
Im Fokus der IT stehen im aktuellen Jahr Themen wie Nachhaltigkeit, Security oder der digitale Zwilling. (Bild: Adobe Stock / ipuwadol)
Aus Sicht von Hauke Stars, IT-Vorständin bei Volkswagen, muss sich die IT in diesem Jahr vor allem der Aufgabe widmen, Unternehmen resilienter zu machen. „Die jüngste volatile geopolitische und wirtschaftliche Lage hat gezeigt, wie wichtig die Bereitstellung hochwertiger digitaler Produkte und Dienstleistung ist, um diese Schwankungen und Unsicherheiten zu antizipieren und aufzufangen“, stellt Stars fest. Dafür sei die Nähe zum Business entscheidend. Die IT müsse die Geschäftsstrategie, Prioritäten, Pain Points, Investitionsentscheidungen und Prozesse genau verstehen und auf Augenhöhe mit dem Business zusammenarbeiten, um schnell messbaren Mehrwert zu generieren.
Aus Sicht der IT-Vorständin geht es darum, KI weiter in den Vordergrund zu stellen und die Bewertung und Analyse von Daten als wissenschaftliche Disziplin zu betrachten. „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen brauchen einfachen Zugang zu Echtzeitdaten, nutzerfreundlichen Tools sowie Kompetenzen, um aus diesen kluge Schlüsse zu ziehen. Dabei wird das Thema Low-Code ein wichtiger Enabler sein. Und natürlich wird es zunehmend um die Monetarisierung von Daten gehen“, meint Hauke Stars. Auch die Migration von Legacy-Systemen in die Cloud bleibe wichtig, jetzt vor allem unter dem Gesichtspunkt der Optimierung.
„Gerade in 2023 haben angesichts der verschiedenen Krisen viele Unternehmen ähnliche Herausforderungen: Digitale Resilienz, Kosten senken, Talente finden und die Nachhaltigkeit voranbringen“, ergänzt Saskia Kohlhaas, Executive Vice President Information Technology beim Entwicklungsdienstleister IAV. Hybride Infrastrukturen, Multicloud, Cyber und Automotive Security seien deshalb neben KI und Automatisierung die besonders wichtigen Themen. „Der Trend zu immer komplexerer Hard- und Software-Entwicklung mit Model Based Systems Engineering geht auch in 2023 weiter. Das ist nur mit dem entsprechenden Aufbau von Knowhow erreichbar. Ziel ist, den Entwicklungsprozess im virtuellen Modell zu automatisieren“, so Kohlhaas.
Datenzentrierte Geschäftsmodelle werden in der Ausrichtung vieler Unternehmen immer wichtiger. Dazu gehört beispielsweise das Auswerten und Überwachen von Flottendaten. „Data Science mit Machine Learning und KI in der Public und Private Cloud ist der Fokus, den wir gerade sehen“, stellt auch Kohlhaas fest. Wichtig sei dafür eine stark skalierbare Infrastruktur, um aktuelle Technologien wie beispielsweise Kubernetis und Docker oder Services der großen Plattformen wie AWS oder Microsoft Azure direkt einsetzen zu können.
Zulieferer haben es hier wie üblich mit verschiedenen Anforderungen von unterschiedlichen OEMs zu tun. Die Infrastruktur für den Entwicklungsprozess sollte deshalb entsprechend skalierbar sein, „idealerweise schnell auf Knopfdruck“. „Bei diesen Themen müssen sich alle Zulieferer mit entwickeln“, glaubt Kohlhaas: „Cloud-native ist deutlich im Aufwind, das wird bei uns in diesem Jahr besonders wichtig“.
