Herr Schmidt, Trends wie autonomes Fahren, alternative Antriebe und neue Mobilitätsdienste beschäftigen die Autobranche wie kaum ein anderes Thema. Anhand welcher Kriterien lässt sich bereits jetzt erkennen, welche Anbieter in Zukunft Erfolg haben werden und welche auf der Strecke bleiben?
Das ist keine Schwarz-Weiß-Antwort. Nehmen wir die Elektromobilität als Beispiel: Das Rennen ist noch vollkommen offen. Wer vorne liegen wird? Derjenige, der starke Partnerschaften mit anderen Herstellern, Zulieferern und Technologieunternehmen eingeht, an deren Ende ein herausragendes Fahrzeug zu einem attraktiven Preis steht. Die Kunst besteht allerdings darin, die Kontrolle über die Wertschöpfungskette nicht aus der Hand zu geben und auch über das heute bestehende Geschäftsmodell hinauszugehen – Stichwort Ladeinfrastruktur. Das gilt übrigens nicht nur für die Elektromobilität, sondern auch für autonomes Fahren und digitale Services. Wer Produkte oder Dienste mit einem hohen Mehrwert und einer herausragenden Nutzererfahrung für den Kunden entwickelt, wird in der Mobilitätswelt von morgen zu den Gewinnern gehören. Allerdings liegt darin die Krux: Die Erwartungshaltung der Kunden entwickelt sich ständig weiter. Deshalb braucht es eine ganz andere Innovationskultur mit deutlich kürzeren Produktzyklen und einem ständigen Hinterfragen des eigenen Geschäftsmodells.
Insbesondere in Sachen autonomes Fahren und geteilte Mobilität wird der Fahrzeugbesitz stärker in den Hintergrund treten, während das Denken in Plattformen, Flotten und Partnerschaften zunehmen wird. Welche Maßnahmen müssen die Hersteller in diesem Zusammenhang ergreifen, um ein starkes Markenprofil zu behalten?
Nicht nur der Fahrzeugbesitz verliert an Bedeutung, durch die Elektromobilität gleichen sich die Autos der unterschiedlichen Marken technisch immer stärker an. Früher war das Fahrgefühl – und hier vor allem die Motorisierung – das wichtigste Unterscheidungsmerkmal. Im Elektroauto merken sie davon kaum noch etwas, denn viele Hersteller nutzen ähnliche Plattformen und kaufen die Batterien beim selben Zulieferer. Hinzu kommt, dass sich die Spielregeln des Wettbewerbs ändern: Konkurrenten werden bei der Entwicklung neuer Technologien zu Partnern. Was heißt das nun für die etablierten Automarken? Einerseits geht es darum, die Markenstärke – also die emotionale Bindung der Kunden an eine Marke – vom Produkt auf die neuen Services zu übertragen. Wenn ich als Premiumhersteller einen Mobilitätsdienst anbiete, muss ich nicht nur durch operative Exzellenz glänzen, sondern vom User Interface in der App bis hin zum Bezahlvorgang eine nahtlose Lösung ohne Brüche anbieten. All das mit dem Ziel, in jedem Schritt die Bedürfnisse des Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht nicht mehr allein darum, die technisch beste Lösung zu haben, sondern mit einem herausragenden Nutzererlebnis zu punkten. Wie groß der Handlungsbedarf für die Hersteller ist, zeigt eine neue Accenture-Studie, die wir in den nächsten Wochen veröffentlichen werden: Die Marke ist beim Autokauf nur das sechst-wichtigste Kriterium für die Kunden und landet beim Carsharing sogar nur auf Platz zehn.
Die Autoindustrie befindet sich derzeit in der Krise. Wie können Hersteller und Zulieferer sicherstellen, dass dennoch genügend Investitionen in Zukunftstechnologien zur Verfügung stehen, damit die Branche nicht von ITK-Playern überflügelt wird?
Auf die Herausforderung durch die IT-Unternehmen und Plattform-Player haben die Autohersteller eine ganz klare Antwort gefunden: Lasst uns untereinander Allianzen bilden, um die Kräfte zu bündeln und neue Technologien gemeinsam zu entwickeln. Hier arbeiten viele Hersteller übrigens nicht gegen die IT-Firmen, sondern mit ihnen. Wichtig ist nur, dabei nicht die Kundenschnittstelle aus der Hand zu geben. Gleichzeitig haben die neuen Herausforderer einsehen müssen, dass ein Fahrzeug weit mehr ist als eine Struktur aus zusammengeschweißtem Metall mit vier Rädern. Die nahtlose Integration von Produkt und neuen Services „können“ bislang nur die Hersteller. Deshalb entwickeln sich nun symbiotische Beziehungen, in denen Synergien entstehen, das Investitionsvolumen effizienter genutzt wird und – das ist am wichtigsten – die Time-to-market für neue Technologien deutlich sinkt. Für die Zulieferer ist die Herausforderung eine andere: Sie müssen eine radikale Transformation durchlaufen, die tief in das Produktportfolio und damit auch die Produktionsprozesse eingreift und auch die Belegschaft betrifft. Allerdings ist der Abgesang auf die klassische Zulieferindustrie zu früh, denn einige Unternehmen haben deutlich vor den Autoherstellern auf die großen Zukunftsthemen gesetzt und sind für das Zeitalter der neuen Mobilität gut gewappnet.