Miles Mobility Pkw und Transporter parkend in Reihe

Geteilte Mobilität kann nur einen kleinen Teil zur Nachhaltigkeit beitragen. (Bild: Miles Mobility)

Neue Mobilitätsdienste, vernetzte Fahrzeuge, vernetzte Infrastruktur, autonomer Verkehr – das muss doch die Treibhausgasemissionen senken. Zumindest ist die Branche auch mit diesem Versprechen angetreten, als die Digitalisierung in den Verkehr Einzug hielt. „Die Potenziale sind zweifellos da“, sagt Peter Kasten, Diplom-Ingenieur und stellvertretender Leiter des Bereichs Ressourcen & Mobilität am Öko-Institut. „Aber ob der Verkehr durch Smart Mobility tatsächlich nachhaltiger wird, können wir heute für keinen Anwendungsfall sagen.“ Bislang sei das vor allem eine Potenzialdiskussion, weil die Konzepte auch in den nächsten Jahren noch nicht in der Breite umgesetzt würden.

Am Ende entscheidet die konkrete Umsetzung darüber, wie nachhaltig eine Technologie oder ein Geschäftsmodell ist. „Die Idee von der Digitalisierung des Verkehrs ist in der Mobilitätsbranche oft mit dem Gedanken der Kostenoptimierung oder Komfortverbesserung verbunden“, sagt Kasten. Das hält er für die falsche Herangehensweise, um durch die Digitalisierung wirklich nachhaltiger zu werden.

Das Nachhaltigkeitspotenzial der Smart Mobility ist enorm

Die Strategiesparte von Accenture hatte im Auftrag des Branchenverbands Bitkom im vergangenen Jahr analysiert, welche CO2-Einsparpotenziale in Deutschland in verschiedenen Anwendungsbereichen durch digitale Technologien im Jahr 2030 umsetzbar wären. Eine Szenarienbetrachtung bezog sich auch auf den Bereich Mobilität und führte zu dem Ergebnis, dass sich dort im Szenario beschleunigte Digitalisierung bis zu 25 Millionen Tonnen CO2-Emisisonen vermeiden ließen. In die Betrachtung flossen sowohl die möglichen Einsparungen als auch der eigene Fußabdruck der Digitalisierung ein, die Zahl von 25 Millionen gibt also den – unter dem Strich positiven – Nettoeffekt an. Das Potenzial entsteht in drei Feldern.

Den größten Hebel für Einsparungen, bis zu 13 Millionen Tonnen CO2-Emissionen, gibt es demnach durch eine intelligente Verkehrssteuerung, um Fahrtrouten an die aktuelle Verkehrslage anzupassen. Hierfür erforderlich wären die Zusammenführung und Aufbereitung von Verkehrs- und Umweltdaten auf Echtzeitplattformen. Hinzu käme die multimodale Verknüpfung von Mobilitätsangeboten.

In der Logistik ließen sich bis zu acht Millionen Tonnen weitere CO2-Emissionen einsparen. Durch Big Data, Sensoren, digitale Warenhäuser und Logistikplattformen wären Warenströme effizienter plan-, steuer- und verteilbar. Und schließlich bescheinigt die Studie dem vernetzten Individualverkehr ein Einsparpotenzial von bis zu vier Millionen Tonnen CO2-Emissionen – maßgeblich durch neue Mobilitätsdienste wie Car- oder Ridesharing.

Was ist der Rebound-Effekt?

Gemeint ist damit, dass durch die neuen Technologien Nachfrage und Nutzung so stark steigen können, dass die möglichen Ressourceneinsparungen gemindert oder gar konterkariert werden. Da Rebound-Effekte länder-, sektor- und technologie-spezifisch seien, gestaltee sich eine genaue Berechnung sehr schwierig, ist dazu in der Bitkom-Studie zu lesen. Dies zeige sich auch in der großen Heterogenität von Studien, die eine Bandbreite von vier bis 37 Prozent für die durch Rebound-Effekte verursachte Reduzierung der Effizienzpotentiale aufweisen. Accenture bezieht sich bei dieser Aussage auf Studien des Umweltbundesamts, der Universität Zürich und der Global e-Sustainability Initiative (GeSI).

Öko-Institut-Forscher Kasten nennt zwei Beispiele für Rebound-Effekte in der Mobilität: „Lkw-Fahrer sind die größte Kostenposition im Güterverkehr. Wenn Lkws autonom fahren würden, wäre der Gütertransport auf der Straße vermutlich noch kostengünstiger gegenüber der Bahn, als er heute schon ist.“ Das würde kaum zu weniger Lkw-Verkehr führen. Ähnlich sei es beim Thema intelligente Routenplanung, durch die es zu weniger Staus kommen könnte. Doch das induziere mutmaßlich neuen Verkehr, weil man dann schneller von A nach B gelangen könne.