Die Erkenntnis, dass Resilienz mit einer aufgeräumten Datenlandschaft deutlich besser funktioniert, wird sich in 2023 wohl weiter durchsetzen. Für Hauke Stars geht es in der Datenarchitektur um einen Wandel von stark verteilten und in Applikationen gekapselten Daten hin zu einer stärkeren Trennung von Anwendungslogik und Daten. Statt Daten aufwändig zu extrahieren, immer wieder umzukopieren und zu bereinigen, sollen stabile Data APIs Zugriff auf einheitliche und eindeutige Datenquellen für unterschiedlichste Anwendungen geben. „Durch diese ‚single-source-of-truth‘ steigt die Datenqualität, der Aufwand für ihre Pflege sinkt. Volkswagen baut zurzeit sein Data API Management massiv aus, um zukünftig tausende von Datenquellen, die heute noch als Silos in verschiedenen Unternehmensbereichen existieren, übergreifend nutzbar zu machen“, erklärt Hauke Stars.
Nachhaltigkeit und digitaler Zwilling sind Top-IT-Themen
Eine Gartner-Umfrage ergab kürzlich, dass 87 Prozent der Führungskräfte in den nächsten zwei Jahren die Investitionen ihres Unternehmens in die Nachhaltigkeit erhöhen wollen. Das Thema steht auch auf Hauke Stars Agenda ganz oben. So hat sich Volkswagen vorgenommen, bis 2027 den Rechenzentrumsbetrieb CO2-neutral zu gestalten. Zudem gebe es zahlreiche Initiativen im Bereich Green Coding, Hardware- und Daten-Lifecycle-Management. Das Ziel: Die Speicherumfänge der Daten zu reduzieren und das Hardware-Recycling zu optimieren. „Die andere große Aufgabe ist die Bereitstellung und Auswertung von Daten, um alle relevanten ESG-Kriterien transparent zu machen. Wir brauchen ein verlässliches, konzernweites Dashboard für das Nachhaltigkeits-Reporting, das ab 2025 Pflicht wird“, beschreibt Stars die Herausforderungen für die IT. Als Variante des digitalen Zwillings wird dabei der Digitale Produktpass für Volkswagen eine zunehmend große Rolle spielen.
Aus Sicht von Saskia Kohlhaas wird der digitale Zwilling auch in der Entwicklung eine noch wichtigere Rolle spielen. Er soll stärker für Absicherungsmethoden genutzt werden, indem die sonst aufwendigen Fahrzeugtests durch Simulation und Re-Simulation unter teilweiser Verwendung von Realdaten abgedeckt werden. Der digital Twin stelle ein Modell dar, auf dessen Grundlage Präzision während des gesamten Lebenszyklus ermöglicht werde. Zudem lasse sich der Entwicklungszyklus so verkürzen und effizienter gestalten. „Wir interpretieren den kommenden Digitalen Produktpass als datenbasierten digitalen Zwilling, der Hand in Hand mit Model-based Systems Engineering geht“, erklärt Kohlhaas. Die ohnehin stark normierte Autoindustrie könne damit automatisiert die Governance über die ganze Lieferkette abdecken, von Materialien und Werkstoffen hin zu Komponenten.
Die Bedeutung von Datenplattformen wie Catena-X nimmt in diesem Kontext in 2023 weiter zu, meint die Volkswagen-IT-Vorständin. Eine enge Vernetzung und ein sicheres Datenökosystem zwischen Herstellern, Lieferanten und Partnern werde immer wichtiger. „Die langen Datenketten entlang der Supply Chain, die mit Catena-X erzeugt werden, bringen die digitalen Zwillinge der Komponenten, Teile oder Materialien, die durch die automobile Wertschöpfungskette fließen, für viele Anwendungen erst richtig zur Geltung“, meint Hauke Stars. „Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen können dadurch gleichberechtigt an diesem Datenökosystem partizipieren. Das wird die Digitalisierung der Automobilindustrie einen entscheidenden Schritt voranbringen“, ist sich Stars sicher.
