Thomas.Weber.carIT

Thomas Weber ist als Vorstandsmitglied der Daimler AG zuständig für Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung. Er sprach mit carIT über Google im Auto, Datensicherheit und autonomes Fahren.

Die Unterhaltungselektronik und Elektronik haben inzwischen einen ungeheuren Einfluss auf automobile Innovationen. Deswegen waren wir dort. Wenn man auf der Messe ist, sieht man ja auch, dass sich die Besucher für das Automobilgeschäft interessieren. Daraus kann sich eine Win-win-Situation für beide Industrien ergeben.

_Mehrere Automobilhersteller haben die Einrichtung einer „Open Automotive Alliance“ zusammen mit Google bekanntgegeben. Sie waren nicht unter den Gründungsmitgliedern.“

Wir sind kein Gründungsmitglied, weil das Timing nicht wirklich passte. Wir werden der Allianz aber selbstverständlich dieses Jahr noch beitreten. Es ist völlig klar, dass wir uns flexibel positionieren müssen und uns nicht nur auf Apples iOS konzentrieren wollen. Android- und Google-basierte Systeme sind genauso wichtig.

_Sie haben also keine Vorlieben, wenn es um die Smartphone-Integration geht?

Das ist richtig. Es ist nicht an uns zu entscheiden, welches Handy der Kunde verwenden soll. Und wenn man die Verkaufszahlen für Android-Geräte oder den Innovationsgeist von Apple betrachtet, ist klar, dass man beide nicht ignorieren darf. Es wird von uns erwartet, dass wir das komplette Spektrum unterstützen. Um maximale Flexibilität für unsere Kunden anzubieten, müssen wir auch darüber reden, wie wir die drahtlose Ladung von Handys im Auto realisieren. Das ist ein logischer nächster Schritt.

_Wie arbeiten Sie mit Konzernen wie Apple und Google zusammen?

Wir haben sehr gute und intensive Kooperationen mit beiden Konzernen. Führende Google-Leute sind regelmäßige Besucher in unserem Forschungszentrum in Palo Alto, aber wir sind offen für Kooperationen mit dem ganzen Silicon Valley. Unsere Partnerschaften basieren auf gegenseitiger Attraktivität. Wir haben mit niemandem ein exklusives Abkommen, sondern setzen auf die Innovationskraft der ganzen Region, einschließlich Unternehmen wie Google, Intel, Apple, Ebay, und Facebook.

_Angesichts der Bedeutung des vernetzten Autos für die Branche brauchen Sie doch eine nachhaltige Beziehung mit einem dieser Hochtechnologiekonzerne?

Wir pflegen besonders intensive Beziehungen mit bestimmten Partnern, aber wir suchen nicht unbedingt exklusive Partnerschaften. Jeder neue Partner konzentriert sich auf ein neues Gebiet und wir schätzen die Konkurrenz zwischen verschiedenen Konzepten.

_Die unterschiedlichen Entwicklungszyklen der Automobil- und Unterhaltungselektronik-Industrien waren schon lange ein Problem. Synchronisieren sich diese Zyklen nun endlich?

Wir agieren auf Basis einer sehr konsequenten Modularstrategie. Das heißt: Wir entwickeln spezielle Komponenten unabhängig vom jeweiligen Fahrzeug. Ein Bremsen-, Lenkungs- oder Telematikentwickler befasst sich tatsächlich nur mit der Entwicklung einer bestimmten Komponente, unabhängig vom Fahrzeug. Wir arbeiten auf dieser Basis jetzt schon beispielsweise an der Umsetzung der nächsten Comand-Online-Generation, die dann flexibel in das jeweilige Modell übernommen werden kann. Durch die konsequente Trennung von der jeweiligen Baureihe haben wir das Thema der unterschiedlichen Geschwindigkeiten praktisch gelöst.

_Das ist schon heute der Fall?

Schauen Sie an, was wir im Zusammenspiel der S-, E- und C-Klasse erreicht haben. Welche andere Marke bietet Features wie in der S-Klasse und kann die gleichen Technologien in den anderen Modellreihen zur Verfügung stellen? Man kann das nur machen, wenn man einen modularen Ansatz fährt.

_Mit dem aktuell erhöhten Fokus auf Datensicherheit, was tun Sie bei Daimler, um sicherzustellen, dass die Kundendaten sicher sind?
Sicherheit und Privatsphäre sind zwei der größten Themen, denen wir uns stellen müssen. Wir fahren derzeit viele Projekte, die sich mit diesen Themen befassen. Indem wir unsere eigenen Server verwenden, können wir unter anderem einen hohen Grad an Sicherheit und Privatsphäre anbieten. Es ist aber auch klar, dass auf diesem Gebiet noch viel getan werden muss.

_Keine Daten auf US-Servern also?

Wir garantieren Mercedes-Kunden die sichere Speicherung ihrer Daten auf einem Mercedes-Benz-Server, der sich in Deutschland befindet.

_Bieten Automobilhersteller jetzt schon zu viele vernetzte Dienste an?