Der Informatiker Vlad Coroamă von der ETH Zürich forscht seit vielen Jahren an der Nachhaltigkeit der Digitalisierung. Im Jahr 2020 wies er im Rahmen einer wissenschaftlichen Tagung zur Nachhaltigkeit der ICT darauf hin, dass die Digitalisierung häufig als Wunderwaffe betrachtet werde, um die Umweltprobleme der Welt zu lösen oder wenigstens gering zu halten. Dabei wendeten viele Untersuchungen, „vor allem jene mit einem industriellen Hintergrund“, „fragwürdige Methoden“ an und kämen zu „übermäßig optimistischen Ergebnissen“, so Coroamă weiter.

Die größte Schwachstelle existierender Untersuchungen sei die Vernachlässigung von Rebound-Effekten. Denn für die meisten Formen der Digitalisierung scheine ein starker Rebound-Effekt „eher die Regel als die Ausnahme“ zu sein. „Die manchmal spektakulären Effizienzgewinne pro Nutzung durch die Digitalisierung tragen das Gift eines starken digitalen Rebounds in ihrem Kern mit sich und lindern kaum das globale Problem“, resümiert Coroamă. Ein Rebound-Effekt habe seine Wurzeln in der menschlichen Natur und dem wirtschaftlichen Denken, daher sei es sehr unwahrscheinlich, dass er sich allein mit technologischen Maßnahmen vermeiden lasse.

Shared Mobility kann nur kleinen Beitrag leisten

Felix Creutzig, Professor an der TU Berlin und Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport am Berliner Mercator-Institut, hat zusammengetragen, wie sich die Smart Mobility nachhaltig machen lässt. Es war eine Auftragsarbeit des Israel Public Policy Institute und der Heinrich Böll Foundation Tel Aviv, erschienen Anfang 2021. Konkret betrachtete er Ridesourcing, Carsharing und Mikromobilität. Betrachtungen zu Rebound-Effekten spielten eine Rolle.

Im Einzelnen kam die Untersuchung zu folgenden Ergebnissen: Abgesehen von einigen Beispielen, die geringe positive Effekte feststellten, erhöhe Ridesourcing meistens die Treibhausgasemissionen, weil das Ridesourcing meist Transportmittel ersetze, die weniger CO2-intensiv seien. Carsharing habe geringe positive Effekte, weil es manches Privatfahrzeug überflüssig und eigentlich unnötige Fahrten unwahrscheinlicher mache.

Der Nutzen der Mikromobilität wiederum sei uneindeutig. Durch sie entfielen einige Autofahrten, die Creutzig auf etwa fünf bis 15 Prozent beziffert, aber sie ersetze auch die Fortbewegung zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Bei fast der Hälfte aller Fahrten mit E-Scootern wären die Strecken ansonsten zu Fuß zurückgelegt worden. Als positives Beispiel nennt die Analyse das Bikesharing in Shanghai, durch das der Autoverkehr tatsächlich stark gesunken sei.

Unterm Strich kommt Creutzig zum Ergebnis, dass geteilte Mobilität einen geringfügigen Beitrag leisten kann, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren – „wenn sie effizient gestaltet wurde und sie Fahrten mit Privatautos ersetzt“. Aber auch: „Carsharing und ähnliche Angebote werden aus Bequemlichkeit gewählt und sie ergänzen eher den Gebrauch von privaten Fahrzeugen, statt ihn zu ersetzen.“ Zumindest beim Blick aufs große Ganze sei das so.

Smarte Mobilität braucht politische Regulierung

Um das zu ändern, seien regulatorische Eingriffe nötig, so Creutzig. Dies zeigten Modellierungen des International Transport Forum für Dublin, Lissabon und Helsinki, um deren Shared-Mobility-Potenzial zu ermitteln. In Helsinki zum Beispiel lasse sich mit einer Armada aus Minibussen die Zahl der Fahrzeuge im Stadtverkehr auf vier Prozent des heutigen Werts reduzieren.

Politische Maßnahmen sind nicht das, nach was die Technologiebranche zuerst ruft – die Mobilitätsbranche auch nicht. Die Mittel wären jedenfalls bekannt, findet Peter Kasten. „So unklar es ist, ob die Smart Mobility nachhaltig wird, so klar sind die Instrumente, die es gibt, um sie nachhaltig zu machen“, sagt er. Er meint damit Maßnahmen wie zum Beispiel die Maut oder Anreize, die Leerfahrten von autonomen Fahrzeugen uninteressant machen. Hierfür bedürfe es jedoch einer aktiven Politik.

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