Auf Cybersecurity kann niemand verzichten
Doch es gibt eine Schattenseite: Die Angriffsfläche hat sich in den letzten Jahren stark vergrößert, das liegt auch daran, dass der Trend zum verteilten Arbeiten in Folge der Covid19-Pandemie die Digitalisierung deutlich beschleunigt hat. Zudem nutzten Unternehmen vermehrt hybride Infrastrukturen aus Cloud, Edge und eigenen Rechenkapazitäten, sagt Haya Shulman, Professorin für Informatik an der Goethe-Universität Frankfurt und Abteilungsleiterin am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie SIT. Gleichzeitig nehmen die Straftaten im Cyberraum ebenfalls stark zu, sowohl finanziell motivierte, wie etwa Erpressung mittels Ransomware, als auch Cyberspionage und -sabotage. Der kürzlich bekannt gewordene Angriff auf Continental zeigt die Brisanz. „Gerade in der Automobilindustrie gibt es unterschiedlichste Lieferanten für Hard- und Software und Komponenten, darunter auch kleine Unternehmen, die oft nicht die Ressourcen haben, ihre Infrastruktur ausreichend zu sichern. Häufig nutzen Cyberkriminelle diese komplexen Lieferketten aus, um sich von einem Unternehmen in das andere auszubreiten“, sagt Shulman, die zudem Mitglied im Direktorium des Nationalen Forschungszentrums für angewandte Cybersicherheit Athene ist.
„Das Thema Cybersecurity wird uns alle weiter in Atem halten. Wir erwarten auch in diesem Jahr eine weiter wachsende Anzahl von Angriffsversuchen, die immer raffinierter werden“, bestätigt auch Hauke Stars. Um dieser Bedrohung adäquat zu begegnen, gehört zu den wichtigsten Trends 2023 vor allem ein Umdenken. Shulman bemängelt, dass Unternehmen häufig zu wenig über den Stand der Sicherheit der eigenen IT und die ihrer Zulieferer wüssten. „IT-Abteilungen sollten mindestens genauso viel wie die Cyberkriminellen über die eigene IT und ihre Schwachstellen wissen. Dazu gehören regelmäßige Scans auf Schwachstellen, aber auch ein Monitoring dessen, was von Cyberkriminellen im Darknet über das Unternehmen, seine Dienstleister und Zulieferer geleakt wurde“, meint Shulman. Im Schnitt dauere es zwischen einigen Tagen und ein paar Wochen, bis Cyberkriminelle für im Darknet angebotene Daten, wie zum Beispiel erbeutete Passwörter, Kunden gefunden haben: Wertvolle Zeit, um den Tätern zuvorzukommen und Schwachstellen zu schließen, Systeme zu bereinigen und Passwörter zurücksetzen.
„Dieses Darknet-Monitoring ist eine neue Expertise, die meiner Meinung nach jedes Unternehmen und jede Behörde braucht. Viele Angriffswege könnten so sehr schnell verschlossen werden“, konstatiert Haya Shulman. Das Forschungszentrum Athene biete seine Monitoring-Fähigkeiten auch Unternehmen an. Ein guter Vorsatz für das Jahr 2023 ist Shulman zufolge auch, einen funktionierenden und eingeübten Notfall- und Recovery-Plan in der Schublade zu haben. Bei weitem noch nicht alle Unternehmen sind entsprechend vorbereitet.
IT-Trends für 2023 von Capgemini
Auch das Beratungsunternehmen Capgemini führt jährlich eine Studie zur Entwicklung zentraler Technologietrends durch, für die Fach- und IT-Verantwortliche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt wurden.
- Die Ambitionen der IT-Branche zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen sind gestiegen. 42 Prozent der befragten Unternehmen wollen ihre Emissionen reduzieren, im Vorjahr waren es noch 37 Prozent.
- Nach wie vor ist rund die Hälfte aller Daten in Unternehmen und Behörden nicht organisationsweit verfügbar, was die Bemühungen um den Klimaschutz erheblich erschwert.
- Die Studienergebnisse zeigen auch, dass sich die Zahl der Anwender, die KI intensiv nutzen, nicht verändert hat: Aktuell sind dies rund 40 Prozent der Unternehmen sowie 22 Prozent der Behörden einschließlich ihrer IT-Dienstleister.
- Die Cloud-Nutzung im deutschsprachigen Raum in den letzten sechs Jahren langsam, aber stetig gestiegen: Im Jahr 2017 wurden knapp 47 Prozent aller IT-Services in der Cloud betrieben, mittlerweile sind es mehr als drei Viertel.