In der Vergangenheit hätten wir zuerst den Business Case für einen bestimmten neuen Dienst erstellt. Heutzutage plädiere ich dafür, dass wir auch Features ins Auto bringen, bevor wir exakt wissen, was Kunden mit ihnen zu tun gedenken. Bei einem Großteil der Funktionalitäten, die wir heutzutage im Auto vorfinden, ist es überhaupt nicht klar, ob die Fahrer es wirklich verwenden, aber wir müssen sie trotzdem anbieten. Viele Kunden erwarten das einfach von uns.

_Auf welcher Basis entscheiden Sie?

Man muss bedenken, dass die Märkte sich oft radikal voneinander unterscheiden. Wenn man vom typischen S-Klasse-Kunden spricht, darf man nicht vergessen, dass der gleiche S-Klasse-Kunde in China zehn bis 15 Jahre jünger ist als in Europa. Für den chinesischen S-Klasse-Käufer ist die IT im Auto ein entscheidendes Kaufkriterium. Man muss aufpassen, dass die eigene Sichtweise nicht die einzige ist, die letztlich zählt.

_Was wird die „nächste große Sache“, die Eingang ins Auto findet?

Die nächste große Sache ist sicherlich, dass wir unseren Kunden einen Teil der Funktionalität des automatisierten Fahrens bald anbieten werden. Wir sind der Meinung, dass wir eine führende Position auf diesem Gebiet haben, und wir machen sehr viel, um diese zu behalten. Ich kann mir vorstellen, dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre ausgewählte autonome Einparkfeatures verfügbar haben werden. Eine weitere große Entwicklung ist die Fähigkeit des Autos zu lernen und vorauszuschauen. Das Fahrzeug erkennt zum Beispiel, welcher Fahrer morgens einsteigt, und reagiert. Es macht dann automatisch Navigationsvorschläge, es konfiguriert die Sitzposition oder wählt die richtige Musik aus. Und wir wollen eine nahtlose Verbindung schaffen zwischen dem Fahrzeug und tragbaren Geräten wie Google Glass oder der Pebble Smartwatch.

_Trotz aller Fortschritte in der Forschung und Entwicklung von Bedienkonzepten lenken viele der neuen Funktionen im Auto den Fahrer von seiner eigentlichen Rolle ab.

Das ist ein permanentes Thema. Der Kunde will im Auto haben, woran er in seinem täglichen Leben gewohnt ist. Viele der Dinge sind aber nicht unbedingt hilfreich in Bezug auf das Thema Ablenkung. Beschränkungen, die wir aufzwingen, mögen Kunden nicht; aber wir wollen unsere Sicherheitsregeln auch nicht beeinträchtigen. Wir nehmen die Sache sehr ernst und haben dazu auch Forschungsprojekte laufen. Das Ziel ist, so viel anzubieten, wie wir können, und trotzdem den Anforderungen der Behörden gerecht zu werden. Das Ideal ist offensichtlich das automatisierte Fahren, wo man einen Film anschauen oder was anderes machen kann, während das Auto sich um das Fahren kümmert. Das ist ein riesiger Megatrend.

_Wie reagieren Sie zum Beispiel auf HMI-Testergebnisse wie diejenigen, die in carIT im vergangenen Sommer vorgestellt wurden?

Wir nehmen solche Tests sehr ernst und wollen ständig dazulernen und besser werden. Es ist uns aber auch bewusst, dass in den kommenden Jahren besonders auf dem Gebiet der Elektronik sich noch viel ändern wird. Deswegen unternehmen wir einen gezielten Vorstoß, um Unterhaltungselektronik- und Automobilindustrie miteinander zu verbinden.

_Steht die Gestensteuerung für Sie auf der Tagesordnung?

Wir zeigten eine Gestensteuerungs-Demo auf der CES vor zwei Jahren. Das Hauptproblem ist immer noch, wie man es automobiltauglich macht. In der automobilen Umgebung mit den vielen reflektierenden Oberflächen ist es schwer, Gesten deutlich erkennbar zu machen. Aber wir arbeiten daran, weil wir sehen, dass Gesten in gewissem Sinne eigentlich eine natürlichere Art und Weise sind, etwas herbeizuführen, als das Umlegen eines Schalters oder das Drücken einer Taste. Ich glaube, wir könnten die ersten gestenkontrollierten Prozesse möglicherweise schon innerhalb von fünf Jahren haben.

_Wie wichtig ist 4G/LTE für das vernetzte Auto?

Wenn es um Konnektivität geht, ist die größte Baustelle die Infrastruktur. Es ist eine beinahe ständige Irritation, dass an manchen Orten Mails blitzschnell ankommen, während an anderen man sich mit 1G oder 2G-Geschwindigkeiten abgeben muss. Unser Problem ist, dass die Kunden fast immer die Schuld beim Auto suchen und nicht beim Netzwerk. Mein Traum ist es, ein hochperformantes LTE-Netzwerk schnell in Gang zu bringen, und wir unterstützen definitiv dieses Bestreben.

_Können Sie beziffern, wie viel die Elektronik in einem Auto aktuell kostet?

Welcher Teil des Autos ist heutzutage nicht in irgendeiner Weise elektronisch? Die strukturellen Teile natürlich nicht, aber alle anderen beinhalten Elektronik, einschließlich der Federung, der Beleuchtung, des Motors, des Antriebsmanagements und vieler anderer Teile des Autos. Da möchte ich mich nicht festlegen.

Das Gespräch führte: Arjen Bongard
Foto: Claus Dick

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