„Um Gottes Willen“, hieß es in der Familie. Es gab reichlich Vorurteile über die angebliche Fremdenfeindlichkeit der Deutschen. Von der Verschlossenheit der Schwaben hatte Aida noch gar nicht gehört. Sie ist in Schwaben hängen geblieben, seit acht Jahren schon. Wer nach dem Warum fragt, bekommt einen Antwortwasserfall: „Das Land hat mich fasziniert, die Landschaft, die Kultur, die Leute. Die Menschen waren so freundlich.“ Sie arbeitete im Blumenladen, verkaufte Schuhe. Sie arbeitete gern mit Menschen, um die Sprache schneller zu lernen. Sie las Bücher. Nach einem Jahr konnte sie Deutsch. „Ich kann sogar Schwäbisch“, sagt sie nicht ohne Stolz. Aida ist so etwas wie eine Integrationsrakete. Klar hat sie manchmal Heimweh, aber wenn sie dann wie jedes Jahr einmal in Teheran ist, sehnt sie sich auch wieder nach dem neuen Zuhause.
hat sie auch ihre berufliche Heimat gefunden. Aida arbeitet bei Daimler und durchläuft das Career-Programm des deutschen Autoherstellers. Es war von Anfang an gegenseitige Liebe. Daimler sucht in der rasant angelaufenen Wachstumsphase wie viele andere Unternehmen händeringend nach Fachkräften, gerne auch nach solchen mit Führungsqualitäten. Und so sind im ablaufenden Jahr 500 Nachwuchskräfte für die zwölf- bis 15-monatige Ausbildung eingestellt worden. Sie bewarb sich online, aber beim Abschicken stürzte ihr Computer dreimal ab. Am nächsten Tag erhielt sie dennoch die erlösende Empfangsbestätigung. Sie nahm an einem Online-Test teil, nach einem Monat folgte die Einladung zu einem zweitägigen Bewerber-Workshop. Einen Tag danach hatte sie eine Zusage für einen unbefristeten Arbeitsvertrag.
Aida liebt Mercedes. Geht es nach ihr, fährt sie eines Tages einen schwarzen GL mit dunkler Lederausstattung. Dass ein iranisches Mädchen so viel Leidenschaft für schwäbische Autos entwickelt, muss nicht weiter verwundern. Typische Mädchen-Dinge waren noch nie ihre Sache: „Ich habe eine Menge Cousins.“ Als Kind spielte sie Fußball, als junge Frau ging sie zum deutschen Oberschulamt und suchte nach einem Studium. Weil das iranische Abitur in Deutschland nicht anerkannt wird, durchlief sie zunächst eine zweijährige Ausbildung zur Kommunikationsassistentin. Sie hatte die Zusagen mehrerer Hochschulen im Briefkasten, entschied sich aber für das geliebte Stuttgart und ein Informatikstudium. Als sie in der Hochschule für Technik am ersten Tag unter 50 jungen Männern saß, fragten einige: „Was willst du denn hier?“ Informatik ist vielleicht das typischste Männerstudium, das es gibt. Sie dachte zunächst: „Die Frauen sind wahrscheinlich bloß nicht pünktlich.“ Sie blieb die einzige. „Viele denken sich: Informatik? Oh Gott, das sind ja nur Nullen und Einsen“, sagt Aida. Schon im Iran hat sie sich für HTML-Programmierungen interessiert: „Es ist faszinierend, wenn du den richtigen Code eingibst – dass die Dinge dann wirklich funktionieren.“ Während ihres Studiums blieben 30 männliche Studenten auf der Strecke. Die meisten fallen in „Theoretischer Informatik“ durch. Es ist Aidas Lieblingsfach. Sie schloss mit 1,7 ab. Ist sie ein Streber? Sie muss grinsen: „Manche sagen das, ich glaube es aber nicht.“ Bei einer Tochter der schweizerischen Post absolvierte sie ein Praktikum, ihre Bachelor-Arbeit schrieb sie bei Porsche. Nach acht Semestern hatte sie den Abschluss. Nun steht sie auf der anderen Neckar-Seite und steckt in einem nagelneuen Blaumann. Heute beginnt ein zweiwöchiges Gastspiel in der Produktion. Aida soll Sechszylinder montieren. „Ich habe Spätschicht“, sagt sie begeistert, dabei geht die bis abends um elf. Die V-Motoren-Montage ist eine von zwei jeweils zweiwöchigen Stationen, die sie in 13 Monaten durchläuft. Die zweite wird ein Schnupperkurs im Verkauf sein, bei einer Niederlassung an der Ostsee.
Zudem stehen drei bis vier große Projekte auf dem Plan. Zur Erklärung bedient sich der Autokonzern gern der Bahnsprache. Aidas Start- und Zielbahnhof ist der Bereich IT-Architektur-Management. Aida erklärt: „Ich bin ITler, aber wir produzieren Autos. Das scheint zunächst weit entfernt.“ Ist es aber gar nicht. Bei Daimler sind Dutzende verschiedener Softwareprogramme im Gebrauch, von Aftersales-Logistik bis zur Urlaubsplanung. Und da kommt künftig Aida ins Spiel: „Manchmal erledigen fünf verschiedene Leute die gleiche Sache fünfmal. Bei einer guten IT-Architektur muss man das nur einmal machen.“ Es geht eben nicht nur ums Programmieren. „In der IT muss man wissen, was die Leute brauchen.“ Aida braucht jetzt noch schnell was zu essen. Ihre Schicht fängt gleich an. Sie verlässt ihren bevorzugten Fotohintergrund. Es war der Bus der deutschen 74er-Fußballnationalmannschaft.
Autor: Markus Stier
Foto: Claus Dick