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Immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern neue Formen des Arbeitens an – zum beidseitigen Vorteil.

Industrie 4.0 verändert nicht nur die Abläufe in Produktion und Logistik, sondern nimmt massiv Einfluss auf die Anzahl der Arbeitsplätze in einem Fertigungsunternehmen. Das Beratungsunternehmen Strategy& hat im Herbst die Folgen von Automatisierung und neuen Formen der Mobilität speziell für die Belegschaften von Automobilunternehmen untersucht. Ergebnis: Die Zahl der Mitarbeiter an Fertigungsbändern oder in Lackierereien wird sich langfristig halbieren, die Größe der Logistikbelegschaft auf dem Shopfloor sogar um rund 60 Prozent sinken. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach IT-Experten: In den Werken der Autobauer ist künftig mit 80 bis 100 Prozent mehr Data Engineers zu rechnen, die Zahl der Software-Ingenieure steigt um bis zu 90 Prozent. „Autohersteller müssen jetzt beginnen, die Belegschaft aufzubauen, die sie in der kommenden Dekade brauchen werden. Gleichzeitig müssen neue Mitarbeiter mit den richtigen Skills eingestellt werden und die bestehende Belegschaft gehalten und neu qualifiziert werden“, erklärt Heiko Weber, Partner bei Strategy&.

Das ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen zeigt sich, dass es sich lohnt, Mitarbeitern neue Freiheiten einzuräumen. In vielen großen Industrieunternehmen sind flexibles Arbeiten im Home Office, Jobsharing oder berufliche Auszeiten in Form von Sabbaticals gang und gäbe – bislang jedoch überwiegend im Bereich der sogenannten Wissensarbeit, nicht in der Produktion. Doch Werker können durchaus aufholen. Voraussetzung ist eine Kultur, in der Mitarbeiter nicht nur bereit sind, sich auf Wandel einzulassen, sondern ihn aktiv zu treiben. So wie bei Zulieferer Continental. Am Anfang standen zwei wichtige Grundsatzentscheidungen. „Wir wollten, dass alle Mitarbeiter weltweit in den Genuss flexibler Arbeitsmodelle kommen. Es sollten nicht nur ein, zwei Referenzstandorte beglückt werden, sondern ein verbindlicher Rahmen für 21 Länder geschaffen werden, in denen über 90 Prozent unserer Belegschaft arbeiten“, erklärt Dirk Siebels, der die Abteilung Labor Relations Corporate leitet. Und: Es durfte keine Ausnahmen geben, die Angebote sollten in allen Unternehmensbereichen gleichermaßen gelten – im Management ebenso wie in der Produktion. Dieser Ansatz war goldrichtig und zahlt sich bei Continental inzwischen Stück für Stück aus. So ist das Unternehmen dieses Jahr als einer der besten Arbeitgeber in den USA für Frauen in Führungspositionen ausgezeichnet worden. Hauptgrund ist der hohe Flexibilitätsgrad, der es erlaubt, das Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie besser auszutarieren. In Mexiko konnte das Technologieunternehmen die Personalfluktuation an jedem seiner Standorte um fünf bis 15 Prozent reduzieren. Siebels: „Wir binden Talente an das Unternehmen und leisten gleichzeitig einen gesellschaftlichen Beitrag in den Ländern.“

Die etablierten Flex-Angebote machen vor der Produktion ganz bewusst nicht halt. Zwar ist am Band oder an einer Montageinsel mobiles Arbeiten nicht so ohne Weiteres möglich wie in einem Office-Job. Aber grundsätzlich sieht Conti keinen Grund, warum ein Werker nicht flexibel arbeiten oder auf Wunsch ein Sabbatical nehmen sollte. „Die Flexibilität muss zum Jobprofil passen“, sagt Dirk Siebels. Aber das gelte im Wissensbereich auch. Entscheidend seien die konkreten Angebote: Den meisten Mitarbeitern ist daran gelegen, eine größere Verfügungsmasse an freier Zeit zu bekommen. Aktuell laufen 22 Piloten weltweit mit verschiedenen Ansätzen – von Mini-Sabbaticals und Jobsharing bis zu selbst organisierten Teams. Nach der Testphase ist Mitte 2019 die Implementierung an allen Continental-Standorten geplant. „Angesichts des drohenden Fachkräftemangels ist es schlicht schlau, in Menschen zu investieren“, lobt Gabi Schilling von der IG Metall. „Dabei geht es explizit nicht darum, einfach Akzeptanz für die ohnehin beschlossene Einführung neuer Technologien zu schaffen. Wir wollen, dass sich durch Technikeinsatz die Situation am Arbeitsplatz konkret verbessert.“

Entsprechend rüstet Daimler die Pkw-Werke im globalen Produktionsnetzwerk von Mercedes-Benz konsequent digital auf. Ziel ist auch dort, die Mitarbeiter so zu unterstützen, dass die zunehmende Komplexität und Varianz in der Produktion beherrschbar bleibt. „Klar geht es um mehr Flexibilität, eine höhere Auslastung und eine optimale Betriebsnutzungszeit“, erläutert Produktionschef Markus Schäfer. „Wir wollen aber auch Rahmenbedingungen schaffen, damit die Arbeit in der Produktion weiterhin Spaß macht, im Büro wie am Band.“ Er bestätigt, dass Mitarbeitern häufig an mehr Freiraum für individuelle Belange gelegen ist. Flexiblere und kurzfristiger zu vereinbarende Einsatzzeiten und -orte kommen ihnen entgegen. Deshalb erprobt Daimler derzeit ein neues Modell für flexible Einsatzkräfte, um die Mitarbeiterwünsche in Bezug auf ihren Einsatzplan künftig besser berücksichtigen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern zu können.

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