Das Auto verändert somit seinen Charakter. Bis dato haben sich die Marken über klassische Kernbotschaften wie Motoren- und Antriebstechnologie sowie Design definiert und voneinander abgegrenzt. Künftig werden Car-IT-Themen ebenfalls markenprägend sein. Wer stellt einen schnellen Online-Zugang zur Verfügung? Wer bietet seinen Kunden die besten Mobilitätsservices? Das bringt Herausforderungen mit sich, die von den Automobilherstellern gelöst werden müssen. Eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang ist: In welcher veränderten Rolle kann die bestehende Business-IT im Hinblick auf die Lösungsszenarien in der Car-IT optimalen Mehrwert für die Automobilhersteller liefern? MHP ist dieser Frage in einer Untersuchung nachgegangen, die zusammen mit dem Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe durchgeführt wurde. 350 Führungskräfte in den IT-Bereichen der Automobilindustrie wurden zu diesem Themenfeld befragt. In allen Unternehmen der Automobilindustrie wird derzeit ebenso kontrovers wie lebhaft darüber diskutiert, wie der Autobauer IT-seitig aufgestellt sein muss, um Car-IT optimal zur Stärkung und Stabilisierung der Markenposition nutzen zu können? Zur Analyse hat MHP drei Szenarien formuliert (siehe Kasten). „Die aktuelle Meinungsbildung tendiert zu Szenario 3“, erklärt Stefan Hellfeld, Projektleiter Bereich Software Engineering FZI. Rund 54 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die IT-Organisation des OEM zukünftig die Verantwortung für die Integration aller Onboard-IT-Lösungen übernimmt. „Die Technologie-, Prozess- und Lösungskompetenz der Business-IT wird genutzt, um die Einbindung in ganzheitliche Prozessszenarien zu ermöglichen und zu beschleunigen“, so Hellfeld. Zur Sicherstellung der Integrationsfähigkeit erhält der CIO folglich die Governance-Rolle für alle Onboard-IT-Technologiestandards.

Doch wie sieht die Unterstützung dieses Szenarios konkret in den Unternehmen aus? Rund 20 Prozent der Teilnehmer sagen aus, dass bereits Maßnahmen unternommen werden, um das gewählte Szenario zu unterstützen. „Man kann daraus den Schluss ziehen, dass in den Unternehmen die IT-Bereiche aktiv gestaltend eingebunden werden und deren Position verstanden und auch unterstützt wird“, sagt Jan Wiesenberger, Geschäftsführer FZI. Dennoch bleiben Risiken, die von den IT-Führungskräften auch klar benannt werden. Die neuen Anforderungen an die Automotive-Industrie werden derzeit häufig von Zulieferern bereitgestellt beziehungsweise von neuen Lieferanten aus der Embedded Solution.

Die wichtige Frage nach der Problematik, dass der Hersteller infolgedessen keine ausgeprägte eigene Kompetenz für Car-IT-Technologien und -Lösungen entwickelt, wird dementsprechend kritisch bewertet. Viele Teilnehmer merken an, dass sich der Autobauer dem Lernprozess in Bezug auf Car-IT-Innovationen durch diese Konstellation entzieht (Software, Geschäftsmodelle). Daraus resultiert letztlich eine mangelnde oder gar fehlende Beurteilungskompetenz. Das dürfte sich langfristig negativ auswirken. Hinzu kommt, dass durch eine gelebte und tradierte organisatorische Trennung beziehungsweise Nicht-Zusammenführung der Business-IT und der Car-IT Potenziale verschenkt werden. „Übergreifendes Wissen bezogen auf die Integration Car-IT zu Enterprise-IT wird nicht ausreichend entwickelt und gepflegt“, weiß Wiesenberger. Eine Stabilisierung der aktuellen Situation könnte dadurch erfolgen, dass man die Veränderungen in den Geschäftsmodellen und -prozessen klar identifiziert und die totale Abgrenzung zwischen der IT und der Produktentwicklung aufbricht. Doch dafür ist wohl noch ein Stück Weg zurückzulegen. Denn eines zeigt die Untersuchung auch sehr deutlich: 29 Prozent der Befragten sehen Szenario 1 als realitätsnah an. Mit anderen Worten: Die Business-IT wird keinen Einfluss auf die Car-IT haben.

Die möglichen Szenarien:

Die technische Entwicklung des OEM verantwortet die Weiterentwicklung der Car-IT. Das heißt damit auch die Integration der Onboard-IT in die Aftersales-Prozesse sowie die Schnittstelle zu Service- und Contentprovidern (Beispiel: Navigation von Google). Die Entwicklung der Elektronik- und Softwarelösungen wird durch spezialisierte Lieferanten bereitgestellt. Die bisherige Rolle des CIO wird damit nicht durch die Car-IT beeinflusst.

 IT integriert die Verantwortung. Die Bereitstellung von Lösungen für vernetztes Fahren wird in Zukunft in die bestehende IT-Organisation des OEM integriert. Die IT-Organisation übernimmt damit Verantwortung für IT-Komponenten zum zukünftigen integrierten Lösungsszenario „vernetztes Fahren“. Diese IT-Komponenten umfassen Lösungen für folgende Bereiche: Onboard, Access, Telematikbackend, Enterprise-IT-Integration. Der CIO ist damit verantwortlich für alle IT-Entwicklungen und -Lösungen im Unternehmen und im Fahrzeug.

IT übernimmt die Verantwortung. Die bestehende IT-Organisation des OEM übernimmt zukünftig die Verantwortung für die Integration aller Onboard-IT-Lösungen in die Enterprise-IT-Prozesse des OEM (CRM, Aftersales und andere). Zur Sicherstellung dieser Integrationsfähigkeit erhält der CIO die Governance-Rolle für alle Onboard-IT-Technologiestandards. Der CIO ist verantwortlich für die Fahrzeug-IT und die Enterprise-IT. Er leistet die Entwicklung bis zur definierten Schnittstelle Steuersoftware und Unternehmenssoftware

Der Begriff Car-IT betrachtet alle Informationsflüsse, die in das Fahrzeug hinein-, aus dem Fahrzeug heraus- oder im Fahrzeug selbst fließen. Mit dem Ziel, das Fahrzeug beziehungsweise den Fahrer als direkten Informationsempfänger/-lieferanten in erweiterte Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle zu integrieren, unabhängig von Zeitpunkt und Standort des Fahrzeugs.

Autor: Peter Rademacher

Foto: BMW

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