit Zulieferern künftig im digitalen Umfeld gegen die internationale Konkurrenz behaupten?

Viele Akteure der heimischen Automobilwirtschaft werden sich langfristig nur dann am Markt behaupten, wenn sie ihr Portfolio und die damit verbundenen Investments fokussieren und verstärkt Kooperationen und Partnerschaften eingehen. Das gilt sowohl für innovative Wachstumsfelder als auch für die Konsolidierung reifer Geschäftssegmente. Hier ergeben sich insbesondere aus der Zusammenarbeit mit aufstrebenden Start-ups Innovationsimpulse, die zu neuen Produkten und Services sowie technologischer Führerschaft beitragen können. Schlüsseltechnologien werden Artificial Intelligence, Blockchain, Data Analytics und Quanten-Computing sein. Diese Felder gilt es mit eigenen Entwicklungskräften, in Kooperation mit Universitäten und Start-ups aber auch mit branchenfremden Technologieunternehmen fokussiert zu entwickeln. Wenn deutsche Automobilunternehmen dies berücksichtigen und konsequent handeln, kann sich das auf ihre Stellung am Markt sehr positiv auswirken.  

Zur Person:

Angelika Hubert-Straßer, KPMG

Angelika Huber-Straßer ist seit über 20 Jahren bei KPMG tätig. Ihr besonderer Schwerpunkt ist die Konzernprüfung insbesondere von DAX-30-Gesellschaften und globalen Konzernen. Seit Oktober 2014 ist sie Bereichsvorstand für das Segment Corporates (Konzerne und Kapitalmarkt) bei KPMG in Deutschland. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im Automobilsektor, der IT-Branche und im Dienstleistungssektor wurde sie im Juli 2020 zum neuen Head of Automotive für Deutschland und EMA ernannt.

Sie möchten gerne weiterlesen?