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Die kürzlich vom ITK-Branchenverband Bitkom herausgegebenen Zahlen lesen sich wie eine Siegesmeldung: Bei einer repräsentativen Befragung von gut 300 IT-Verantwortlichen größerer Unternehmen – IT-Vorständen, CIOs oder IT-(Haupt-)Abteilungsleitern – gab die Hälfte an, dass man im IT-Bereich bereits auf agiles Projektmanagement umgestiegen sei. Gar 65 Prozent hielten Projekte, die agil durchgeführt werden, für erfolgreicher.

In der Automobilindustrie befeuern Digitalisierung und neue Antriebstechnologien diesen Zwang zum Wandel, der sich in Projekten äußern soll, die schneller Ergebnisse liefern, als dies mit klassischen Methoden des Projektmanagements möglich wäre. Auf der abstrakten Ebene ist klar, was das für die Mitarbeiter bedeutet: Flexibilität ist gefragt, der gekonnte Umgang mit Unsicherheit und Risiken, ein Arbeiten in Innovationsnetzwerken, mehr denn je sind Eigenverantwortung und Eigeninitiative gefragt. Doch für ein gutes Gelingen muss sich ein Geben und Nehmen zwischen Führungskräften und Belegschaft etablieren: Nicht nur die Mitarbeiter müssen bereit sein, mehr Verantwortung zu übernehmen, die Führungskräfte müssen sie auch lassen, ihnen das Vertrauen schenken, und einen geeigneten organisatorischen Rahmen schaffen.

Bei der BMW Group blickt man inzwischen auf einige Jahre Erfahrung mit der neuen agilen Welt zurück. „In der IT haben wir sehr früh begonnen, agil zu arbeiten“, sagt Christoph Brinck, Leiter Group IT Strategie & Governance. „Die ersten Gehversuche liegen fünf, sechs Jahre zurück, Ende 2016 haben wir mit dem flächendeckenden Rollout begonnen und seit diesem Jahr geht es auch massiv in die Businessbereiche.“  Teams, die agil arbeiten möchten, können sich sehr unproblematisch einen Coach ins Haus holen. „Dafür haben wir entsprechende Rahmenverträge mit Dienstleistern, so dass diese Coaches quasi mit einem Klick buchbar sind“, erläutert Brinck. Daneben gebe es Workshops, die cross-funktional und cross-hierarchisch ausgerichtet seien, um das Verständnis für die erforderlichen Veränderungen zu steigern, den Kulturwandel voranzutreiben und neue Ideen zu kreieren.

Ähnliche Workshops pflege die BMW Group auch mit branchenfremden Unternehmen. „Wichtig ist: Das sind alles Angebote, keine Pflichtveranstaltungen“, betont Brinck. Der Zuspruch aus der Belegschaft sei trotzdem hoch. Um diesen Wandel voranzutreiben, ist der Automobilhersteller auch nicht vor kniffligen Angeboten zurückgeschreckt. „Wir wollen etablieren, dass in sogenannten Fail-Forward-Sessions offen und konstruktiv über Fehler gesprochen wird, weil man daraus ja bekanntlich am meisten lernen kann“, erzählt Brinck. Das habe ein paarmal geklappt, sei aber insgesamt „eher schwieriger“. „Wir wollen dieses Format aber nicht aufgeben, sondern werden es weiterentwickeln, da wir es für wichtig halten“, konstatiert Brinck.

Auch baulich reagiert die BMW Group auf die veränderte Arbeitsweise. „Wir wollen weg vom klassischen Büro, was sich natürlich nur Schritt für Schritt bei Modernisierungen oder Neubauten verwirklichen lässt“, erläutert Brinck. Und über all diese Maßnahmen dürfe man natürlich nicht vergessen, dass auch Hard Skills weiterhin gefordert sind, teils sogar mehr als früher: „Wir fahren das Outsourcing zurück und bauen wieder mehr Knowhow für Softwareengineering und Automatisierung im Unternehmen auf“, erklärt Brinck. Zudem dienten Veranstaltungen wie Coding Dojos oder eine Robocar Challenge dazu, mehr den spielerischen Ansatz in den Vordergrund zu rücken und so Fachleute aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen. Es ist insgesamt also ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um dem einzelnen Mitarbeiter Anregung und Anschub für die eigene Veränderung zu geben. Tun – im Sinne von Wollen – muss er es aber letztlich selbst.

Das ist bei Volkswagen nicht anders. Dirk Bisanz weiß, wovon er spricht. Schließlich arbeitet seine 30 Personen große Abteilung, die er zusammen mit einer Kollegin disziplinarisch leitet, seit zweieinhalb Jahren agil. Bisanz verantwortet das Delivery Management für IT-Projekte größer als vier Millionen Euro Volumen. Das Team arbeitet nach der Scrum-Methode. Bisanz und seine Kollegin nehmen in den agilen Ritualen die Rolle der Product Owner ein – sie sagen also, was zu tun ist, und priorisieren, legen aber nicht das Wie fest. Das entscheidet das Team selbst, die Product Owner können niemanden dazu verdonnern, dass er eine der Zusatzaufgaben, die hier User Storys heißen und integraler Bestandteil der Arbeit sind, zusätzlich zu seinen bestehenden Aufgaben übernimmt.

Anfangs habe ich selbst erlebt, dass manche Teammitglieder skeptisch gegenüber der neuen Arbeitsweise waren, aber zumindest konnten wir uns zu Beginn darauf einigen, dass wir es ausprobieren“, erzählt Bisanz. „Niemand wurde aber in der Folge gezwungen, sich eine User Story zu ziehen.“ Und trotzdem griffen nach einer Weile auch die anfänglichen Skeptiker zu: „Sie sahen, wie sich durch Scrum das Arbeiten in ihrem direkten Umfeld veränderte, das weckte ihr Interesse. Irgendwann probierten sie es dann selbst aus – und erlebten es positiv.“ Nicht zu unterschätzen sind dabei auch vermeintliche Nebensächlichkeiten, die die veränderte Situation mit sich bringt: „Die Sprache ändert sich“, berichtet Dirk Bisanz. „Es gibt zum Beispiel keine Abteilungsmeetings mehr, wir nennen es Sprint-Rituale. Und wenn wir an die Mitarbeiter Informationen aus dem Unternehmen weitergeben wollen, dann nennen wir das auch so: ,Aktuelles aus den Gremien‘.“

Natürlich gebe es Stolpersteine auf dem Weg zum agilen Arbeiten, gibt Bisanz unumwunden zu, der inzwischen im Konzern mit vielen anderen Teams im Austausch steht, die sich für die Methodik interessieren. „Führungskräfte dürfen keine Angst vor Machtverlust haben, der ja im traditionellen Verständnis mit Scrum einhergeht.“ Umgekehrt könnten Mitarbeiter sich auf Kosten des Teams bei den User Storys dauerhaft zurückhalten, so Bisanz weiter. „Das habe ich mal bei einem neunköpfigen Team erlebt, bei dem sich immer drei Mitarbeiter zurückhielten.“ Natürlich habe man da als Führungskraft den nachvollziehbaren Impuls, sich einzumischen, aber „das Team hat das selbst reguliert, indem die anderen sechs gefragt haben, woran es hängt und wie sie eventuell helfen könnten“. Vielleicht dauere so etwas dann mal etwas länger, aber „für Team und Themen ist diese Herangehensweise viel gesünder“, betont Bisanz. „Am Ende geht es doch um eines: Wenn die Ergebnisse brillant sind – warum sollten wir uns als Führungskraft dann übermäßig einmischen?“

Bild: iStockphoto/urbancow

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