„Manche überleben die Katastrophe nicht“

Jan Burgard: „Die Krise deckt schonungslos die finanziellen Umstände auf, in denen sich die OEM und Zulieferer befinden.“ (Bild: Berylls)

Jan Burgard, geschäftsführender Partner bei Berylls Strategy Advisors, rechnet weltweit mit rund zwei Prozent weniger produzierten Fahrzeugen in 2020. Allerdings erwartet der Automobilexperte, dass einige Marken und Zulieferer die Krise nicht überleben.

In Anbetracht der Corona-Krise: Mit welchen Produktionsausfällen rechnen Sie für die deutschen Hersteller in den nächsten Monaten? Ihre Einschätzung der Lage.

Mittlerweile haben nahezu alle großen OEM einen Großteil ihrer weltweiten Werke heruntergefahren und der Shutdown in den Produktionshallen liegt zwischen einer und drei Arbeitswochen. Die deutschen Hersteller werden deshalb allein in ihren europäischen Werken etwa eine halbe Million Autos weniger produzieren, als noch Anfang Februar prognostiziert. Weltweit verringert sich die Produktion nach unseren Berechnungen um knapp 1,6 Millionen Einheiten. Das mag zunächst dramatisch klingen, tatsächlich fallen damit aber nicht einmal zwei Prozent der für 2020 angestrebten 88,3 Millionen Einheiten weg. Und die gute Nachricht ist, dass die Fertigung in China nahezu überall wieder angelaufen ist. Sofern kein weiterer Covid-19-Ausbruch kommt, ist dies ein überaus positives Signal.

Die Aktienkurse vieler Automobilhersteller sind in die Knie gegangen. Muss die Branche damit rechnen, dass es verstärkt zu Übernahmen kommt – siehe Daimler?

Die Krise deckt schonungslos die finanziellen Umstände auf, in denen sich die OEM und Zulieferer befinden. Viele Missstände waren in den Wachstumszeiten der letzten Jahre einfach nicht transparent. Insgesamt muss man sicher feststellen, dass derartige Krisen immer eine Zeit der Übernahmen und Carve-outs einläuten. Die Kriegskassen vieler Investoren sind randvoll gefüllt – insbesondere aus dem Umfeld China nehmen wir aktuell einen hohen Grad an M&A-Aktivitäten in Richtung Europa wahr. Dabei allerdings einzelne Akquisitionsziele in den Vordergrund zu stellen, halte ich nicht für angemessen, es betrifft die ganze Branche, die jetzt natürlich an kollektiver Bewertung verliert. Darüber hinaus werden zahlreiche Unternehmen (z.B. NIO oder auch namhafte Zulieferer) diese wirtschaftliche Katastrophe wahrscheinlich nicht überleben. Damit wird der Platz frei für neue Player aus anderen Ländern oder verdrängende Wettbewerber aus dem eigenen Land, die jetzt ihre Chance wittern.

Wie hoch wird vermutlich der Einbruch am Weltmarkt sein. Mit welchen Absatzzahlen rechnen Sie noch 2020? 

Ich bin nach wie vor optimistisch, wenngleich verhalten. Denn im überproportional wichtigen Markt China kommen wieder viele Kunden zu den Autohändlern. Wir beobachten, dass sich die Verkäufe in einigen Handelsbetrieben bereits wieder auf einem Level von etwa 70 bis 80 Prozent des Erwartbaren bewegen. Ein ähnlicher Effekt könnte sich in den kommenden Monaten auch in Europa einstellen – Autos werden dann wahrscheinlich den öffentlichen Verkehrsmitteln aufgrund der physischen Nähe vorgezogen und der individuelle Besitz eines Fahrzeugs wird wieder eine zwischenzeitliche Renaissance erleben. Vor allem Premiumfahrzeuge werden wieder gekauft, der Absatz bewegt sich bereits in die richtige Richtung. Wie gesagt, der momentan überschaubare Produktionsausfall liegt unterhalb von zwei Prozent des jährlichen Volumens. Wenn sich die Krise binnen der nächsten drei Monate einigermaßen in den Griff bekommen lässt, rechne ich damit, dass die Industrie Ende 2020 mit einem blauen Auge davonkommt. Alles steht und fällt natürlich damit, dass China nicht mit einer neuerlichen Infektionswelle konfrontiert wird.

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