Smart Purchasing

Noch nie standen Einkäufer in Unternehmen der Automobilindustrie so unter Druck wie heute. Strenge regulatorische Vorgaben und neue Kundenpräferenzen in schwer prognostizierbaren Märkten hinterlassen im Tagesgeschäft sichtbare Spuren. In Zeiten, in denen sich obendrein durch vernetzte Fahrzeuge und Elektromobilität die globalen Lieferketten neu justieren, können selbst vermeintlich kleine Fehler im Einkauf schnell zu gravierenden Verwerfungen in der Wertschöpfung führen und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens ernsthaft gefährden. Damit nicht genug: „Die Komplexität der Aufgaben im Einkauf wird dadurch verstärkt, dass Lieferanten und Partner zunehmend intensiv in die physischen und digitalen Unternehmensprozesse integriert sind“, heißt es bei der ROI Managementberatung in München. „Das Beschaffungsmanagement muss immer häufiger unternehmens- und funktionsübergreifend agieren und seine strategischen und operativen Prozesse im Kontext der gesamten Supply Chain laufend optimieren.“

Ein wichtiges Werkzeug in diesem Kontext kann künstliche Intelligenz (KI) sein. Konsequent eingesetzt, garantiert sie nicht nur Versorgungssicherheit, Transparenz und wettbewerbsfähige Einkaufskonditionen, sondern sichert auch die Prozessqualität ab. Berater von McKinsey haben errechnet, dass OEMs bis 2025 durch KI 51 Milliarden US-Dollar mehr Wertbeitrag einfahren könnten. „Üblicherweise steigern Autohersteller ihre Produktivität im Schnitt um rund zwei Prozent pro Jahr“, sagt Andreas Tschiesner, Leiter der europäischen Automobilberatung von McKinsey. „Allein durch maschinelles Lernen ist in den kommenden Jahren ein jährliches Produktivitätswachstum von zusätzlichen 1,3 Prozent machbar.“

Mit der Studie „Artificial Intelligence – Automotive’s new value-creating Engine“ zeigt McKinsey, dass sich gerade der oft vernachlässig­te Beschaffungsbereich zu einem beachtlichen Renditeturbo tunen lässt. Voraussetzung ist, dass die neuen Anforderungen aus disruptiven Trends sowie die eigene Digitalisierung in der Einkaufsstrategie konsequent Berücksichtigung finden. Mit zunehmender digitaler Innovation werden im Einkauf neben operativen Standardaufgaben auch komplexere Anliegen automatisiert erledigt. „Spezialisierte Computer-Bots und künstliche Intelligenz können heute Themen bearbeiten, die weit über die einfache Automatisierung hinausgehen“, erklärt Sven Marlinghaus von Roland Berger. Solche Veränderungen sind mancherorts bereits zu beobachten. Die Mehrheit der Unternehmen aber hält sich bei der Umgestaltung des Einkaufs noch zurück, obwohl dadurch das Zeitfenster für eine erfolgreiche Transformation immer kleiner wird. „Das liegt an einer gewissen Unsicherheit, wie Firmen die notwendige Neuausrichtung angehen sollen“, so Marlinghaus. Aber dass sich der Einkauf neu positionieren kann und seine Rolle als Wertschöpfungspartner im Unternehmen neu definieren muss, gilt unter allen Experten als ausgemacht.

Intelligente Chatbots spielen eine Schlüsselrolle. An der Schnittstelle zwischen einem Unternehmen und seinen Lieferanten können Bots die standardisierte Kommunikation übernehmen und Prozesse wesentlich effizienter machen. Volkswagen zum Beispiel hat in seinem Data Lab in München bereits 2017 ein eigenes Sprachtechnologieteam aufgebaut und es mit der Entwicklung von Chatbots beauftragt. Das Ziel eines ersten Piloten war es, im US-Werk Chattanooga Beschaffungsprozesse für Waren und Güter unter 10 000 US-Dollar zu unterstützen. Jahr für Jahr gibt der Konzern in diesem Preissegment hunderte von Millionen Euro aus. Preisverhandlungen aber werden so gut wie nie geführt, weil der zeitliche Aufwand dafür in keiner Relation zu den erzielbaren Einsparungen stünde.

Ein perfekter Ansatzpunkt für das Data Lab: Die Wissenschaftler programmierten einen selbstlernenden Algorithmus, der in Sekundenschnelle die aktuellen Artikelpreise bei unterschiedlichen Bezugsquellen vergleicht und Kaufempfehlungen gibt. Auch eine Verhandlungskomponente ist integriert: Lieferanten können über einen Link ihr bestes Angebot für den nachgefragten Artikel abgeben. Der Bot sammelt alle Preisrückmeldungen und liefert dem Einkäufer eine vorsortierte Ergebnisübersicht. „Durch solche automatisierten Preisabfragen lassen sich schnell Einsparungen von 1000 Dollar und mehr realisieren, die sich schnell zu ganz erklecklichen Summen addieren“, berichtet Christoph Ringlstetter, einer der am Projekt beteiligten Data Scientists von Volkswagen. Ist die Kaufentscheidung erst einmal getroffen, fügt der Bot die während der Preisverhandlung generierten Daten automatisch in die Bestellung an und der Einkäufer kann sofort damit weiterarbeiten. Zudem wandern sämtliche Daten in das SAP-Backendsystem und stehen dort allen Mitarbeitern im Einkauf zur Verfügung. Der früher regelmäßige Griff zum Telefonhörer entfällt dadurch immer öfter.

Bild: iStockphoto/mediaphotos, Illustration: Sabina Vogel

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