Flexibles Arbeiten ist in vielen Unternehmen der Automobilindustrie Standard. Ob in Teil- und Gleitzeit, an festen Tagen im Home Office oder komplett mobil und ortsunabhängig – interessierte Mitarbeiter können sich heute aus unterschiedlichen Instrumenten bedienen und die für sie optimale Joblösung zusammenstellen. Selbst eine berufliche Auszeit in Form von Sabbaticals wird nicht mehr misstrauisch beäugt. In dem Maße, wie ein harter Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte entbrannt ist, stieg die Bereitschaft der Unternehmen, in ihren Ruf als Arbeitgeber zu investieren und etwas für die Work-Life-Balance der Beschäftigten zu tun.
So weit, so gut. In vielen großen Industrieunternehmen aber kommen bisher überwiegend Wissensarbeiter in den Genuss der neuen Freiheitsgrade, nicht die Produktion. Doch Werker können durchaus aufholen. Voraussetzung ist eine Kultur, in der Mitarbeiter nicht nur bereit sind, sich auf Wandel einzulassen, sondern ihn aktiv zu treiben. So wie bei Zulieferer Continental. Am Anfang standen zwei wichtige Grundsatzentscheidungen. „Wir wollten, dass alle Mitarbeiter weltweit in den Genuss flexibler Arbeitsmodelle kommen. Es sollten nicht nur ein, zwei Referenzstandorte beglückt werden, sondern ein verbindlicher Rahmen für 21 Länder geschaffen werden, in denen über 90 Prozent unserer Belegschaft arbeiten“, erklärt Dirk Siebels, der den Bereich Sustainability, Health & Stragic Work Relations leitet. Und: Es durfte keine Ausnahmen geben, die Angebote sollten in allen Unternehmensbereichen gleichermaßen gelten – im Management ebenso wie in der Produktion.
Dieser Ansatz war goldrichtig und zahlt sich bei Continental inzwischen Stück für Stück aus. 2018 wurde der Zulieferer als einer der besten Arbeitgeber in den USA für Frauen in Führungspositionen ausgezeichnet. Hauptgrund: der hohe Flexibilitätsgrad, der es erlaubt, das Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie besser auszutarieren. In Mexiko konnte das Technologieunternehmen die Personalfluktuation an jedem seiner Standorte um fünf bis 15 Prozent reduzieren. Siebels: „Wir binden Talente an das Unternehmen und leisten gleichzeitig einen gesellschaftlichen Beitrag in den Ländern.“
Die etablierten Flex-Angebote machen vor der Produktion ganz bewusst nicht halt. Zwar ist am Band oder an einer Montageinsel mobiles Arbeiten nicht so ohne Weiteres möglich wie in einem Office-Job. Aber grundsätzlich sieht Conti keinen Grund, warum ein Werker nicht flexibel arbeiten oder auf Wunsch ein Sabbatical nehmen sollte. „Die Flexibilität muss zum Jobprofil passen“, betont Dirk Siebels. Aber das gelte im Wissensbereich auch. Entscheidend sind die konkreten Angebote. „Wir versuchen, mehr Flexibilität in die Arbeitszeit in den Fabriken zu bekommen“, erklärte Continental-Personalvorstand Ariane Reinhart unlängst gegenüber der Bild am Sonntag. „Wir testen derzeit weltweit an 31 Produktionsstandorten über 20 verschiedene Varianten – von der Vier-Wochen-Auszeit bis zum selbst organisierten Arbeitsplan.“ So geschehen im April im aktuell pilotierten Projekt flex@shopfloor bei Continental Automotive im indischen Bangalore.
Angesichts des drohenden Fachkräftemangels sei es schlicht schlau, in Menschen zu investieren, heißt es von Seite der IG Metall. Explizit gehe nicht darum, einfach nur Akzeptanz für die ohnehin beschlossene Einführung neuer Technologien zu schaffen. Durch den Technikeinsatz muss sich die Situation am Arbeitsplatz tatsächlich konkret verbessern.
So wie bei Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen. An seinem Stammsitz eröffnet der Sportwagenbauer am 9. September offiziell die neue Taycan-Fabrik. Die Montage des ersten rein elektrisch angetriebenen Porsches wird über längere Taktmodule gesteuert, nicht mehr über kurze Takteinheiten von drei oder vier Minuten. Die Werker können sich ihre Arbeitszeit selbstständig einteilen. Im Gespräch mit automotiveIT bestätigt Porsche-CIO Mattias Ulbrich: „Wir dürfen die Nutzererfahrung nicht aus den Augen verlieren und sollten noch viel stärker darauf drängen, Unternehmensprozesse zu digitalisieren und zu integrieren. Die täglichen Anforderungen der Porsche-Mitarbeiter an die IT bestimmen unsere Agenda.“
30 Kilometer weiter in Sindelfingen kann man in der Montagehalle 56 von Daimler ebenfalls sehen, wie sich die Arbeit in der Produktion verändert. Einzelbüros sind out, die Meister sitzen direkt am Band, Gruppenarbeit wird unterstützt. Auch neue Arbeitszeitmodelle werden erprobt. Die Mitarbeiter wollen mit flexibleren und kurzfristiger zu vereinbarenden Einsatzzeiten und -orten mehr Freiraum für individuelle Belange erhalten. Möglich machen soll das der sogenannte Personaleinsatzpool, kurz PEP. Mit ihm kann Daimler die Wünsche von Mitarbeitern in Bezug auf ihren Einsatzplan künftig besser berücksichtigen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern – auch im Umfeld einer getakteten Fertigung. Erklärtes Ziel: „Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, damit die Arbeit in der Produktion weiterhin Spaß macht – im Büro wie am Band“, heißt es von der Werksleitung.