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BMW hat mit Alexander Buresch einen Nachfolger von CIO Klaus Straub bestimmt. (Bild: Claus Dick)

Herr Straub, in der Erstausgabe von automotiveIT haben wir mit Ihnen das CIO-Interview geführt. Damals waren Sie IT-Chef bei Audi und wir sprachen über USB-Anschlüsse und Speicherkarten-Slots im Fahrzeug …

Ja, das liegt in der Tat eine Weile zurück. Seither hat sich sowohl in der IT wie in der Automobilindustrie viel getan. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass wir heute bei BMW über zwölf Millionen vernetzte Fahrzeuge weltweit auf den Straßen haben. Seit letztem Jahr befähigen wir unsere aktuellen Baureihen für Remote Softwareupgrades. Mit ihnen können Kunden ihre Fahrzeuge auf dem neuesten Stand halten und Fahrzeugfunktionen und Dienste nachträglich aufspielen – eine faszinierende Funktion, die zeigt, wie stark Technologie die im Fahrzeug erlebbare Innovation inzwischen prägt. Was die IT im Produkt angeht, sind wir noch lange nicht am Ende.

Hätten Sie mit dem Wissen, was heute möglich ist, die eine oder andere Entscheidung in der IT vielleicht anders getroffen?

Nein. Wir haben gelernt, mit dramatischen Leistungssprüngen umzugehen. Mainframe-Architekturen, Client-Server-Lösungen, Cloud Computing, Mobile – wer in der IT zehn Jahre zurückblickt, kann sich nur schwer vorstellen, dass es einmal eine Zeit ohne die aktuell verfügbare Technik gegeben hat. Als ich 1990 bei Daimler-Benz angefangen habe, spielten Mobiltelefone im Job keine Rolle. Schauen Sie sich an, wie Smartphones heute die tägliche Kommunikation bestimmen, beruflich wie privat. Alles ist immer und überall schnell verfügbar. Genau das ist der Punkt, auf den alles zuläuft: Die BMW-Group-IT muss das gesamte Unternehmen in die Lage versetzen, diese große Geschwindigkeit mitzugehen. Das wird in Zukunft der wettbewerbsdifferenzierende Faktor schlechthin sein, da bin ich mir ganz sicher.

Vor zehn Jahren waren Sie mit einem Apple iPhone und einer 3G-Datenverbindung unterwegs. Auf welche Funktion glaubten Sie nicht verzichten zu können?

Das Spannende war sicher der mobile Zugriff auf meine E-Mails. Das kam schon einer Kommunikationsrevolution gleich. Damals waren wir übrigens eines der ersten Unternehmen in der deutschen Automobilindustrie, das flächendeckend iPhones eingeführt hat.

Auf welchem Feld hat Sie der umfassende Siegeszug von Informationstechnologie und Digitalisierung stärker überrascht – in den Unternehmensprozessen oder im Produkt Auto?

Hält man an der Trennung dieser beiden Welten fest, hat es die größeren Innovationssprünge sicher im Fahrzeug gegeben. Themen wie hochautomatisiertes und autonomes Fahren auf den Stufen drei, vier oder gar fünf lagen außerhalb der technischen Reichweite. Auch schnelle Datenverbindungen ins Auto hinein gab es nicht – und damit nicht die Möglichkeit, einzelne Services ins Backend zu verlagern und bei Bedarf abrufbar zu machen. In Echtzeit! Das Verrückte ist ja, dass die dafür erforderliche Technik in der klassischen IT ein vergleichsweise alter Hut ist. Der Enabler Konnektivität aber hat dem Device Automobil eine grandiose Aufholjagd ermöglicht.

Ein Blick nach vorn: Werden wir 2029 so weit sein, dass unsere Autos vollautonom fahren und ein Hersteller wie die BMW Group unterschiedliche Mobilitätsdienste in einem Ökosystem verkauft?

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen mehrere Entwicklungen passgenau zusammentreffen. Um die vernetzte Fahrzeugtechnologie bei der BMW Group mache ich mir keine Sorgen. Aber wir brauchen eine Konnektivität, die hohe technische Anforderungen erfüllt, und einen verlässlichen Rechtsrahmen für den sicheren Betrieb. Das alles wird nicht von heute auf morgen im globalen Maßstab verfügbar sein. Aufgrund der unterschiedlichen Marktentwicklungen werden die alte und die neue Mobilitätswelt wohl zwangsläufig noch eine ganze Weile nebeneinander her existieren.

Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers markierte 2009 den Beginn einer weltweiten Rezession. Aktuell trüben sich die Konjunkturaussichten erneut ein. Stehen damit wieder Kostensenkungen und Leistungssteigerungen mithilfe von IT hoch im Kurs?

Ich kenne keinen CIO, bei dem Kosteneinsparungen und Produktivitätssteigerungen nicht zum Tagesgeschäft zählen. Die IT muss ständig den Nachweis erbringen, einen messbaren Beitrag zum Geschäftserfolg zu leisten – ganz egal, in welcher konjunkturellen Phase wir uns befinden. Was sich gegenüber 2009 aber erkennbar verändert hat, ist der Raum, den Digitalisierungsthemen heute im industriellen Umfeld einnehmen. Die Rolle der IT hat sich Zug um Zug geändert – weg von einem betriebswirtschaftlichen Kostenfaktor hin zu einem zentralen Element technologischer Veränderungen im Unternehmen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir verstehen uns als Wegbereiter für neue Geschäftsmodelle und unterstützen die Transformation der BMW Group in eine Tech-Company.

Ist mit der Vielzahl an Aufgaben Ihr Budget gestiegen?

Natürlich, sogar signifikant. Vor zwei Jahren hat der Vorstand ein mehr als deutliches Bekenntnis zum Coporate-IT-Bereich abgelegt und zusätzliche 1200 Stellen bewilligt, die wir planmäßig aufbauen. Die Manpower und die Mittel sind vorhanden, um die Digitalisierung vollumfänglich umzusetzen.

Stichwort Outsourcing: Vor zehn Jahren war es geradezu Pflicht, Entwicklungs- und Betriebsleistungen an spezialisierte Dienstleister zu vergeben. Wie sieht das heute aus?

Die Informationstechnik der BMW Group deckt ein breites Spektrum ab – ein weltweites Firmennetz mit mehreren Datenzentren gehört ebenso dazu wie die Inbetriebnahme neuer Arbeitsplatzrechner oder die Weiterentwicklung unternehmensweiter Applikationen. Unser erklärtes Ziel ist es, künftig auf eine Eigenleistungsquote zu kommen, die durchschnittlich zwischen 40 und 50 Prozent liegen soll. Allerdings wird es starke Schwankungen geben – Bereiche, in den wir nur zehn Prozent selbst machen, und andere, in denen wir wie die großen Technologieunternehmen auf 90 Prozent kommen. In der Entwicklung eigener Software für das Internet der Dinge sehen wir beispielsweise ein echtes Differenzierungsmerkmal für unser Unternehmen. Weil keine Standardlösungen existieren, auf denen wir aufbauen können, greifen wir selbst in die Tasten.

Was merken davon die IT-Dienstleister, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Unsere interdisziplinären BizDevOps-Teams treffen schnelle und zielgerichtete Entscheidungen. Mit der fortlaufenden Umstellung der gesamten IT-Organisation auf 100 Prozent Agilität geht eine konsequente Produktorientierung Hand in Hand. Sie sorgt für die notwendige Transparenz, wenn es um die Frage geht, ob wir ein Thema konsequent selbst angehen wollen oder nach außen vergeben. Es hat sich für uns bereits bezahlt gemacht, 240 IT-Produkten und -Services interne wie externe Ressourcen, Personal- und Sachkosten zuzuordnen. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten.

Stichwort Agilität: Wann haben Sie aufgehört, Krawatten zu tragen?

Eigentlich überhaupt nicht. Wir sind nur flexibler geworden: Mal tragen wir welche, mal nicht. Aber ich gebe zu, dass ich mir in letzter Zeit öfter keine Krawatte umgebunden habe. Ganz bewusst übrigens, weil ich als Führungskraft Vorbild für meine Mitarbeiter bin. So soll es ja auch sein. Wäre ich weiterhin ausschließlich mit Krawatte ins Büro gekommen, hätte sich nichts geändert. Dank des herbeigeführten Kulturbruchs stehen wir dem Thema Krawatte heute sehr liberal gegenüber. Es geht auch ohne.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik warnte 2009 in seinem Jahresbericht explizit vor Hacking und vorsätzlicher Datenmanipulation. Warum sind wir in den letzten zehn Jahren mit diesem Thema scheinbar nicht weitergekommen?

Das sehe ich anders. Bedenkt man, in welchem Ausmaß sich die Zahl potenzieller Angriffsflächen in sämtlichen Unternehmensbereichen vergrößert hat, haben wir bei IT-Security ex­trem große Fortschritte erzielt. Wir haben nicht nur das komplette Firmennetz unter Sicherheitsaspekten neu strukturiert, eine effiziente Benutzer- und Zugriffsverwaltung etabliert und eine dedizierte Cybersecurity-Organisation aufgebaut. In unseren Reihen arbeiten heute Hacker, die unsere Infrastruktur permanent auf Schwachstellen untersuchen. Und wir sensibilisieren die Mitarbeiter mit wiederkehrenden Maßnahmen dafür, wie wichtig der verantwortungsvolle Umgang mit Daten ist. Haben wir damit das Ende der Entwicklung erreicht? Natürlich nicht. Wir müssen weiterhin am Ball bleiben und bereit sein, in das Thema Sicherheit zu investieren.

Früher haben Sie gesagt, ein CIO müsse die Moderatorenrolle zwischen Fachbereich und IT spielen können, weil nur an dieser Stelle Innovationen entstehen. Ist das noch immer so?

Tatsächlich ermöglichte früher eine enge, abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen und IT viele innovative Lösungen. Daran hat sich nichts geändert. Aber der maßgebliche Katalysator für effiziente Abläufe und Produktneuerungen ist heute Technologie: Cloud, Big Data, agile Toolchain, künstliche Intelligenz, Mobile, Microservices-Architekturen – all das nutzen wir, um schnelle Entwicklungs- und Implementierungszyklen zu realisieren und die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit zu unterstützen. Sie werden sehen: Der Anteil, den Technologie an Prozess- und Produktinnovationen hat, wird sich in den kommenden Jahren noch einmal deutlich erhöhen, beispielsweise durch den Einsatz von Quantencomputern.

Wie hat sich die Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten entwickelt?

Sie ist deutlich besser geworden, weil wir dieselbe Sprache sprechen: Alle verwenden Fachbegriffe aus der IT – auch das war früher anders. Da sorgte unsere interne Terminologie bei Vorstandsterminen manchmal doch für das eine oder andere ratlose Gesicht.

Hand aufs Herz: Was war bisher der größte IT-Flop in diesem Jahrzehnt?

Das sollen andere beurteilen. Es gibt aber Themen, die kleben einem am Schuh wie ein alter Kaugummi – man wird sie nicht los und ein Ende ist nicht in Sicht. CRM ist so ein Kandidat. Seit langem ackern wir auf allen Ebenen an einem globalen, konsistenten Kundendatenmanagement. Die Integrationsaufgabe aber wird von Jahr zu Jahr anspruchsvoller, weil immer mehr digitale Touchpoints dazu kommen und die Anforderungen steigen. Customer Relationship Management ist und bleibt ein komplexer Dauerbrenner.

Lassen Sie uns zum Schluss einen Blick in die Glaskugel werfen: Mit welchen Themen wird sich ein Automotive-CIO wohl im Jahr 2029 beschäftigen?

In der Vergangenheit waren Corporate-IT und Fahrzeugelek­trik zwei getrennte Welten. In zehn Jahren sehe ich ein großes Ökosystem, das alle Themen, die wir heute heiß diskutieren, umfasst: autonomes Fahren ebenso wie softwarebasierte Mobilitätsservices. Auch in der Produktion erleben wir nochmals einen großen Automatisierungsschub durch lernende Roboter, die intelligent die Fertigung begleiten und uns helfen, die steigende Komplexität im Griff zu behalten. In der Entwicklung werden Simulationen die digitale Grenze weiter in Richtung Start der Serienproduktion verschieben. Der nächste große Sprungstein ist natürlich künstliche Intelligenz: Sie spielt nicht nur im Umfeld des autonomen Fahrens eine zentrale Rolle, sondern wird domänenübergreifend in die gesamte Prozess- und IT-Landschaft eingewoben.

Bilder: Christian Fournier

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